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360° Blick – Rolle des Neugeborenen-Screenings aus der Perspektive von Menschen mit seltenen Erkrankungen

360° Blick – Rolle des Neugeborenen-Screenings aus der Perspektive von Menschen mit seltenen Erkrankungen

360°Blick

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Claas Röhl

Mitglied des Vorstands Pro Rare Austria

Der schnellste und einfachste Weg zur frühzeitigen Diagnose einer seltenen Erkrankung (SE) kann durch das Neugeborenen Screening (NGS) erfolgen. Viele der SE, die chronisch und fortschreitend sind, haben eine genetische Ursache und können deswegen bereits nach der Geburt nachgewiesen werden. Generell bestehen europaweit große Unterschiede bei den Frühdiagnostik-Ansätzen, sowohl bei der Durchführung des NGS als auch bei der Weiterverfolgung positiver Ergebnisse einschließlich unterschiedlicher Ansätze zur Gesundheitsversorgung.

Innerhalb von EURORDIS – Rare Diseases Europe entwickelte eine Arbeitsgruppe zum Thema NGS Prinzipien für eine harmonisierte Aufnahme von NGS-Programmen in den EU-Mitgliedsländern. Das 2021 veröffentlichte Positionspapier „Key Principles for Newborn Screening“ weist auf die Diskrepanzen bei den Screenings hin und fordert daher einen harmonisierten und integrierten Gesundheitsansatz mit dem höchstmöglichen Gesundheitsstandard für Neugeborene und einem verbesserten Zugang für alle zur Behandlung diagnostizierter seltener und komplexer Erkrankungen.
Pro Rare Austria schließt sich den elf Grundprinzipien dieses Positionspapiers an. Das Grundprinzip 1 des Papiers sagt, dass das Screening diagnostizierbare Krankheiten identifizieren solle, einschließlich behandelbarer Erkrankungen. Eine breiter aufgestellte Frühdiagnostik von Neugeborenen ist auch eine Forderung von Pro Rare Austria. Derzeit umfassen die Kriterien für
die Aufnahme einer Krankheit in das ÖNGS einen schweren Krankheitsverlauf im Kindesalter, die Möglichkeit einer raschen Diagnosestellung – und das Vorhandensein einer effektiven Therapie.

In Österreich kann aktuell auf 32 Konditionen untersucht werden – im internationalen Umfeld liegen wir da sehr gut. Im Rahmen des Österreichischen Kongresses für seltene Erkrankungen von 23. bis 24. September in Linz wurde das Thema NGS rege diskutiert und die unterschiedlichen Sichtweisen von Patientenvertreterinnen und -vertretern und Ärztinnen und
Ärzten wurden deutlich. Die Ärzteschaft sieht große Herausforderungen vor allem im Bereich der Aufklärung, Beratung und Entscheidungsfreiheit von Eltern und erkennt auch Potenzial für Diskriminierung. Sie vertritt eine Beibehaltung der derzeitigen Strategie des Screenings nur für Erkrankungen, die mit einer existierenden Therapie im Kindesalter behandelbar sind. Pro Rare Austria sieht aber Handlungsbedarf und unterstützt ein Umdenken in Richtung einer breiteren Untersuchung von Neugeborenen bzw. Frühdiagnostik aller diagnostizierbarer Krankheiten – auch wenn es derzeit keine effektive Therapie gibt. Hindernisse für eine rechtzeitige Diagnose können dadurch eliminiert, die Betreuung und Behandlung des Kindes besser geplant werden. Betroffenen Eltern können darüber hinaus fundierte Entscheidungen bezüglich ihrer künftigen Lebensführung und ihrer weiteren Familienplanung ermöglicht bzw. erleichtert werden.
Betroffene Familien sollten mit der Diagnose auch psychologische und wirtschaftliche Unterstützung erhalten. Des Weiteren könnten sogenannte „natural history studies“ neue Forschungserkenntnisse und ein besseres Verständnis der jeweiligen Erkrankung ermöglichen.

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