Viele Österreicherinnen und Österreicher halten Forschung und Wissenschaft für wichtig - am ehesten für die Gesundheit. Am meisten vertrauen sie ihren Hausärztinnen und Hausärzten als Wissensquelle. Nicht zuletzt auch COVID-19 hat offenbar zu Misstrauen gegenüber der Politik geführt, hat jetzt eine Spectra-Umfrage im Auftrag der PRAEVENIRE-Initiative ergeben. Führende Expertinnen und Experten fordern mehr Investitionen in Forschung und in Wissenschaftskommunikation.
Wolfgang Wagner
Gesundheitsjournalist
Bereits vergangenes Jahr hat eine Eurobarometer-Umfrage für gehöriges Aufsehen gesorgt. Ihr zufolge ist das Interesse in Österreich im internationalen Vergleich extrem niedrig. Mehr als die Hälfte der Befragten gab damals an, dass Wissenschaft für ihr tägliches Leben nicht wichtig sei, rund ein Drittel glaubt, dass Forscherinnen und Forscher nicht ehrlich sind. Beim Vertrauen in die Wissenschaft schnitt Österreich im Eurobarometer mit dem 26. von 27 Plätzen nur um einen Rang besser als Deutschland ab. In Sachen Biotechnologie waren die Österreicherinnen
und Österreicher unter den EU-Mitgliedsländern überhaupt am misstrauischsten. Das war der Hintergrund für die PRAEVENIRE Initiative „Wissenschaft für die Menschen“ und der Gesellschaft der Ärzte in Wien, die Spectra Marktforschungsgesellschaft (Linz) mit einer groß angelegten repräsentativen Erhebung zu beauftragen, welche die Meinungen und Einstellungen der Österreicherinnen und Österreicher zum Thema „Wissenschaft“ genauer beleuchten sollte.
Fazit der genauen Analyse, so Dr. Walter Wintersberger (Spectra): „Es gibt nicht nur Schwarz, es gibt nicht nur Weiß. Die Mehrheit will, dass wir uns rational verhalten. 66 Prozent meinen, Wissenschaft und Forschung werden helfen, in Zukunft chronische Erkrankungen und Krebs besser behandeln zu können.“
Wir sind Nobelpreisträger - das ist ein „Córdoba-Effekt”.
Hannes Androsch
Gesundheit an der Spitze
Für 42 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind Fragen der Gesundheit und der Gesundheitsvorsorge jene „Themenbereiche, die jetzt angegangen werden müssen, damit wir mit Zuversicht und Optimismus den kommenden Jahren entgegen blicken können (Umfragetext; Anm.).“ Wintersberger: „Bis 30, 35 Jahren steht die Umwelt im Vordergrund. Im Alter über 50 merkt man, dass man nicht unsterblich ist.“ 49 Prozent der Menschen dieser Altersgruppe halten die Gesundheit für besonders wichtig, 34 Prozent der 15-29-Jährigen die Umwelt. „Bitte investiert in Gesundheit und Umwelt“, leitete der Meinungsforscher Forderung aus den erhobenen Daten ab.
Wir dürfen die Hände nicht in den Schoß legen.
Beatrix Volc-Platzer
Hohes Gut: Evidenzbasiertheit
Im Grunde sind die Menschen in Österreich an rationalen und evidenzbasierten Entscheidungen interessiert. 78 Prozent stimmten voll oder größtenteils dieser Aussage zu: „Eine Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn Bürger in der Lage sind, zwischen ‚wahren‘ und ‚falschen‘
Informationen, sogenannten ‚Fake News‘, zu unterscheiden.“
Die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch hält ein überwiegender Teil der österreichischen Bevölkerung für demokratiepolitisch wichtig.
Unser Wohlstand basiert auf Wissenschaft und Forschung.
Hannes Stockinger
Eine Frage des Vertrauens
Deutliche Defizite tun sich in Österreich allerdings dann auf, wenn es um die Quellen
der Informationen geht, denen man vertrauen kann. „Nur rund ein Drittel (31 Prozent; Anm.) sagt, dass die eigene Schulbildung hilft, zwischen Wahr und Falsch zu unterscheiden“, merkte Wintersberger kritisch an. Medien schneiden mit 25 Prozent bereits relativ schlecht ab.
Wem am meisten Vertrauen entgegengebracht wird zeigt folgende Rangliste:
Wissenschaft und Forschung (Exponenten): 68 Prozent
Renommierte/bekannte Medien: 46 Prozent
Expertenkommissionen/Arbeitskreise und NGOs: jeweils 26 Prozent
Wirtschaft/erfolgreiche Unternehmen: 10 Prozent
Politik, Regierung, öffentliche Verwaltung: 7 Prozent
Die eigene Religionsgemeinschaft: 3 Prozent
An der Spitze der Kategorien, denen am meisten Vertrauen entgegen gebracht wird sind die Hausärztinnen und Hausärzte (37 Prozent), diplomiertes Krankenpflegepersonal (17 Prozent) und Apothekerinnen und Apotheker (17 Prozent).
Einstellungsänderung dringend anzustreben
Österreich sollte mehr in Wissenschaft und Forschung investieren und gleichzeitig die Wissenschaftskommunikation ausbauen. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Volc-Platzer, Präsidentin der Gesellschaft der Ärzte in Wien: „Interdisziplinarität in der wissenschaftlichen Diskussion ist extrem wichtig. Das Vertrauen in die Wissenschaft nimmt mit dem Alter zu. Wir dürfen die Hände aber nicht in den Schoß legen. Wir haben großen Nachholbedarf. Es geht darum, die Jugend bei diesem Thema abzuholen.“
Die Mehrheit will, dass wir uns rational verhalten.
Walter Wintersberger
Strategische Bedeutung von Wissenschaft und Forschung
Der Ex-Finanzminister und langjährige Großindustrielle Dr. Hannes Androsch: „Im Augenblick freuen wir uns und sind stolz unter dem Motto ‚Wir sind Nobelpreisträger‘. Das ist eine Art Córdoba-Effekt. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Wir sind eher im Winter.“ Mangelnde Bildung schaffe hingegen die nächsten Sozialfälle.
Das deutsche Wissenschaftbarometer zeigt, dass die Bevölkerung im Nachbarland zu 70
Prozent der Wissenschaft vertraut, wenn sie Basis für Entscheidungen ist, aber auf die Frage, ob sich Wissenschaft in die Politik und alltägliche Entscheidungen einmischen soll, sagen 40 Prozent explizit „nein“ – das sei nicht ihre Rolle, erklärte Dr. Eva Höltl, Leiterin des Health Centers der Erste Group Bank AG und Mitinitiatorin der Initiative „Österreich impft“. Sie betonte die Wichtigkeit der durch die Umfrage erhobenen Meinung vieler Österreicherinnen und Österreicher, dass gemeinsame, vernünftige Entscheidungen ohne Voreingenommenheit und auf der Basis von gesichertem Wissen und Erkenntnissen die Zukunft des Landes in Wohlstand
sicherstellen würden: „Es wäre entscheidend zu beginnen, wo bereits etwas an Vertrauen da ist. Die Menschen glauben Expertinnen und Experten, aber nicht Expertengremien von Regierungen.“
Österreich braucht mehr Investitionen in die Forschung.
Christoph Huber
Großforschungseinrichtungen fehlen
Univ.-Prof. Dr. Christoph Huber, Immunologe, Hämato-Onkologe und Co-Gründer von BioNTech: betonte, dass es im Vergleich zu Deutschland in Österreich an entschiedenem Einsatz für die Wissenschaft fehle: „Was wichtig ist? Was herauskommt im internationalen Vergleich.“ Man müsse die Menschen für Bildung und Wissenschaft begeistern. Dr. Christoph Huber betonte weiter: „Es braucht verstärkte Forschungsförderung. Wir müssen miteinander sprechen.“
„Das Eurobarometer zeigte immer das Gleiche. 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sagen, dass Wissenschaft und technologische Innovation keinen Effekt auf
die Schaffung von Arbeitsplätzen haben wird, 26 Prozent sprechen gar von einem negativen
Effekt, nur 35 Prozent von einem positiven Impact“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Hannes Stockinger, Präsident des Verbandes der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs. „Unser Wohlstand basiert darauf.“ Erst jahrzehntelange Grundlagenforschung hätte die Basis für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen in Rekordzeit ermöglicht. In Niederösterreich soll mit der Aktion „Wissenschaft im Wirtshaus“ mehr Verständnis bei den Menschen geschaffen werden.
Das große Manko: Wissenschaftskommunikation wird in der Ausbildung und Karriere von Wissenschafterinnen, Wissenschaftern nicht abgebildet, komme gar nicht vor. Wissenschaftsskepsis kommt nicht von ungefähr.
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