Der technologische Fortschritt in der Medizin war in den letzten Jahren immens. Gleichzeitig steht der Gesundheitssektor durch Personalmangel, Finanzierungsproblemen und langen Wartezeiten für Patientinnen und Patienten auf Untersuchungen und Behandlungen vor großen Herausforderungen. Auf Initiative des Vereins PRAEVENIRE setzte sich bei einem Gipfelgespräch in Wien eine Expertenrunde mit der Zukunft des Spitalswesens in Österreich auseinander.
Rainald Edel, MBA
Periskop-Redakteur
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte, insbesondere in den letzten fünf Jahren, war der Fortschritt in der Wissenschaft, Medizin und Medizintechnik enorm.
„Durch den Einsatz neuer Technologien kam es zu einer deutlichen Verbesserung der
Versorgungsleistung für die Patientinnen und Patienten. Gleichzeitig macht der Fortschritt
medizinische Berufe extrem fordernd, da es gilt, die neuen Techniken zu beherrschen und das Wissen von heute schon morgen überholt sein kann“, schildert PRAEVENIRE Präsident Dr. Hans Jörg Schelling die Ausgangslage. Damit die Menschen – im Sinne der solidarischen Versorgung – weiterhin State of the Art, aber auch kosteneffizient versorgt werden, bedarf es mutiger Reformschritte.
„Die medizinische Versorgung wird nicht billiger. Daher ist es dringend erforderlich, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, um optimierte Versorgung langfristig sicherzustellen“, so Schelling in seinem Einleitungsstatement. Neue medizinische Technologien sind Treiber für die Verkürzung der Verweildauer der Patientinnen und Patienten in den Spitälern. Sie müssen auch Struktur- und Prozessveränderung in den Krankenhäusern nach sich ziehen, die entsprechend wirtschaftlich abgeholt werden.
„So ist in einzelnen Bereichen die Zusammenführung zu multidisziplinär belegten und geführten Stationen wirtschaftlicher als die traditionell nach Fachgebieten ausgerichtete Organisationsform. Zudem ist sie flexibler, erleichtert den Personaleinsatz und wirkt der Personalknappheit entgegen“, schilderte der Krankenhausmanager und Gynäkologe Dr. Wilhelm Marhold. Die ambulante bzw. teilstationäre Behandlung bisher stationär erbrachter Leistungen bringt eine Reduktion von Stationen mit sich, die hilft, Kosten und Personal effizienter einzusetzen. Wird jedoch die Entwicklung neuer Strukturen zumindest im stationären Spitalsektor verpasst, werden Finanzierungs- und Personalprobleme – wie bereits erkennbar – zu Qualitätsverlust in der Versorgungsleistung führen. „Wer nur auf die Kosten schaut, senkt die Qualität. Wer aber auf die Qualität achtet, spart auch bei den Kosten“, ergänzt Patienten- und Pflegeanwalt, Dr. Gerald Bachinger.
Teilnehmende des Gipfelgesprächs vor Ort (v.l.): Wilhelm Marhold, Barbara Maier und Hans Jörg Schelling
Reformbedarf
Im PRAEVENIRE Gipfelgespräch kristallisierten sich mehrere Bereiche heraus, in denen die versammelten Expertinnen und Experten strukturellen Reformbedarf sehen.
Auf struktureller Ebene ist das „Hin- und Herschieben“ von Patientinnen und Patienten aufgrund der Finanzierung ambulanter Behandlung aus unterschiedlichen Töpfen
zwischen dem Spitalsbereich und niedergelassenen Gesundheitsanbietern ein „fast schon chronisches Problem“, schildert Schelling. Dieses „Verschieben“ hänge nicht mit den Leistungen zusammen, die in dem einen oder anderen Bereich besser erbracht werden können, sondern mit den Finanzströmen bzw. der Struktur im Gesundheitswesen.
Durch die mangelnde Versorgungsstruktur am Wochenende oder als Alternative bei langen Wartezeiten auf Versorgungsleistungen im niedergelassenen Bereich, suchen Patientinnen und Patienten – begünstigt durch den niederschwelligen Zugang – den Ambulanzbereich der Kliniken auf. Mit der Folge, dass dieser teils völlig überlaufen ist. Dazu kommt, dass aufgrund mangelnder ärztlicher Versorgungsstrukturen in Pflegeeinrichtung Patientinnen und Patienten oftmals in Krankenhäuser transferiert werden, u. a. für medizinische Leistungen, die auch im Heim erbracht werden könnten. Demgegenüber müssen nicht mehr hospitalisierungspflichtige Personen oft noch im Krankenhaus verbleiben, da oftmals Nachbetreuungseinrichtungen oder ein Versorgungsangebot im heimischen Umfeld der Patientinnen und Patienten fehlen, schildert
Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss, Direktor Univ. Klinik für Innere Medizin II Medizinische
Universität Innsbruck. „Im Sinne der sektorübergreifenden Zusammenarbeit braucht es sowohl im niedergelassenen als auch in den Krankenhäusern mehr Primärversorgungseinheiten, welche ambulante Aufgaben abdecken und in akuten Fällen auf die diagnostische und therapeutische Infrastruktur der Spitäler zurückgreifen können“, ergänzt Mag. Karl Lehner, MBA, Geschäftsführer der OÖ Gesundheitsholding GmbH.
Die einheitliche Finanzierung der ambulanten Versorgung aus einem Topf wird von den Gipfelgesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern unisono als lange überfällige
Maßnahme gesehen. Weiters braucht es mehr tagesklinische Angebote sowie nachgeschaltete Strukturen im niedergelassenen Bereich, in welche Krankenhäuser Patientinnen und Patienten nach einer Akutbehandlung transferieren können. „Ich denke, dass der Ambulantisierung die Zukunft gehört. Dazu muss aber auch das Abrechnungssystem geändert werden. Sonst gibt es keine Anreize, das zu verfolgen“, argumentiert Prim. Univ.-Prof. DDr. Barbara Maier, Vorstand der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung der Klinik Ottakring. Die immer komplexer werdende onkologische Behandlung bedarf heute multidisziplinärer Betreuung, die nur an Zentren gegeben sind. Kleine Häuser haben zunehmend Schwierigkeiten, jenes Qualitätsniveau aufrecht zu erhalten, das für die Behandlung in den allermeisten onkologischen Fällen
notwendig ist. „Um die teure Ressource der Zentrumsmedizin zu schonen, versuchen wir
Patientinnen und Patienten möglichst kurz in diesem hochaufwendigen Therapieschema vor
Ort zu haben und schnell in eine wohnortnahe Betreuung überzuführen. Für eine optimale
Betreuung fehlen dazu aber in Österreich niedergelassene onkologische Praxen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Philipp Jost, Leiter Klinische Abteilung für Onkologie LKH-Univ. Graz. Lehner ergänzt: „In OÖ schafft z.B. das spitalsträgerübergreifende Tumorzentrum mit einheitlichen Leitlinien, einheitlicher Dokumentation und digitaler Vernetzung diese wohnortnahe Versorgung gepaart mit spitzenmedizinischen Leistungen an ausgewählten Standorten.“
Neue Arbeitsmodelle
Für die Zukunftssicherung des Gesundheitssystems ist die Sicherstellung des personellen
Nachwuchses essenziell. In der Praxis zeigt sich immer häufiger, dass Arbeiten im Krankenhaus,
vor allem für junge Menschen unattraktiv geworden ist. Arbeitszeiten, Bezahlung, Arbeitsbedingungen entsprechen nicht mehr den Ansprüchen und der Lebensrealität des Personals.
„Es wird auch notwendig sein, die Kompetenzen in vielen Bereichen nochmal zu analysieren und zu überdenken“, erklärt Holzgruber. Auch Univ.-Prof. Dr. Lars Peter Kamolz, MSc,
Universitätsklinik für Chirurgie, Med Uni Graz, sieht den Bedarf, Berufsbilder neu zu denken: „Ganz wichtig in dem Zusammenhang sind Assistenzberufe. Zudem müssen wir neue
Berufsgruppen andenken, die die Ärztinnen und Ärzte unterstützen. So wäre es beispielsweise in Amerika unüblich, der teuersten Berufsgruppe immer mehr Dokumentationsaufgaben umzuschnallen.“ Das medizinische Fachpersonal muss im administrativen Bereich entlastet
werden. Die Pflege braucht ebenfalls dringend die seit Jahren in Diskussion stehenden Kompetenzerweiterungen. Um die österreichischen Krankenhäuser zukunftsfit zu betreiben und die Qualität der Betreuung weiter hochzuhalten, ist es unumgänglich, sämtliche Bereiche auf Aktualität für Strukturveränderungen zu überprüfen, so die einhellige Meinung der Teilnehmenden. Lösungsansätze und Expertise dafür gibt es mehr als ausreichend.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfelgesprächs vor Ort:
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Wilhelm Marhold
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Barbara Maier
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Hans Jörg Schelling
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Gabriele Fischer
Teilnehmerinnen und Teilnehmer online:
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Günter Weiss
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Gerhard Bachinger
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Lisa Holzgruber
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Karl Lehner
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Matthias Bolz
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Lars Kamolz
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Philipp Jost
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