Das österreichische Pharmaunternehmen AOP Orphan Pharmaceuticals GmbH (AOP Health), das sich auf die Erforschung und Entwicklung von Therapien für seltene Erkrankungen sowie auf neue Therapien in der Intensivmedizin spezialisiert hat, wird seit Jänner erstmals durch eine Doppelspitze geleitet. PERISKOP sprach mit den beiden Geschäftsführern Dr. Martin Steinhart und Bernhard Nachbaur, LL. M., über ihre Ziele, Rahmenbedingungen im Pharmamarkt und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten.
Rainald Edel, MBA
Periskop-Redakteur
AOP Health will mit der neuen Geschäftsführungsstruktur auf die Veränderungen in der Pharmaindustrie reagieren und sich breiter aufstellen und sieht sich so für die Pläne und Anforderungen des künftigen Unternehmenskurses gut gerüstet.
PERISKOP: AOP Health ist in vielen Ländern vertreten, allerdings nimmt Österreich eine Sonderstellung ein. Wie ist das Unternehmen strukturiert und welche Schwerpunkte hat es, speziell in Österreich?
NACHBAUR: AOP Health wurde vor mehr als 25 Jahren in Wien gegründet und widmet sich seitdem den ungelösten medizinischen Problemen, die es im Bereich der Seltenen Erkrankungen gibt. Es hat sich dann relativ schnell ein Schwerpunkt im Bereich der Hämatologie herauskristallisiert. Zu diesem kamen sukzessive drei weitere Gebiete dazu: Kardiologie und Pulmologie, Neurologie und Stoffwechselerkrankungen und zuletzt vor wenigen Jahren die Intensivmedizin. AOP Health, mit Headquarter in Wien, ist mittlerweile in mehr als 20 Ländern selbst vertreten und mit Partnerschaften in über 55 Ländern. Wir haben eine Exportquote aus Österreich von über 80 Prozent. Mehr als 80 Prozent unserer Produktion erfolgt in Europa, darunter auch in Österreich.
STEINHART: AOP Health ist eine österreichische Erfolgsgeschichte. Gestartet vor 25 Jahren in Wien, expandieren wir von Wien aus und entwickeln uns zu einem globalen Pharmaunternehmen mit Wurzeln in Wien. Die Gründung der AOP Health ist wie eine Silicon Valley Geschichte, nur, dass es keine Garage war, sondern ein Wohnzimmer in Wien. Die Gründer glaubten damals an den Standort Österreich und es war ihnen wichtig von Wien aus eine bedeutende Pharmafirma zu gründen und sich um jene Patientinnen und Patienten mit Seltenen Erkrankungen zu kümmern, für die es keine Therapielösung gab.
Wir wollen unseren aktuellen Umsatz von rund 200 Mio. Euro bis 2027 verdoppeln und 25 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung reinvestieren.
Bernhard Nachbaur
Die AOP Health Group gilt als europäischer Pionier bei integrierten Therapien für Patientinnen und Patienten mit seltenen, komplexen Erkrankungen sowie in der Intensivmedizin. Wie wichtig ist ein starkes europäisches Engagement in diesem gern als „Nischenmarkt“ bezeichneten Therapiefeld?
STEINHART: Der Gründergedanke von Österreich aus in die Welt zu gehen, ist ganz wesentlich. Denn wir sind überzeugt, wenn wir die Wertschöpfung in Österreich bzw. in Europa halten, können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, für Patientinnen und Patienten in Europa neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Daher ist es für uns wichtig hier, vor unserer Haustüre, die notwendigen Forschungskooperationen und Partner zu haben. Seien es Laboratorien, Entwicklungshersteller oder unsere Lohnhersteller. Dass diese in erreichbarer Nähe sind, wir mit ihnen jederzeit in Kontakt treten können und die Wertschöpfung in Europa verbleibt. Wir haben in Österreich ein fantastisches akademisches Netzwerk. Zudem können wir regelmäßig in engem Kontakt mit unseren Kooperationspartnern sein. Dadurch können wir jene Arzneimittelforschung betreiben, die uns erfolgreich gemacht hat. Nämlich für die Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten Lösungen zu entwickeln.
NACHBAUR: Sind 5 von 10.000 Menschen oder weniger erkrankt, wird in Europa von einer Seltenen Erkrankung gesprochen. Bei manchen Indikationen ist auch nur einer von Hunderttausend oder einer Million Menschen betroffen. In Österreich gibt es rund eine halbe Million Patientinnen und Patienten, die an einer Seltenen Erkrankung leiden. Man schätzt, dass es 6.000 bis 8.000 Seltene Erkrankungen gibt*, aber nur für rund fünf Prozent gibt es heute Therapiemöglichkeiten.**
Wenn es nur sehr wenige Erkrankte gibt, ist man eher allein am Markt tätig. Bei gängigeren Indikationen sehen wir, dass auch andere Anbieter forschen. Durch den Wettbewerb der Forschung werden auch immer mehr Daten generiert und es gelingt heutzutage auch in der Nische der Seltenen Erkrankungen wesentlich besser, über Diagnose, Therapien und Therapieziel zu wissen. Das kommt schlussendlich den Patientinnen und Patienten zugute, weil so Erkrankungen besser erkannt, diagnostiziert und therapiert werden können. Uns als Firma spornt dies an, noch mehr zu forschen, um noch bessere Antworten zur Verfügung stellen zu können. Wenn es für eine Seltene Erkrankung ein Therapieangebot gibt, steigt auch die Aufmerksamkeit für diese Indikation und Patientinnen und Patienten erfahren eher von einer neuen Therapiemöglichkeit.
AOP Health hat im Jänner die Leitung der Österreich-Niederlassung als Doppelspitze besetzt. Welche Gründe gab es dafür und welche Vorteile ergeben sich daraus?
NACHBAUR: Die vergangenen drei Jahre waren auf Grund der Covid-19-Pandemie, den Versorgungsengpässen etc., durchaus turbulent. Aber auch unsere Entwicklung war in dieser Zeit rasant. Diese Aspekte und die zunehmende Komplexität des Pharmamarktes haben dazu geführt, dass entschieden wurde, eine Doppelspitze zu installieren. Mit dem Vorteil, dass wir zwei komplementäre Expertisen an einen Tisch bringen. Martin Steinhart ist Mediziner und hat langjährige Erfahrung in Forschung und Entwicklung sowie im Pharmamanagement und ich komme aus dem Bereich Recht, Steuer und Finanzmanagement. Mit diesen Voraussetzungen sehen wir uns bestens gewappnet, zukünftige Herausforderungen optimal zu meistern.
STEINHART: Es ist die Komplexität für die Entwicklung und den Vertrieb im Bereich Pharma stark gestiegen. Wir haben durch das rasante Wachstum der vergangenen Jahre nun 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allein in Wien sind um die 280 Personen für uns tätig. Auch hier bietet die Dualität in der Geschäftsführung Vorteile, weil man so mehr Fokus auf die verschiedenen Bereiche legen kann, und gemeinsam stärker ist.
Unser Antrieb zur Forschung sind in jenen Nischen, wo es noch kein entsprechendes Angebot gibt, Therapieoptionen zu entwickeln, von denen Patientinnen und Patienten profitieren.
Martin Steinhart
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt und welche Meilensteine erwarten Sie in der näheren Zukunft zu erreichen?
NACHBAUR: Ein durchaus ambitioniertes Ziel, das wir uns gesetzt haben, ist, dass wir unseren aktuellen Umsatz von rund 200 Mio. Euro bis 2027 verdoppeln wollen. Das erreichen wir durch die Optimierung und weitere Expansion mit unserem existierenden Portfolio.
STEINHART: Es steckt eine schöne Motivation hinter dieser Verdopplung. Denn AOP Health reinvestiert 25 Prozent des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung. Dadurch konnten wir in den letzten 25 Jahren Studien realisieren, die die Behandlung von Patientinnen und Patienten positiv verändert haben. Und wir können so weiter an neuen Therapien forschen. Wir werden 2023 eine Phase-I-Studie in der Hämatologie mit einem völlig neuen Therapieansatz starten, und haben drei Phase-III-Studien in der Initiierung, eine im Bereich sogenannter myeloproliferativer Neoplasien und zwei in der Behandlung der Pulmonalen arteriellen Hypertonie.
Wie Sie zuerst schon ausgeführt haben, umfasst Ihr Portfolio Produkte aus vielen verschiedenen Bereichen: Hämatoonkologie, Kardiologie und Pulmonologie, Neurologie und Stoffwechselerkrankungen sowie Intensivmedizin. Das strategische Ziel von AOP Health ist es, ständig neue Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf seltene und spezielle Krankheiten bereitzustellen. Wo sehen Sie größere bzw. wichtige Behandlungsgebiete, die es noch abzudecken gilt?
STEINHART: Einfach gesagt, überall dort, wo es noch keine ausreichende Therapieoption gibt. Selbst wenn es diese schon gibt, sieht man, dass es noch mehr zu entdecken gibt, wenn weiter geforscht wird. Je besser man die Erkrankung versteht, umso näher rückt man der eigentlichen Ursache und kann diese dann ganz spezifisch angehen. Das zeigt, dass es auch im Orphan Disease-Bereich nicht mehr reicht, nur eine symptomatische Verbesserung zu bieten, sondern man muss auch hier harte Endpunkte anstreben. Um erfolgreich Arzneimittel und Medizinprodukteforschung betreiben zu können, sind das entsprechende Knowhow, die Netz- werke, und jahrelange Erfahrung notwendig.
Der Aufwand, um ein Arzneimittel für Seltene Erkrankungen zur Zulassung zu bringen, unterscheidet sich nicht mehr im Vergleich zu non-orphan Arzneimitteln. Trotzdem ist es für uns ein Antrieb in jenen Nischen, wo es noch kein entsprechendes Angebot gibt, Therapieoptionen zu entwickeln.
Mit dem Firmenclaim „Needs. Science. Trust.“ hat AOP Health einen starken Forschungsschwerpunkt. Wie sehen Sie die Rahmenbedingungen für medizinische Forschung und Entwicklung in Österreich? In welchen Bereichen gäbe es Verbesserungs- bzw. Reformbedarf, um Österreich attraktiver für mehr Engagement pharmazeutischer Unternehmen zu machen?
NACHBAUR: Der Forschungsstandort Österreich hat definitiv seine Vorzüge. Dennoch gibt es auch hier noch Ausbaupotenzial. So könnte sich der Forschungsstandort sowohl mit einer entsprechenden Förderlandschaft für österreichische Unternehmen, die sie konkurrenzfähig macht, besser positionieren, als auch mehr Verständnis für forschungstreibende Unternehmen und deren Arbeitsweise schaffen. So arbeiten wir zum Beispiel ohne eigene Laboratorien und betreiben dennoch Forschung.
STEINHART: Dass unsere Forschung, Entwicklung und Investition auch zu einer Marktzulassung eines Arzneimittels führen, ist mit einem sehr hohen Risiko behaftet. Welche Anreize in Europa respektive in Österreich gibt es, um Forschung zu betreiben? Wir haben ein sehr gutes universitäres Netzwerk, ebenso eines, um mit Forschungspartnern zu kooperieren. Die Frage bleibt, wie kann das Risiko in der Entwicklung von Arzneimitteln und Medizinprodukten für uns als Industrie zusätzlich abgefedert werden. Es geht nicht um eine Risikoübernahme, sondern um die Frage, wie bestimmte Investitionen, die mit einem Risiko behaftet sind, unterstützt werden können. Das ist auch ein zentraler Punkt, wenn es um die Erstattungsfähigkeit eines Arzneimittels geht. Ein Patient in einer klinischen Studie kann uns bis zu 100.000 Euro kosten. Pro Studie werden zumindest 100 bis 200 Patientinnen und Patienten benötigt. Das sind signifikante Kosten, die wir vorfinanzieren müssen. Hierzu braucht es Rahmenbedingun- gen und klare Regelungen, wie man Arzneimittel zur Zulassung bringen kann, aber auch entsprechende Rückerstattungsmodi, welche eine nachhaltige Forschung und Entwicklung vom Standort Österreich aus auch langfristig fördern. Hier sehen wir, dass die Schere zwischen innovativen Arzneimitteln und Generika sehr stark auseinandergeht. Die Anforderungen an Arzneimittel, aber auch an Medical Devices steigen immer mehr. Dadurch steigen aber auch die Entwicklungskosten und es bleibt offen, wie diese zusätzlichen Anforderungen finanziert werden.
Derzeit werden auf EU-Ebene zwei große Gesetzgebungen, die Orphan Medicinal Product Regulation und die General Pharmaceutical Legislation, signifikant überarbeitet. Die bislang bekannten Eckpunkte führten zu Kritik. Wo sehen Sie die Problembereiche der neuen Regelung und welchen Reformbedarf gäbe es?
STEINHART: Die neuen Regelungen greifen den zuvor schon erwähnten Gedanken, Arzneimittel noch sicherer zu machen, auf und sehen noch Aspekte wie Versorgungssicherheit und Bevorratung vor. Grundsätzlich sind das auch gute und berechtigte Forderungen seitens der Politik und der Gesellschaft. Allerdings stellt sich die Frage, wer das finanziert. Im Endeffekt werden die Kosten dafür von der pharmazeutischen Industrie getragen. Wenn nun mit diesen neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen auch überlegt wird, die Marktexklusivität und den Unterlagenschutz zu reduzieren, bleibt uns als Industrie immer weniger Zeit, unsere Investitionen zu refinanzieren und Geld für neue Forschung zu verdienen. Die Folge sind steigende Arzneimittelpreise. Hier fragen wir uns, ob das in die richtige Richtung geht.
Daher müssen wir in den Diskurs einsteigen, was kostet Arzneimittelforschung, was braucht es, um eine Produktidee zur Marktreife zu bringen und welche Rückerstattungsmechanismen unter welchen Rahmenbedingungen wären notwendig. Sonst wird die Schere zwischen Forderungen und Finanzierbarkeit immer stärker auseinandergehen. Es braucht Rahmenbedingungen, die klar vorhersehbar und berechenbar sind, um Forschung und Entwicklung auch wieder schneller und günstiger zu machen. Das heißt für uns Produzenten: Wie schaffen wir es, in kürzerer Zeit mehr Qualität mit weniger Aufwand zu generieren und wie wird diese Innovation entsprechend rückerstattet.
NACHBAUR: Die Vereinheitlichung der Daten, die man für das Reimbursement braucht, wäre ein großes Potenzial, denn diese sind von Staat zu Staat, teilweise sogar regional, höchst unterschiedlich. Hier eine Vereinheitlichung zu schaffen, sehen wir als große Chance, wodurch wir unsere Therapien schneller zu den Patientinnen und Patienten bringen könnten
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