Neue Therapieoptionen wie die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, neue waffen im kampf gegen krebs, schlagen eine
Brücke zwischen monoklonalen Antikörpern und Chemotherapie und werden für zielgerichtete, personalisierte Therapien eingesetzt.
Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Brustkrebsspezialist an der MedUni Wien, stellt im Rahmen des diesjährigen Gipfelgespräches „Onkologie 2030“ in Alpbach klar: „Antikörper-Wirkstoff-Konjugate stehen modellhaft für die innovative Medizin.“ Onkologie ist eines der innovationsträchtigsten Fachgebiete der Medizin, aber auch eines der teuersten und es impliziert viele Herausforderungen. Schon in den 1980er-Jahren gab es Versuche, Medikamente in Zellen einzubringen, die jedoch wieder einschliefen. „Jetzt können wir Substanzen sehr gezielt in die Zellen einschleusen“, betont der Onkologe und Stammzellenexperte Univ.-Prof. Dr. Paul Höcker und sieht im Vergleich zur Situation in den 80ern die Entwicklungen heute sehr positiv: „Für die Patientinnen und Patienten und auch für die Medizin.“
Wirkprinzip und Therapieerfahrungen
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Antibody Drug Conjugates, ADCs) adressieren Eiweißstrukturen auf der Oberfläche von Tumorzellen und bringen Substanzen in die Zellen ein. „ADCs sind ein trojanisches Pferd. Sie bringen eine giftige Ladung, mit – die sogenannte Payload“, erklärt Gnant den Mechanismus. „Das Geniale ist, dass wir das Zellgift nicht systemisch per Infusion verabreichen, sondern es direkt an den Ort des Geschehens bringen. Wir verwenden die Adresse, den Antikörper, als Targeting für den Wirkort. Dort bindet das Molekül, der Linker – eine Art Kupplung – geht auf und das Zellgift wird freigesetzt. Damit bringen wir sehr viel mehr lokale Dosis in die Zelle, als das durch Infusion oder Injektion jemals möglich wäre. Die Wirkung entfaltet sich nicht nur an der Zieladresse, sondern auch rundherum.“ Dr. Wolfgang Wein, Experte aus der Pharmaindustrie ergänzt: „Wir haben drei strategische Ansatzpunkte, bei denen man bei ADCs der neuen Generation anknüpfen kann: bei der Verbesserung des Bindungsverhaltens, bei den Payloads mit verschiedenen aktiven Substanzen und beim großen Spektrum der Kombinationen, also ADC plus Chemotherapie, TKIs (Tyrosinkinaseinhibitoren) oder Immuncheckpoint-Inhibitoren.“
Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass ADCs die Onkologie revolutionieren. „Wir haben derzeit ein halbes Dutzend in klinischer Praxis und etwa 200 in klinischer Entwicklung. Mit unterschiedlichen Antikörpern, Payloads und Linkers ergibt das viele Herausforderungen in der Sequenztherapie“, gibt Gnant Einblick. Die Erforschung der ADCs ist aber innovativ und teuer. Zudem gibt es eine Reihe von spezifischen, relativ neuen Nebenwirkungen. Der Onkologe Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Gabriel Rinnerthaler von der Med Uni Graz hat in seinem Schwerpunktbereich Mammakarzinom bereits Erfahrungen mit ADCs gemacht: „Damit haben sich Prognosen deutlich verbessert.“ Seine Abteilung hat derzeit drei ADCs in Verwendung, wobei er bessere Wirkungen als bei Standardmedikamenten, gute Ergebnisse beim Einsatz im frühen Setting, aber auch neue Nebenwirkungsprofile als Erfahrungswerte nennt. „Je besser wir unsere Patientinnen im frühen Setting behandeln, umso weniger Rezidive werden wir sehen und umso weniger metastasierende Patientinnen im Brustkrebsfall werden wir behandeln müssen“, ist der Onkologe überzeugt.
Problematik der Biomarker
Entscheidend sei die Frage der Sequenzierung, um den bestmöglichen Erfolg für eine Patientin zu erreichen. „Wir sprechen bereits von einer tumoragnostischen Therapie, das heißt, wir untersuchen spezielle Biomarker im Tumor, um zu überprüfen, ob das Medikament für eine größere Breite an Patientinnen wirksam ist“, so Rinnerthaler. Diese Biomarker seien sehr kontextabhängig. Es gilt, mehr über die genauen Wirkmechanismen zu erfahren. Das bestätigt auch Dr. Christa WirthumerHoche, Expertin für Arzneimittelzulassungen. Sie betont: „Da es bei ADCs gravierende Nebenwirkungen geben kann, sind sorgfältige Protokolle in der klinischen Prüfung wichtig. Zunächst werden die Substanzen für einen sehr eingeschränkten Personenkreis zugelassen. Je vollständiger das Sicherheitsprofil ist, für desto mehr Indikationen werden sie eingesetzt.“ Für die Identifikation der Biomarker müsse es entsprechende Analysemöglichkeiten geben, denn eine optimierte Reaktion auf ADCs sei im Interesse der Patientinnen und Patienten. „Die Erforschung von Biomarkern zu finanzieren ist am vernünftigsten, da sie eine zielgerichtete Therapie ermöglichen“, ergänzt Wein.
Nebenwirkungen und hausärztliche Praxis
Für die Nebenwirkungsprofile kommt dem niedergelassenen Bereich eine besondere Bedeutung zu, wie Gnant betont, denn: „Es gibt keine harmlosen Nebenwirkungen.“ Daher ist die Information aller Beteiligten wichtig. Patientinnen und Patienten sind zunehmend digital und wissen oft, was bei ihrer Therapie passieren kann. Daher ist hier der niedergelassene Bereich, dem sie Vertrauen schenken, die entscheidende Schnittstelle, die es zu stärken gilt. Der Allgemeinmediziner Dr. Erwin Rebhandl beschreibt vor allem, dass die Situation für Hausärztinnen und Hausärzte komplexer geworden ist. Wichtig sei eine gezielte, bedarfsgerechte Information über neue Therapien für Hausärztinnen und Hausärzte und vor allem über Nebenwirkungen. Außerdem brauche es eine gute Kommunikation mit den onkologischen Zentren. „Die Vernetzung mit den Zentren ist wichtig, damit die Menschen bei den niedergelassenen Behandlern in enger Abstimmung mit dem Zentrum betreut werden. Das bietet optimale Sicherheit“, so Rebhandl. Für die hausärztliche Praxis besteht zudem der Wunsch, relevante Informationen in der Fortbildung abzudecken. Dem pflichtet Dr. Stefan Kastner, Chirurg und Präsident der Ärztekammer Tirol, bei: „Es gilt, die Prinzipien einer Therapie zu erklären und welche Nebenwirkungen sie haben kann.“ Das ließe sich in Fortbildungen gut vermitteln. Zudem sind für Betroffene wie auch medizinisches Fachpersonal der Kontakt wichtig – gerade am Land – und dafür müssen Strukturen gefunden werden. Für den niedergelassenen Bereich brauche es jedoch ausreichende Ressourcen, betont Rebhandl: „Wir brauchen mehr ärztliche Ressourcen, mehr Zeit und die Einbindung anderer Gesundheitsberufe. Primärversorgungszentren können die Erfordernisse besser erfüllen als Einzelpraxen, aber Einzelpraxen können sich auch gut vernetzen oder einen Schwerpunkt setzen. Zudem könnten andere Gesundheitsberufe im Netzwerk für mehrere Praxen verfügbar sein.“ Auch Gnant hält Primärversorgungseinheiten, die sich spezialisieren oder eine inhaltliche Aufteilung von Spezialkompetenzen vornehmen, für Schnittstellen der Zukunft. „Die Betreuung geht hier in die Breite und die Digitalisierung kann sie zwar nicht komplett ersetzen, aber unterstützen.“ Auch in der onkologischen Pflege, bei der Einbeziehung von Apotheken oder Telemedizin gebe es gute Entwicklungen.
Entscheidende Kostenfragen
Ein zentraler Aspekt von ADC-Therapien sind die Kosten. Sowohl die Entwicklungsprozesse als auch Medikamente und Therapien sind teuer, obwohl die Gesamtkosten der Medikamentenausgaben gleichgeblieben sind. Aus Sicht der Pharmaökonomie sagt dazu Univ.-Prof. Dr. Bernhard Schwarz, Institut für Gesundheitsökonomie und Präsident der Karl Landsteiner Gesellschaft: „Abhängig vom Verschreibungsvolumen gibt es beim Erstattungspreis eine Dynamik nach unten. Wenn ich eine breite Indikationsgruppe habe, dann habe ich einfach ein viel größeres Potenzial, auch bei einer geringen Preisspanne. Bei einem kleinen Patientenkollektiv mit einem sehr großen Leidensdruck muss eine andere Preisspanne genutzt werden – vor allem bei begrenzten Budgets. In der Praxis gibt es einen pragmatischen Mittelweg.“ Da bei immer mehr Menschen die Krebserkrankung chronifiziert, entsteht das Dilemma Kosten versus Alter. „Wir werden hier in ein finanziell-ethisches Dilemma rutschen. Krebs betrifft immer mehr ältere Menschen, zugleich wird die Ressource Arzt knapper und ebenso die finanziellen Mittel. Daher sollte überlegt werden, welche Aspekte auch mit anderen Berufsgruppen unterstützt werden können, etwa durch hochspezialisierte Pflege. Das Ziel muss sein zu definieren, wo Patientinnen und Patienten mit welcher Entität behandelt werden. Viele Aspekte in systemischen Therapien müssen nicht aus dem Krankenhaus kommen – das machen andere Länder vor“, sagt Kastner.
Die Patientenselektion spielt in der Kostenfrage generell eine wesentliche Rolle. Wenn teure Therapien bei den richtigen Patientinnen und Patienten ankommen, dann ist auch der Einsatz der Mittel gerechtfertigt, ist Rinnerthaler überzeugt. In anderen Ländern wird verhandelt, ob teure Therapien altersabhängig sein können, so die Onkologin Dr. Elisabeth Pittermann. „Natürlich darf man mit innovativen Medikamenten bei Kindern nicht sparen, denn sie haben die längste Lebensspanne vor sich, aber eine Therapie sollte kein Kriterium des Alters sein. Relevant soll sein, wie weit eine Patientin oder ein Patient eine Therapie halbwegs gut überleben kann“, ist Pittermann überzeugt.
Kastner hält die Datenqualität in Bezug auf die ältere Patientengruppe für unzureichend: „Wir haben gelernt, dass Frauen und Kinder anders funktionieren, aber der alte Mensch ist wieder anders. Wir brauchen auch Studien zu älteren Menschen, in denen die Lebensqualität wichtiger ist als das Überleben. Denn wir sind laut Ärztegesetz verpflichtet, die bestmögliche Therapie für unsere Patientinnen und Patienten einzusetzen.“ Auch Schwarz hält eine klinische Evidenz für erforderlich, immerhin seien die Therapiekosten beim älteren Menschen zeitlich limitiert, weil die Lebenserwartung nicht mehr so groß ist.
Therapien als Alterfrage
Rinnerthaler ist überzeugt, dass das biologische Alter deutlich relevanter ist als das kalendarische. „Wir haben mittlerweile Tools für eine bessere Abschätzung zur Verfügung und können auf deren Basis Therapieentscheidungen fällen.“ Einfache Tools beginnend beim Schrittzähler sind Möglichkeiten, die Belastbarkeit zu testen. „Auch Selbstständigkeit und Mobilität sind in Bezug auf die Therapie im Alter wichtige Punkte und werden aus meiner Sicht in den Studien zu wenig abgebildet“, so Rinnerthaler. Daten zur Belastbarkeit sind demnach dringend erforderlich. Dass Österreich bei der Altersfrage Vorreiter ist, findet Gnant wichtig. Alter sei lediglich eine Zahl, aber kein Kriterium. Heute fließen in Studienkriterien nicht nur Effizienzkriterien ein, sondern auch die Lebensqualität als Endpunkt.
Rebhandl betont, dass auch der Patientenwille nach guter Aufklärung eine relevante Größe ist, denn Patientinnen und Patienten haben meist eine klare Meinung. Im Gespräch in der Hausarztpraxis sei es wichtig zu wissen, was in der Klinik besprochen wurde, wie die Prognose bei Therapie eingeschätzt wird und welche Nebenwirkungen erwarten werden müssen. „Mündige Patientinnen und Patienten – und auch ältere Personen sind mündig – treffen dann eine gute Entscheidung für ihren weiteren Behandlungsweg“, ist Rebhandl überzeugt.
Eine Option zur Mitentscheidung begrüßt auch Pittermann. „Vielleicht ist es besser, Patientinnen und Patienten mit schlechterer Performance und Ältere erst in Phase-IV-Studien einzuschließen“, schlägt Wein vor. Dem kann auch Wirthumer-Hoche etwas abgewinnen, denn neue Substanzen würden ohnehin zunächst in einem engen Spektrum zugelassen, um Grunddaten zu sammeln, und erst dann erweitert. Abschließend sind alle Expertinnen und Experten einig, dass Krebs weitgehend als chronische Erkrankung gelten kann. Zentrales Thema ist jedoch die Früherkennung, im Idealfall über einfache Screenings – hier ist jeder Cent gut investiert, denn: „Die Spuren des Feindes im Plasma können sich immer schlechter unserer Diagnostik entziehen“, sagt Gnant.
Wien: Hotspot für internationale Brustkrebs-Expertise
Vom 12. bis 15. März 2025 ist das Austria Center Vienna Schauplatz der 19. St. Gallen International Breast Cancer Conference. Der hochkarätig besetzte Event bietet Updates zu allen relevanten Aspekten der Behandlung von frühem Brustkrebs (EBC, Early Breast Cancer), Vorträge zum aktuellen Stand der Wissenschaft sowie Diskussionen zu brisanten Themen. Die wissenschaftliche Veranstaltung wurde vor fast vier Jahrzehnten ins Leben gerufen und hat viele Phasen der Forschung und klinischen Entwicklung erlebt. Sie begann in den frühen Achtzigern als kleines Treffen in den Schweizer Alpen und übersiedelt nun – auf Grund des enormen Zuwachses an Teilnehmenden – erstmals nach Wien. Vier organisatorische Co-Vorsitzende, zusammen mit einem internationalen wissenschaftlichen Programmkomitee, erstellen ein innovatives Programm, das Spitzenforschung präsentiert und deren Umsetzung in die klinische Praxis an vielen Orten der Welt unterstützt. „Internationale Referenten aus führenden Brustkrebsforschungsgruppen und -zentren teilen auf dem Event in Wien ihre neuesten Forschungsergebnisse“, freut sich Univ.- Prof. Dr. Michael Gnant, Brustkrebsspezialist an der MedUni Wien und einer der vier Vorsitzenden. Die Konferenz endet mit der renommierten St. Gallen Konsensus-Sitzung, in der die Empfehlungen der weltweit führenden Experten zur Behandlung von frühem Brustkrebs formuliert werden.
Programm, Info und Anmeldung:
https://www.sg-bcc.org