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Tabuthema Wechseljahre

Tabuthema Wechseljahre

Rund ein drittel der Frauen haben um die Lebensmitte starke Wechselbeschwerden. Trotzdem ist gerade
diese Phase ihres Lebens bisher in der Gesellschaft ein Tabuthema geblieben, das fälschlicherweise fast ausschließlich
als „Privatsache“ gesehen wird. Höchste Zeit, dies zu ändern, hieß es dazu bei den 11. PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen in Alpbach. Dies gilt speziell auch für die Arbeitswelt.

Ein PRAEVENIRE Talk mit hochrangiger Besetzung: „Frauengesundheit in der Lebensmitte“. Unter den Podiumsteilnehmern: Dr. Veronika Pelikan, Gründerin der Plattform „www.wechselweise.at“. Für sie ist es durchaus eine Art Faszinosum, wie wenig das Thema Wechseljahre bisher in der Öffentlichkeit präsent ist. Die Demografie zeigt etwas ganz anderes. „Jede vierte Frau in Europa ist zwischen 45 und 60 Jahre alt und somit in den Wechseljahren. Es gibt zu wenig evidenzbasierte Aufklärung für Frauen in dieser Lebensphase. Eine Enttabuisierung der Wechseljahre würde auch das Gesundheitswesen entlasten.“ Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) betonte in einem Video-Statement die Bedeutung des Themas: „Es ist ganz essenziell, dass Frauen ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen und informierte Entscheidungen treffen können. Mir ist es besonders wichtig, die Gendermedizin zu stärken. Der Körper der Frau verändert sich stark im Laufe des Lebens. Der Gender-Health-Gap darf sich nicht noch weiter verschärfen.“

Wir brauchen Awareness für Frauen in den Wechseljahren am Arbeitsplatz.
Veronika Pelikan

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, die Wechseljahre für einen Teil der Betroffenen eklatante Auswirkungen haben. Veronika Pelikan: „Es gibt britische Studien, wonach etwa ein Drittel der Frauen um die 50 dem Arbeitsmarkt abhanden kommen, weil sie so starke Beschwerden haben. Man stelle sich vor, dass jeder dritte Mann um die 50 in den Unternehmen ausfällt. Das ist eine Horrorvorstellung.“ Anstatt die Probleme offen zur Sprache bringen zu können, werden Beschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Herzrasen etc. sozusagen „privatisiert“. Die Konzentration auf den Begriff Menopause sei falsch so die Expertin: „Es fängt viel früher an, bis zu zehn Jahre früher. Statistisch kommen die Frauen mit 51 Jahren in die Wechseljahre. Zwölf Prozent der Frauen kommen aber schon viel früher in den Wechsel. Das kann auch mit 30 Jahren sein. Diese Frauen sind besonders arm, weil man sie selten ernst nimmt.“

Ein Drittel mit starken Beschwerden
„Ein Drittel der Frauen hat keine Wechselbeschwerden. Ein Drittel sagt, es wäre ‚so la la‘. Ein Drittel der Frauen hat starke Beschwerden. Um die muss man sich kümmern“, erklärte die Expertin. Herzrasen sei ein ganz wichtiges Symptom, das oft nicht erkannt werde. Schlaflosigkeit und Gewichtszunahme kämen hinzu. „Die Frauen haben auch ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes.“ Stoffwechselerkrankungen, Herz-Kreislauf-Leiden und schließlich die Osteoporose seien oft die Folge. Wobei die demografische Entwicklung die Situation deutlich verschärft hat. Veronika Pelikan: „Noch um 1900 wurden die Frauen nicht einmal 50 Jahre alt.“ Heute liege die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in Österreich bei mehr als 80 Jahren. „Das macht einen Unterschied“, stellte die Expertin fest. Dabei ließen sich mehrere Problemfelder bezüglich der Gesundheitsversorgung von Frauen im Wechsel erkennen: mangelndes Wissen führt auch dazu, dass Betroffene ihre Symptome und Probleme oft nur schlecht beschreiben und definieren könnten. Ein strukturelles Problem, so Veronika Pelikan: „Es existiert keine genaue Zuordnung zu einer medizinischen Fachrichtung. Allgemeinmedizin? Gynäkologie? Endokrinologie?“

Nach dem Super-GAU
Hinzu komme, dass es zwar Mittel gebe, die Beschwerden der Betroffenen zu lindern, diese aber oft nicht benutzt würden. „Es gibt ein falsches Bild von der Hormontherapie. Etwa um das Jahr 2000 war man zunächst noch euphorisch. Es hieß, alle bekämen eine Hormontherapie. ‚Wir bleiben jung, uns wird es gut gehen‘, lautete die Erwartung. Dann kam die WHI-Studie (Women’s Health Initiative-Study) mit einem sehr hohen Brustkrebsrisiko (bei Anwendung der Hormontherapie; Anm.).“ Dies führte großteils zu einer radikalen Abkehr von der Anwendung der Hormontherapie zur Behandlung von Wechselbeschwerden. Die WHI-Studie wurde schließlich re-evaluiert. Das Ergebnis, so die Expertin: „Man ist draufgekommen, dass, wenn man die Studie um jene Frauen bereinigt, welche gar keine Hormonersatztherapie bekommen hätten sollen, welche bereits zu alt waren und welche die falschen Medikamente erhalten hatten, durchaus positive Ergebnisse zu beobachten gewesen wären.“ Mittlerweile gebe es auch bioidente Hormone für eine bessere medikamentöse Therapie. Noch immer sei aber die WHI-Studie ist sozusagen in den Köpfen der Frauen und der Ärzte fix verankert. Das Ergebnis sei eine oft schlechte medizinische Versorgung, so Dr. Veronika Pelikan: „So bekommen die Frauen eben einen Betablocker gegen das Herzrasen, es kommt zu einer langfristigen Belastung für das Gesundheitswesen durch Osteoporose, Typ-2-Diabetes, vasomotorische Erkrankungen, Inkontinenz und frühzeitige Pflegebedürftigkeit.“ Erhöhte Gesundheitskosten und vermehrte Krankenstände seien ebenfalls die Folge. „Frauen über 50 haben damit schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jede dritte Frau geht nicht direkt vom Job in die Alterspension. 67 Prozent der Frauen in Österreich bekommen eine Ausgleichszulage, weil sie die notwendigen Versicherungsjahre nicht aufweisen“, erklärte die Experten.

Die Wechseljahre beginnen nicht mit Hitzewallungen und Schweißausbrüchen, sondern mit zunächst unerklärlicher Gewichtszunahme.
Wilhelm Marhold

Jede Menge falscher Mythen
Vehement gegen eine ganze Reihe falscher Vorstellung wandte sich Dr. Wilhelm Marhold, Gynäkologe mit jahrzehntelanger Erfahrung und ehemals auch Chef des Wiener Krankenanstaltenverbundes. Seine Kernaussagen:

Mythos 1: Die Wechseljahre beginnen mit Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und Haarverlust.
„Falsch! Die Wechseljahre beginnen mit einer unerklärlichen Gewichtszunahme“, sagte Marhold. Oft kämen Frauen zum Gynäkologen und seien ratlos, weil sie kaum mehr etwas essen würden und trotzdem zunähmen. „Früher hat man die Frauen dann mit Diäten gequält. Gegen die Kreuzschmerzen hat der Orthopäde 30 Schlammpackungen verschrieben und war froh, dass er die Patientin ein halbes Jahr nicht mehr gesehen hat. ‚Psychisch nah am Wasser gebaut‘ – das waren dann die Antidepressiva und die Schlafpulver gegen die Schlafstörungen. Den Frauen ist es aber damit nicht besser gegangen“, betonte der Gynäkologe. Was gefehlt habe, so der Experte: „Ein ‚Haucherl‘ Östrogen.“

Mythos 2: Auf Hormone (im Rahmen einer Ersatztherapie; Anm.) nimmt man zu.
Marhold: „Falsch! Der Hormonmangel führt zu dieser atypischen Fettverteilung. In der Jugend steckt unser Körper 17 bis 19 Prozent der Gesamtenergiemenge in die Produktion von Hormonen.“ Falle die Hormonproduktion zunehmend weg, komme es zu einem Energieüberschuss. „Und was macht der Körper bei einem Energieüberschuss? Er macht Fett“, sagte der Experte. Die Situation betreffe übrigens sowohl Frauen als auch Männer. Der Gynäkologe: „Bei den Männern werden ab 55 Jahre die Beine dünn, der Hintern verschwindet und der Bauch oder die Schwimmreifen wachsen. Auch die Männer bekommen eine atypische Fettverteilung. Sie haben nur das Glück, dass das über viele Jahre hinweg geschieht, sich bei den Frauen aber auf wenige Jahre zusammendrängt.“

Mythos 3: Ich nehme keine Hormone. Das sind „Medikamentenbomben“.
„Falsch! Eine Hormonersatztherapie eben mit einem ‚Haucherl‘ Östradiol fehlt. Wir wollen die Kurve des Hormonabfalls ein bisschen anheben. Damit die Hormonrezeptoren zu rebellieren aufhören. Die minimal niedrigste Dosis ist bereits wirksam. Das ist die Kunst“, sagte Marhold. Man könne aus einer 50-Jährigen keine 18-Jährige machen. Aber man könne – am besten frühzeitig – die belastenden Symptome der Wechseljahre lindern. „Das sollte frühzeitig geschehen. Wenn es schon zu Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Haarausfall und Gewichtszunahme kommt, dann ist es zu spät. Dann rebelliert schon der ganze Körper und alle Hormonrezeptoren – und der Fettstoffwechsel hat sich umgestellt“, so der Experte. Auf aussagekräftige Laborwerte warte man oft vergebens. Marhold: „Man muss wissen, dass das Labor den Symptomen oft um drei Monate nachhinkt.“ Für Frauen ohne die klassischen Wechselbeschwerden, aber zum Beispiel mit trockener Haut, gebe es lokal anzuwendende Hormonpräparate, die eine gute Wirkung zeigten.

Die Symptome sind unspezifisch und werden zunächst oft nicht richtig interpretiert.
Erwin Rebhandl

IIn betrieblicher Gesundheitsförderung nicht existent
„Ich arbeite seit 20 Jahren in der betrieblichen Gesundheitsförderung, aber das Problem der Wechseljahre ist mir bis vor einem halben Jahr im beruflichen Kontext nie über den Weg gelaufen“, kritisierte Mag. Cornelia Dankl, Obfrau von HR Circle Österreich. Was für die jüngeren Frauen die Menstruation sei, seien eben später die Wechseljahre. Man müsse die Männer mitholen. Aufholbedarf gebe es auch für die Arbeitsmedizin. Cornelia Dankl: „Da hört man von der Grippeimpfung und der Zeckenimpfung und Vorträge über Ergonomie.“ Von den Wechseljahren und den Beschwerden vieler Frauen werde aber offenbar nicht geredet. Das Thema könne nicht nur „privat“ sein.“

Zuhören an der Tara
„Wir haben das Thema der Wechseljahre täglich an der Tara. Es ist ja bekannt, dass die Frauen die Apotheken besuchen und sehr offen über die Probleme in den Wechseljahren reden. In seltenen Fällen kommen Hormone zum Einsatz. Es gibt aber die Phytohormone. Die Mutter Natur hat viele Kräuter gefunden“, betonte Mag. Pharm. Gunda Gittler, Vorstandsmitglied von PRAEVENIRE. Die Apotheken sind buchstäblich in zweifacher Weise mit dem Thema der Wechseljahre der Frau betroffen: durch die Kundinnen und auch im eigenen Bereich. Gunda Gittler: „Die Apotheke ist zu einem guten Teil weiblich.“ Es gehe also auch um die Mitarbeiterinnen. Im Spital habe sie als Leiterin der Anstaltsapotheke des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Linz dazu auch Erfahrungen gemacht. So hätte man in einem Fall mit den in Apotheken möglichen Teildiensten helfen können.

Hausärzte informieren!
„Alle die Symptome der Frauen sind unspezifisch und werden von den Betroffenen oft nicht sofort als Wechselbeschwerden interpretiert. Das müssen die Hausärzte tun. Zehn bis 15 Prozent der Frauen haben solche Beschwerden, aber es gibt keine Konsequenzen. Da sollte man nachschauen und mit dem Gynäkologen sprechen, die dann eine Therapie, die ja tatsächlich wirksam ist, einleiten“, meinte Dr. Erwin Rebhandl, Praevenire-Vorstandsmitglied und Präsident von AM Plus. Man müsse dafür aber jetzt auch die Allgemeinmediziner wieder besser informieren, ist Rebhandl überzeugt. „Es hat die Phase gegeben, da wurde die Hormonersatztherapie stark empfohlen. Dann hat es die Berichte über mehr Mammakarzinome gegeben und das ist total eingebrochen. Es hat sich lange nichts getan. Jetzt ist man viel gescheiter, die Sache hat sich weiterentwickelt. Jetzt muss wieder an die Hausärzte das Wissen herangebracht werden, dass man eine Hormonersatztherapie durchaus machen kann“, stellte der Experte fest. Da sei praktisch eine Generation an Allgemeinmedizinern verloren worden. Die Nachkommenden würden da wohl schon wieder besser informiert sein. Mehr klinische Studien mit Frauen als Probandinnen und auch mehr Real-Life-Daten aus Studien der Phase IV erhöhen die Sicherheit von Arzneimitteln. „Es ist sehr gut, dass die Enttabuisierung des Themas der Wechseljahre gestartet wird. Um die Sicherheit von Arzneimitteln zu dokumentieren und Aussagen treffen zu können, sind klinische Studien erforderlich. Sie müssen ergänzt werden durch Informationen aus der breiten Anwendung. Je mehr Daten wir bekommen, desto besser wird das Sicherheitsprofil“, sagte Prof. DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche, Expertin für Regulatory Affairs. Lange hätte man Frauen nur beschränkt in klinische Studien aufgenommen. Das habe besonders für Frauen im gebärfähigen Alter gegolten. Die Daten aus den klinischen Untersuchungen hätten eher die Informationen der typischen Probanden, Männer um die 40, wiedergegeben. „Da ist noch viel zu tun“, meinte die Expertin. Die Situation sei nicht unähnlich jener bei den Kinderarzneimitteln vor einigen Jahren. Aufholbedarf sei bezüglich des Wissens zu medikamentösen Therapien in den Wechseljahren jedenfalls gegeben.

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