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Leben mit Krebs

© Birgit Machtinger, Christine Höflehner, Privat, German Levitsky, Caro Strasnik, Beigestellt, Manfred Weis, Peter Provaznik

Leben mit Krebs

© Birgit Machtinger, Christine Höflehner, Privat, German Levitsky, Caro Strasnik, Beigestellt, Manfred Weis, Peter Provaznik

Beim zweitem PRAEVENIRE Bloggertalk diskutierten Betroffene sowie Expertinnen und Experten die für Krebspatientinnen und -patienten und deren Angehörige oftmals essenziellen Themen „Krebs als Lebensumstand“ und „Arbeitsplatz, Wiedereingliederung, Mut“. | von Rainald Edel, MBA

Nach dem großen Erfolg des ersten PRAEVENIRE Bloggertalks Krebs im Jahr 2019, der wichtige Facetten rund um das Thema Krebs sehr breit abdeckte, fand dieses Format 2020 seine Forts­etzung. In zwei Talkrunden diskutierten Ex­pertinnen und Experten zum Thema „Krebs als Lebensumstand“ — vor, während und nach der Therapie, Langzeitfolgen und Lebensqualität, emotionaler Umgang mit der Erkrankung — sowie den Themenbereich „Arbeitsplatz, Wiederein­gliederung, Mut“. Über Facebook und YouTube konnten Interessierte den PRAEVENIRE Bloggertalk Krebs als Live-Event verfolgen bzw. können diesen nach wie vor abrufen.

„Krebs als Lebensumstand“

„Der erste Talk orientierte sich an der Patientengeschichte — von der Diagnose über die Therapie, den Krankheitsverlauf bis zu den Langzeitfolgen unter Berücksichtigung der Psyche und des emotionalen Umgangs mit der Erkrankung Krebs“, steckte Martina Hagspiel, Gründerin von Kurvenkratzer — InfluCancer, die den diesjährigen PRAEVENIRE Bloggertalk Krebs moderierte, den Rahmen der ersten Informationsrunde ab.

„Nach der ersten Reaktion auf die Diagnose, die je nach Typ durch Schockstarre, sich verschließen oder Aktionismus überwunden wird, kommen die meisten Patientinnen und Patienten, nachdem die medizinische Versorgung geklärt ist, an einen Punkt, wo sie beginnen, das Thema aufzuarbeiten und sich neu ausrichten. Das ist oft jene Phase, in der den meisten die Kostbarkeit des Lebens deutlich wird und der Wunsch, das Leben aktiv zu gestalten“, schildert Alf von Kries, Psychoonkologe und Psychologischer Psychotherapeut. Patientinnen und Patienten sind erstmal alleine unterwegs und sollten sich Zeit nehmen, ihren Gedanken und Gefühlen, ihrer Trauer oder auch glückseligen Momenten Raum zu geben. Ein weiterer Schritt ist es, sich Begleitung für die seelische Seite von außen dazu zu holen, zum Beispiel einen Menschen des Vertrauens. Alf von Kries wünscht sich, dass Patientinnen und Patienten bereits mit der Diagnosestellung auch auf die Psychoonkologie aufmerksam gemacht werden und darauf, dass sie in jeder Phase der Erkrankung eine hilfreiche Begleitung sein kann. „Um die Lebenserfahrung Krebs zu meistern, braucht es neben der passenden Therapie auch die seelische Komponente“, so von Kries.

Diskutierende Teil 1: „Krebs als Lebensumstand“

1    Mag. Claudia Altmann-Pospischek | metastas­ierte Brustkrebspatientin und Krebs-Bloggerin „Claudias Cancer Challenge“

2   Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Marija Balic | klin­ische Abteilung für Onkologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin, LKH-Universitätsklinikum Graz, Vizepräsidentin der ABCSG (Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group)

3   Dipl.-Psych. Alf von Kries | Psychoonkologe und Psychologischer Psychotherapeut

4   Prof. Dr. Renate Tewes | Diplom-Psychologin, ausgebildete Krankenschwester, Pflegewissenschaftlerin und Coach

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Eine entscheidende Rolle kommt auch dem Gespräch zu, in dem Betroffene ihre Diagnose Partnern, Kindern, Familie, Freuden erstmals mitteilen. „Es empfiehlt sich für die Kommunikation einer Krebsdiagnose einen ruhigen Ort zu wählen, sich Zeit für das Gespräch zu nehmen, klare Worte zu finden und die Dinge beim Namen zu nennen. Auch die Diagnose selbst sollte als solche benannt und nicht die Situation umschrieben werden“, rät Prof. Dr. Renate Tewes, Diplom-Psychologin, ausgebildete Krankenschwester, Pflegewissenschaftlerin und Coach. Ebenso ist es gut, sowohl Verniedlichungen als auch Dramatisierungen möglichst zu vermeiden. Danach müsse man seinem Gegenüber Zeit geben, die Informationen individuell zu verarbeiten. Noch viel herausfordernder ist es, wenn das Gespräch mit Kindern geführt wird. Doch ist es absolut wichtig, mit ihnen darüber zu sprechen, denn ein altersadäquates Gespräch kann durchaus für beide Seiten entlastend sein.

„Körper, Geist und Seele beeinflussen einander wechselseitig. Daher ist es gut, während der Erkrankung auch am Selbstbewusstsein zu arbeiten“, rät Tewes. Für mehr Selbstbewusstsein und Kraft gibt Tewes einige praxisnahe Impulse für den Alltag und nennt auch das „Powerposing“, eine Körperposition mit positivem Einfluss.

Wenn es um das Arztgespräch, die Vorbe­reitung darauf und die Arzt-Patienten-Be­ziehung geht, konnte im Rahmen des PRAEVENIRE Bloggertalks Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Marija Balic von der klinischen Abteilung für Onkologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin, LKH-Universitätsklinikum Graz, Information und Orientierung geben. „Es ist sehr wichtig, dass sich Patientinnen und Patienten auf die Gespräche mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt entsprechend vorbereiten. Besonders viel Vorbereitung von beiden Seiten erfordert dabei das Erstgespräch“, so Balic. Grundsätzlich sei es hilfreich, wenn Patientinnen und Patienten sich im Vorfeld über das Internet informieren. Allerdings sollten die dort gefundenen Informationen immer kritisch hinterfragt und gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt besprochen werden. Eine personelle Kontinuität in der Betreuung wäre sehr zu empfehlen, allerdings sei diese nicht immer möglich. Daher sei auch die Vorbereitung auf Folgegespräche sehr wichtig. „Was bedeutet für mich die neue Lebenssituation? Was bringt sie mit sich? Was kommt auf mich zu? Wie ist der Ablauf? Wie ist mein Umfeld. Wen kann ich kontaktieren? All das sind Fragen, die helfen, möglichst erfolgreich die Zeit gemeinsam durchzustehen“, so Balic. Auch die Lebensumstände der erkrankten Personen, ihr Umfeld, ihre individuellen Lebenssituationen und Lebensziele gilt es in das Patientengespräch und in die Therapieentscheidung miteinzubeziehen. Für ein gutes Gespräch bedarf es auch des Mutes der erkrankten Person, das auszusprechen, was ihr am Herzen liegt.

„Lebensumstand Krebs“ und seine Bedeutung im metastasierten Setting: Einen nochmal besonderen Blickwinkel wirft Mag. Claudia Altmann-Pospischek, selbst metastasierte Brustkrebspatientin und Krebs-Bloggerin „Claudias Cancer Challenge“, auf den „Lebensumstand Krebs“. „Gerade im metastasierten Setting umfasst das Wort Umstand einfach zu wenig. Der Krebs beherrscht unser Leben und wir müssen Tag für Tag damit leben“, so Altmann-Pospischek. Metastasierte Patientinnen und Patienten leiden an einer chronischen, unheilbaren Erkrankung, die im besten Fall für eine gewisse Zeit stabilisiert werden kann. Metastasierte Patientinnen und Patienten können nie wieder in ihr altes Leben zurück und sind stattdessen mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Daher habe sich der Fokus vor allem auf die Lebensqualität verlagert. „Metastasierte Patientinnen und Patienten können in den meisten Fällen aufgrund ihrer Erkrankung und all den Behandlungen auch nicht mehr Vollzeit arbeiten, was wiederum finanzielle Einschnitte bedingt. Manche leben auch an der Armutsgrenze“, schildert Altmann-Pospischek ihre Erfahrungen. Der Krebs sei — so ihr Sinnbild — ihr ständiger Beifahrer. Allerding sitze sie hinter dem Steuer und gebe die Richtung vor. Die erste Informationsrunde schließt Tewes mit praxisnahen Impulsen für den Alltag. Da die Krankheit nicht nur Auswirkungen auf den Körper hat, sondern auch auf Geist und Seele, sei es wichtig, während der Erkrankung auch am Selbstbewusstsein zu arbeiten und Kraft zu tanken. „Körper, Geist und Seele beeinflussen einander wechselseitig. Daher gibt es Körperpositionen, die einen positiven Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben, beispielsweise das ‚Powerposing‘. Auch mit der Stimme lässt sich das Selbstbewusstsein unterstützen“, so Tewes.

Diskutierende Teil 2: „Arbeitsplatz, Wieder­eingliederung, Mut“

5   Gabriele Eichhorn, MBA | Leiterin Projekt­entwicklung Health­care bei PORR Beteiligungen und Management GmbH

6   Alexander Greiner | Krebs-Blogger und Autor des Buches„Als ich dem Tod in die Eier trat“

3   Dipl.-Psych. Alf von Kries | Psychoonkologe und Psychologischer Psychotherapeut

7   Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA | Leiter der Fachabteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer NÖ

Moderation: Martina Hagspiel

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Arbeitsplatz, Wiedereingliederung, Mut

„Arbeit erfüllt eine vielfältige Aufgabe, die zumeist weit über den ökonomischen Aspekt hinausgeht. Die Menschen drücken sich über die Arbeit aus, sie hilft ihnen eine Position in der Gesellschaft zu finden. Arbeit ist demnach ein wichtiger Baustein in der Lebensqualität“, betont Alf von Kries. Die Erfahrung einer Krebserkrankung stelle eine Herausforderung dar, mit der sich die betroffene Person lebenslang immer wieder auseinandersetzen muss und die es zu gestalten gilt. „Eine Langzeitfolge der Erkrankung Krebs ist, dass man sich der Kostbarkeit des Lebens sehr gewiss wird und man sich mit so einer drastischen Erfahrung entwickelt und auf gar keinen Fall die Gleiche oder der Gleiche bleibt, neben all den medizinischen Auswirkungen“, so von Kries.

„Ich habe mich zum Experten meiner eigenen Krankheit entwickelt. Vor allem darauf zu schauen, was ist mein Weg und was passt für mich und nicht auf das Urteil anderer zu setzen“, schildert Alexander Greiner, Krebs-Blogger und Autor des Buches „Als ich dem Tod in die Eier trat“ eine seiner wichtigen Erfahrungen. In Folge seiner Krebserkrankung vollzog Greiner einen radikalen beruflichen Wandel vom IT- und Unternehmensberater über seine Tätigkeit als Barista bis hin zum Buchautor und Krebs-Blogger. Um Krankheit und Veränderung vollziehen zu können bedarf es, so Greiner, Mut. Hier müsse jeder seine eigene Kraftquelle finden, die ihn wachsen lasse. Konzentrationsschwierigkeiten und stärkere Stimmungsschwankungen als früher begleiten ihn seit seiner Erkrankung und um ressourcenreich damit umzugehen helfen ihm folgende Fragen: „Was habe ich erreicht, wo möchte ich hin und was ist der Weg dazu, den ich im Rahmen meiner Möglichkeiten gehen kann“, so Greiner.

„Für uns ist es wichtig eine gute Absicherung für alle Betroffenen zu erwirken“, betont Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Fachabteilung Gesundheitspolitik der Arbeiterkammer NÖ. Ein Meilenstein dabei sei das 2017 eingeführte Wiedereingliederungsteilzeitgesetz gewesen. Dies bei einer schrittweisen Rückkehr in den beruflichen Alltag und ermöglicht es gleichzeitig auf Einschränkungen Rücksicht zu nehmen. Auch wenn man als Patientin oder Patient nicht verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine Diagnose mitzuteilen, sei es in manchen Fällen durchaus gut, das Gespräch zu suchen. Ebenso sei es nach Maßgabe durchaus möglich, auch während einer Krebstherapie zu arbeiten. „Durch die Corona-Krise haben sich zum Schutz der Risikopatientinnen und -patienten, zu denen auch Krebspatientinnen und Krebspatienten zählen, die Bedingungen für Heimarbeit oder sogar Freistellung bei Entgeltfortzahlung deutlich verbessert. Diese könnten möglicherweise auch Modellcharakter für die Zeit nach der Krise haben“, so Rupp. Insgesamt gibt es in Österreich rund zwei Mio. Menschen mit krankheitsbedingten Einschränkungen. Daher müsse über Modelle nachgedacht werden, um diese Personengruppe möglichst lange in Beschäftigung halten zu können. „Für viele ist Arbeit eine Ressource. Es soll kein Druck ausgeübt werden, doch es muss die Chance eröffnet und die Möglichkeit gegeben werden, zu arbeiten“, so Rupp.

„Es fehlt derzeit ein Übergang von der Akutbehandlung in die Rehabilitation und es gibt auch keine Verbindung von dort zum Wieder­einstieg in den Beruf oder einer allenfalls vorhandenen arbeitsmedizinischen Betreuung im Unternehmen“, beschreibt Gabriele Eichhorn, MBA, Leiterin Projektentwicklung Healthcare bei PORR Beteiligungen und Management GmbH. „Es fehlt an Programmen, die diese Bereiche verknüpfen“. Da nicht jedes Unternehmen die entsprechende Größe für einen Arbeitsmediziner oder eine Arbeitsmedizinerin hat, wäre aus ihrer Sicht „Fit to work“ die richtige Ansprechstelle, auf freiwilliger Basis den Wiedereinstieg zu vermitteln. „Arbeit ist ein wichtiger Punkt in der Teilhabe an der Gesellschaft. Alle sollten die Chance haben so weit wie möglich wieder das zu tun, was sie können und was sie wollen“, betont Eichhorn. Ein wichtiger Punkt dabei sei auch die Psychoonkologie, die helfen kann, das gegenseitige Verständnis zwischen Erkrankten und Umfeld zu erhöhen. Sie hofft stark auf die telemedizinischen Entwicklungen, um die Durchgängigkeit von Informationen zu erhöhen und bestehende Brüche zu überwinden. Denn speziell nach einer Diagnose Krebs ist für Betroffene und deren Angehörige der Erfahrungsaustausch über die Erkrankung sehr wichtig, betonten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Fast ebenso wichtig erachten sie nach einer Therapie die Möglichkeit eines passenden Weges zurück in das Arbeitsleben und den Alltag.

Der strategische Leitfaden des PRAEVENIRE Bloggertalks zum Thema Krebs ist das PRAEVENIRE Seitenstettener Manifest zur onkologischen Versorgung Österreichs, welches aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, interpretiert und belebt wurde. Das PRAEVENIRE Seitenstettener Manifest wurde 2017 von führenden Expertinnen und Experte aus dem Gesundheitswesen aufgesetzt und umfasst zehn zentrale Punkte rund um die zukünftige onkologische Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten in Österreich. Das Seitenstettener Manifest wird von mehreren Unternehmen unterstützt, so auch von Pfizer Corporation Austria GmbH.

Martina Hagspiel, Gründerin Erfahrungsportal 
„Kurvenkratzer-InfluCancer“


Nachzusehen ist der PRAEVENIRE Bloggertalk Krebs 2020 unter:

www.praev­enire.at/bloggertalk-2020

© Fotocredit: Birgit Machtinger, Christine Höflehner, Privat, German Levitsky, Caro Strasnik, Beigestellt, Manfred Weis, Peter Provaznik

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