Das PRAEVENIRE Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“ gilt als Meilenstein in der österreichischen Gesundheitsversorgung. Mit insgesamt 16 Themenkreisen beschäftigt es sich neben aktuellen Herausforderungen rund um COVID-19 mit all jenen Patientengruppen, die im Schatten von Corona derzeit unterzugehen drohen. PRAEVENIRE drängt damit auf eine Reform des Systems zum Wohle der Patientinnen und Patienten. Im Oktober 2020 wurde das Weißbuch an Österreichs Spitzenpolitiker überreicht. | von Mag. Julia Wolkerstorfer
Insgesamt waren es mehr als 500 Gesundheitsexpertinnen und -experten, die unter Federführung von PRAEVENIRE Präsident Dr. Hans Jörg Schelling neue Lösungsmodelle für das österreichische Gesundheitssystem erarbeiteten. Im Fokus des Weißbuchs mit konkreten Handlungsempfehlungen für Bundes- und Landesregierungen stand die Entwicklung einer Strategie, mit der ein modernes und krisenfestes Gesundheitssystem für die österreichische Bevölkerung erhalten und auf ein nächstes Level transferiert werden kann. Dabei gilt der Mai 2019 als die Geburtsstunde des bisher größten Thinktanks für den österreichischen Gesundheitssektor.
Basis für konkretes Handeln
Bis spätestens 2030 soll auf Basis des Weißbuchs eine Gesundheitsversorgung auf Top-Level erreicht werden — für jeden. Im Fokus steht dabei die Transformation von der Reparaturmedizin zur Präventivmedizin. Mit der Übergabe des Weißbuchs an Österreichs Spitzenpolitik wurde ein solides Fundament geschaffen. „Jetzt gilt es für die Politik, in die Umsetzung zu kommen“, beschreibt PRAEVENIRE Präsident Schelling den fortlaufenden Prozess, der sich als Handlungsempfehlung für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger versteht. „Wir sind nicht am Ende, wir sind mittendrin. Die Medizin entwickelt sich heute so rasant, dass neue Erkenntnisse der Forschung laufend in neue Modelle einfließen. Wir befinden uns mitten in der Zukunft.“
Das Weißbuch wurde im Rahmen der 5. PRAEVENIRE Gesundheitstage von 12. bis 16. Oktober 2020 im Stift Seitenstetten einem renommierten Publikum sowie hochkarätigen nationalen und internationalen Speakern öffentlich vorgestellt. Dabei warf Schelling einen optimistischen, wegweisenden Blick in die Zukunft der Gesundheit: „Uns war es wichtig, der Politik konkrete Vorschläge anzubieten, die teils sofort, teils mittelfristig, in jedem Fall pragmatisch umgesetzt werden können. Jetzt ist die Politik am Ball, doch wir sehen schon jetzt — das Weißbuch wirkt.“
Die Essenzen des Weißbuchs wurden stellvertretend für die Bundesregierung bereits Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie dem Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer, überreicht. „Wir freuen uns darauf, Österreichs Gesundheit gemeinsam mit der Politik auf ein nächstes Level zu heben“, erklärt Schelling. Landeshauptmann Haslauer betonte das bedeutende Signal der Initiative, da Gesundheitspolitik in vielen Bereichen auch Ländersache ist: „Das Weißbuch enthält gute und umsetzbare Denkansätze für Bund und Länder und zeigt, wie ein zukunftsorientiertes Gesundheitssystem aussehen kann.“
Jetzt ist die Politik am Ball, doch wir sehen schon jetzt — das Weißbuch wirkt.
Hans Jörg Schelling
Die Aufgeschlossenheit zur Optimierung und Kooperation wurde zudem durch eine Stellungnahme von Nationalratspräsident Mag. Wolfgang Sobotka unterstrichen. In Bezug auf jene Themenkreise, bei denen der Gesetzgeber aktiv werden muss — wie beispielsweise im Bereich Digital Health sowie bei den Regelungen für telemedizinische Services —, hat Sobotka zugesagt, die erforderlichen Initiativen zu setzen, sodass diese im Parlament eine rasche Behandlung erfahren. Die Übergabe des Weißbuchs an Sobotka, der über langjährige Erfahrung in der Gesundheitspolitik verfügt, fand im Beisein vom Abt des Stiftes Seitenstetten, Mag. Petrus Pilsinger, statt.
Ausrichtung auf alle Patientinnen und Patienten — trotz Corona
Im Fokus aller Überlegungen stand für PRAEVENIRE stets die Ausrichtung auf die Patientinnen und Patienten sowie eine ganzheitliche Sichtweise auf den Menschen. „Am Ende des Tages wollen wir uns in einem State-of-the-Art Gesundheitssystem wiederfinden. Für mich bedeutet das, dass wir den Menschen versprechen können, ihnen stets die bestmögliche Behandlung am letzten Stand der Wissenschaft zukommen zu lassen“, betont Schelling. „Die Sicherstellung einer solidarischen Gesundheitsversorgung ist ein Grundbedürfnis des Menschen und gilt als oberstes Ziel eines erfolgreichen Gesundheitssystems. Wir müssen trotz der hohen Coronazahlen, die das Gesundheitssystem derzeit dominieren, auch jenen Patientengruppen die notwendige Aufmerksamkeit schenken, die in der COVID-19-Disskussion unterzugehen drohen. Die Voraussetzungen, in Bewegung zu kommen und zukunftsweisende Akzente zu setzen, sind heute perfekt“, zeigt sich Schelling überzeugt. „Corona darf uns nicht davon abhalten, über Zukunftsthemen zu sprechen.“ Diese Haltung spiegelt sich auch im wichtigsten Leitgedanken des von Schelling initiierten Weißbuchs wider — Nachdenken. Umsetzen. Jetzt!
Wir werden die erforderlichen Initiativen setzen, sodass die Themen eine rasche Behandlung im Parlament erfahren.
Wolfgang Sobotka
Das österreichische Gesundheitssystem gehört Schelling zufolge sicher zu den Besten der Welt. Doch nicht zuletzt die Coronapandemie hat Schwachstellen an die Oberfläche gebracht. Vor allem die immer älter werdende Bevölkerung und die steigenden Kosten machen eine nachhaltige Reform unumgänglich. „Wichtig ist, dass eine Modernisierung des Gesundheitssystems nicht revolutionär, sondern evolutionär erfolgt. Nur so können wir optimal auf die bevorstehenden Herausforderungen für das Gesundheitssystem und den rasanten medizinischen Fortschritt reagieren“, so Schelling. Aufgabe der Politik sei es, zu gestalten sowie Engpässe rechtzeitig zu erkennen und sich darauf vorzubereiten. Letztere kämen ja nicht nur jetzt in der Coronakrise vor.
Groß gedacht
In der ersten Auflage des Weißbuchs fokussierten sich die Expertinnen und Experten unter anderem auf neue Lösungen im Bereich Prävention, Finanzierung, Digital Health, Forschung, Rehabilitation und Pflege. So dürfe Rehabilitation nicht länger aus einer ausschließlich gesundheitspolitischen Warte betrachtet werden. Stattdessen müsse rasch auf ein ganzheitliches Reha-Konzept gesetzt werden, das sozialpolitische, arbeitsmarktpolitische und gesundheitspolitische Aspekte vereint. In diesem Zusammenspiel soll Schelling zufolge die familienzentrierte Rehabilitation massiv gestärkt werden, denn Kinder und Jugendliche brauchen ein auf sie abgestimmtes Konzept. Schelling dazu: „Es ist essenziell, dass Eltern ihre Kinder im Zuge einer familienzentrierten Rehabilitation begleiten können und dabei finanziell abgesichert sind.“
Zudem müsse die Ausrollung digitaler Lösungen massiv vorangetrieben werden, wie vor allem im Hinblick auf die Versorgungssicherheit chronisch kranker Menschen sichtbar sei. Österreich zeige hier noch massiven Management-Aufholbedarf. Digitales Disease-Management müsse daher auf schnellstem Weg ausgeschöpft werden. Mithilfe digitaler Lösungen sowie Modulen (e-Medikation), die bereits in ELGA integriert sind, könne eine gezieltere Abstimmung der Arzneimitteltherapie zwischen extra- und intramuralem Bereich erfolgen, um eine einfachere Versorgung für Patientinnen und Patienten zu erreichen. „Das während der Pandemie ermöglichte ‚e-Rezept Light‘, das eine telefonische Verschreibung sowie die Übermittlung des Rezepts per e-Medikation, Mail oder Fax an die Apotheke erlaubte, sowie die digitale Krankmeldung sind als administrative Vereinfachungen beizubehalten — auch über den Zeitraum der Pandemie hinaus. Das e-Rezept als Anwendung des e-card-Systems ist in Vorbereitung und soll 2021 konsequent und rasch ausgerollt werden“, fordert Schelling. Für PRAEVENIRE ist darüber hinaus klar: Prävention spart Kosten. Gerade jetzt muss aufgrund der massiven emotionalen und wirtschaftlichen Belastung der Bevölkerung verstärkt auf das Thema Prävention gesetzt werden. „Wir dürfen nicht auf jene Menschen vergessen, die wegen Corona essenzielle Vorsorgeuntersuchungen hintanstellen oder die aufgrund psychischer Belastungen aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu fallen drohen. Wir müssen jetzt in Prävention investieren, um drohende Folgekosten zu verhindern“, appelliert der ehemalige Finanzminister. Letztendlich müsse der Forschungsstandort Österreich auf einem hohen Niveau gehalten werden.
Das Weißbuch enthält gute und umsetzbare Denkansätze für Bund und Länder und zeigt, wie ein zukunftsorientiertes Gesundheitssystem aussehen kann.
Wilfried Haslauer
Durch den Trigger Corona wurde das Zusammenspiel von medizinischen und technologischen Potenzialen zur Selbstverständlichkeit. „Dieses Verständnis von interdisziplinärer High-End-Forschung braucht es nicht nur heute, sondern auch nach der Krise, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Spitzenleistungen zu erzielen“, zeigt sich Schelling überzeugt und unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit, die Chancen der Digitalisierung nicht zu verschlafen. Schelling dazu: „Digitale Technologien können den Wissenstransfer kanalisieren und bieten ungeahnte Möglichkeiten, Diagnose- und Therapieentscheidungen zu erleichtern.“
Geburtsstunde Weißbuch 2.0 naht
Für PRAEVENIRE gilt es heute nicht nur, die politische Umsetzung der Handlungsempfehlungen zu monitoren und voranzutreiben. Schon jetzt wird an einer fortführenden Version des Weißbuchs gearbeitet, die — angelehnt an topaktuelle Entwicklungen im medizinischen und psychosozialen Umfeld — neue Dialoge mit nationalen und internationalen Expertinnen und Experten initiieren und wertvolle Essenzen zusammentragen wird.
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