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Über niederschwellige Aufklärungs-kommunikation im Pandemiefall

Hans Peter Hutter

Über niederschwellige Aufklärungs-kommunikation im Pandemiefall

Hans Peter Hutter

Verständliche und nachvollziehbare Erklärungs- und letztlich Überzeugungsarbeit gegenüber der Bevölkerung sind wesentliche Elemente in der Bekämpfung einer Pandemie. Public Health-Experte OA Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien (Zentrum für Public Health) sprach bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten über Herausforderungen und Chancen einer Krisenkommunikation, die im Optimalfall alle Menschen auf einen gemeinsamen Weg mitnimmt. | von Lisa Türk, BA

Neben Gesundheitsförderung und Krankheitsvermeidung, politischer Beratung zu gesundheitsrelevanten Entwicklungen, Aufsicht und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Umwelthygiene sowie Umweltmedizin und Mitwirkung bei sozialkompensatorischen Aufgaben gelten auch Infektionsschutz und medizinisches Krisenmanagement als Teilaufgabengebiet von Public Health. Das integrative sowie praxis- und politikorientierte Fach basiert auf der Wissenschaft und Praxis der Förderung der individuellen und gesellschaftlichen Gesundheit und der Verbesserung der Lebensqualität. Ausgehend von Infektionsschutz und medizinischem Krisenmanagement befasst sich Public Health in der Coronapandemie insbesondere mit der Abschätzung und Abwägung von Gesundheitsrisiken und demnach mit individuellen und kollektiven Maßnahmen zum Schutz vor Schadwirkungen. Im Zentrum von Forschung, Datenanalysen und anschließender Etablierung von Maßnahmen steht dabei vor allem auch eine adäquate Kommunikation seitens Wissenschaft(en), Politik und Medien der Bevölkerung gegenüber.

Die Kunst der Krisenkommunikation — ein Balanceakt

Risikokommunikation basiert auf zwei elementaren Bestandteilen. Auf der einen Seite geht es darum, eine bestimmte Gefahr quantifizier- bzw. handhabbar zu machen. „Risikoabschätzung ist ein Prozess aus verschiedenen Schritten und Stufen, der letztlich in der Risikocharakterisierung und damit auch in einem Umformen zu Maßnahmen im Kontext eines Risikomanagements mündet“, so Hans-Peter Hutter im Zuge seiner Keynote „Chancen und Herausforderungen niederschwelliger Aufklärungskommunikation im Pandemiefall“ bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen. Die Risikoabschätzung sei ein transparenter, wissenschaftlicher und studienbasierter Prozess. Das zweite wesentliche Element der Krisenkommunikation basiert auf der Risikowahrnehmung, die sich — im Gegensatz zur Risikoabschätzung — subjektiv gestaltet und auf individuellen Erfahrungen beruht. „Vermischen sich nun subjektive Einschätzungen im Sinne einer Risikowahrnehmung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im Sinne einer Risikoabschätzung, so entsteht eine Kluft. Die Kunst der Risikokommunikation ist es, hier einen Ausgleich zu schaffen, um zu einer umsichtigen Haltung zu bewegen — uns selbst aber auch unseren Mitmenschen gegenüber“, so Hutter. Insbesondere gilt es, die Gratwanderung zwischen Unterschätzung und Überschätzung im Zusammenhang mit Risiken zu schaffen. Im Kontext der Pandemie geht es laut Hutter darum, über niederschwellige, verständliche und fundierte Aufklärung einerseits Verharmlosung, andererseits aber auch Verängstigung, Hysterie und somit psychischen Druck zu verhindern. „Es ist ein Balanceakt zwischen der Krankheitslast aufgrund der Pandemie und der Krankheitslast aufgrund negativer Effekte durch Maßnahmen herzustellen“, betonte Hutter. Ziel der Risikokommunikation sei es letztlich, die Menschen in ihren Zweifeln und Befürchtungen abzuholen und über Beziehungsmedizin auf einen gemeinsamen Weg mitzunehmen.

Wissenschaftliche Dynamik — Chance und Herausforderung

Eine funktionierende Risikokommunikation zielt demnach auch darauf ab, das Vertrauen der Bevölkerung (wieder)herzustellen — sowohl in die Wissenschaft als auch in die Politik. Die rasche Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Informationen aus unterschiedlichen Fachbereichen ist laut Hutter zum einen enorm wichtig, um in der Erforschung und Bekämpfung von SARS-CoV-2 möglichst schnell und effizient vorgehen zu können. Zum anderen bringen Vorabpublikationen das Risiko übereilter Falschmeldungen mit sich, die letztlich zu Verwirrung und Vertrauensverlust führen können. „Transparenz und rasche Verfügbarkeit wissenschaftlicher Informationen und unterschiedlicher Sichtweisen sind essenziell im Hinblick auf ein epidemiologisches Verständnis der aktuellen Situation sowie auf eine Implementierung weiterer Maßnahmen. Die entstandene Flut an Informationen hat allerdings zu einer Dynamik geführt, die sich verselbstständigt und in vielen Fällen Falschmeldungen nach sich gezogen hat.“ Hier bedarf es dringend konstruktiver Überlegungen im Umgang mit dieser Entwicklung, die letztlich gravierende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft hat — sowohl gesundheitliche als auch wirtschaftliche, ethische und soziale.

Die Kunst der Risikokommunikation ist es, zu einer umsichtigen Haltung zu bewegen – uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber

Public Health — über integratives Denken zur Gesamtsicht

Die Coronapandemie hat eine Lupe auf unsere Systeme gehalten. Sie hat Herausforderungen aber auch Chancen aufgedeckt, die es nun wahrzunehmen gilt, um notwendige Ressourcen im Krisenfall künftig rasch zur Verfügung zu stellen. Hutter betonte insbesondere die Wichtigkeit, die unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Disziplinen in einem gemeinsamen Communiqué zusammenzufassen und über die Wiedereinsetzung eines Obersten Sicherheitsrats (OSR) weiterzugeben. „Public Health hat hier die Aufgabe, integrativ zu denken und der Bevölkerung eine Gesamtsicht zu vermitteln“, resümierte der Experte. Dahingehend braucht es nicht nur eine Abkoppelung der Wissenschaftskommunikation von der Politik, sondern auch eine Stärkung und einen Ausbau des Österreichischen Gesundheitsdienstes (ÖGD) auf Basis von Beziehungsmedizin und Vertrauensarbeit. Abschließend plädierte Hutter dafür, allenfalls gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um den Menschen fundierte Informationen zu kommunizieren und Vertrauenswürdigkeit zu vermitteln

Sonderbeilage Kurier, Erscheinungstermin 18. Juni 2021

© Peter Provaznik

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