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5 Jahre Primärversorgungsgesetz – die Zukunft der niedergelassenen Medizin

© Kirschner

5 Jahre Primärversorgungsgesetz – die Zukunft der niedergelassenen Medizin

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Am 24. und 25. Mai fand in Haslach an der Mühl die sechste Tagung des Vereins AM PLUS, der Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit, statt. Neben einem Rückblick auf fünf Jahre Primärversorgungsgesetz gaben Vertreterinnen und Vertreter der wichtigsten Stakeholdergruppen aus dem Gesundheitsbereich und der Gemeindeverwaltung einen Ausblick auf die künftige Entwicklung der Primärversorgung und diskutierten die notwendigen Maßnahmen für den schnellen Ausbau der wohnortnahen, integrativen Versorgung.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Die Etablierung eines leistungsfähigen Systems der Primärversorgung ist eines der wichtigsten Reformvorhaben im österreichischen Gesundheitswesen. Das 2017 beschlossene Primärversorgungsgesetz sieht einen Ausbau von 75 Primärversorgungseinheiten (PVE) bis 2023 vor. „Die Wirksamkeit und faktische Bedeutung der neuen Primärversorgungseinheiten für die Versorgungslandschaft werden immer weitreichender. AM PLUS engagiert sich seit Beginn für das Thema Primärversorgung. Ziel der heurigen bereits sechsten Tagung ist es, einen Überblick zum bisherigen Ausbaustand zu geben und herauszuarbeiten, welche Schritte und Maßnahmen notwendig sind, um den weiteren Ausbau zu erleichtern und zu beschleunigen. Ein zusätzlicher wesentlicher Faktor der Tagung ist der interkollegiale Austausch zwischen den unterschiedlichen Professionen, die sich um die Primärversorgung kümmern“, erklärte der Gastgeber der Tagung Dr. Erwin Rebhandl, Präsident AM PLUS, bei der Eröffnung. Im Gesundheitssystem werde es immer wichtiger, zusammenzuarbeiten und Teams zu bilden, da weder Ärztinnen und Ärzte noch andere Professionen im Gesundheitssystem die zunehmenden Aufgaben in der Gesundheitsversorgung alleine durchführen können. 

Ausbau nimmt Fahrt auf

Die Implementierung von Primärversorgungseinheiten, verteilt über das ganze Bundesgebiet, wurde im Bundeszielsteuerungsvertrag 2013 festgelegt. Nach einem Pilotprojekt 2015 in Wien Mariahilf begann die Gründung von PVE in ganz Österreich, wobei der Anfang sich als schwierig darstellte, schilderte Dr. David Wachabauer, BSc, BSc, MSc, Health Expert, Leitung Koordination Primärversorgung bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Mittlerweile hat der Ausbau Fahrt aufgenommen; bis Juni 2022 konnten bereits 36 PVE in ganz Österreich den Betrieb aufnehmen – 32 davon in Form eines Primärversorgungszentrums und vier als Primärversorgungsnetzwerk. Um das gesteckte Ziel von 75 PVE bis nächstes Jahr zu erreichen, bedarf es, so Wachabauer, noch einiger Anstrengung. Auftrieb erhofft man sich durch einen 100 Mio. schweren EU-Fördertopf zur Attraktivierung und Förderung der Primärversorgung. Wachabauers Einschätzung nach stehe man bei der Umsetzung der Primärversorgung mittlerweile deutlich besser da als noch vor einigen Jahren, da wichtige Grundlagen geschaffen wurden, die helfen, „dass die PVE künftig sprießen werden.“

In seinem Vortrag stellte Wachabauer auch die „Plattform Primärversorgung“ vor, die ab 14. September online gehen wird. Sie stellt künftig das Dach der Angebote zur Stärkung der multiprofessionellen Primärversorgung dar und bietet Raum für Austausch und Information. Ziel ist die Förderung eines einheitlichen Verständnisses von Primärversorgung als Versorgungsebene. Die Plattform soll einen unterstützenden Rahmen geben, sodass ein Austausch über Ideen aus der Community entstehen kann. Das sei, so Wachabauer, der Nährboden, sodass sich eine aktive Primärversorgungscommunity, bestehend aus interessierten und engagierten Personen, bilden kann. Die Plattform steht nach Registrierung allen an der Primärversorgung interessierten Personen („individuelle Mitglieder“) offen. Der Erwerb der Mitgliedschaft für mit Primärversorgung assoziierte Institutionen/Organisationen („institutionelle Mitglieder“) wird allerdings an eine Überprüfung gebunden sein.

Der Teamwork-Gedanke, der den PVE zugrunde liegt, werde in Zukunft, so Wachabauer, noch an Bedeutung gewinnen — auch in nicht als PVE organisierten Gruppen- und Einzelpraxen, in denen Pflegepersonen arbeiten. Ziel in der Primärversorgung müsse ein über Österreich ausgewogener verteilter Mix aus Primärversorgungszentren und -netzwerken, Gruppen- sowie Einzelpraxen sein.

Gesundheit Steinerne Mühl

Im Rahmen der PVE-Tagung stellte AM PLUS-Präsident Rebhandl mit dem Team der PVE Haslach auch das Projekt „Gesundheit Steinere Mühl“ vor, zu dem sich heuer die Gemeinden St. Oswald, Lichtenau, St. Stefan-Afiesl und Haslach an der Mühl in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Zu den Zielen zählen in der rund 5.100 Einwohnerinnen und Einwohner großen Region die Vernetzung aller die Gesundheit betreff enden Aktivitäten. Dazu gehören insbesondere: die Steigerung der Awareness für Gesundheitsthemen und den Stellenwert von Gesundheitsförderung sowie Prävention, eine Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, die Unterstützung von Menschen mit chronischen Erkrankungen, Angebote zur Lebensstiländerung für alle Altersgruppen, Social Prescribing (eine Möglichkeit, soziale Bedürfnisse in das Gesamtbetreuungskonzept zu integrieren) sowie eine bessere Erreichung vulnerabler Zielgruppen im Rahmen eines gemeinsamen Efforts. „Das Beispiel ,Gesundheit Steinere Mühl, zeigt, dass die Wirkung der PVE nicht an der Ordinationstür endet, sondern tief in die Region und Bevölkerung hineinstrahlt.“

Verbesserung der wohnortnahen Versorgung

Ein zentraler Bestandteil der Leistung von PVE ist der multidisziplinäre Ansatz in der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Hierbei spielen die nicht-ärztlichen Berufsgruppen aus den Fachgebieten Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, Logopädie aber auch Hebammen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und mobile Dienste eine wichtige Rolle, denn sie sollen das Ärzteteam entlasten. „Welche Berufsgruppen in den jeweiligen PVE vertreten sind, ist höchst unterschiedlich. So sind beispielsweise Ergotherapeutinnen und -therapeuten nur in 16 der derzeit 36 PVE vertreten“, schilderte Marion Hackl, Präsidentin Ergotherapie Austria. „Dabei lägen die Vorteile für die Patientinnen und Patienten sowie das Team der jeweiligen PVE klar auf der Hand“, wie Constance Schlegl, MPH, Präsidentin Physio Austria darlegte. Als Herausforderung sehen Hackl und Schlegl, dass es kaum Ressourcen für Aufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention gibt.

„In Österreich werden ab 2022 nach internationalem Vorbild EU-geförderte Pilotprojekte für Community Nursing umgesetzt“, erläuterte Mag. Dr. Klaus Schuster, MSc von der VAMED. Das Regierungsprogramm 2020-2024 strebt Community Nurses in 500 österreichischen Gemeinden an. Ziel ist die regionale Vernetzung der verschiedenen Gesundheitsdienstanbieter zur optimierten Patientensteuerung und verbesserten Versorgung der österreichischen Bevölkerung. Aus allen Bundesländern wurden 145 Anträge auf Förderung eines Community-Nurse-Programmes eingereicht, wovon mit Stand Ende Mai 110 bewilligt wurden.

Community Nursing zielt auf die Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit sowie der höchstmöglichen Lebensqualität aus pflegerischer Sicht ab. Zielgruppe sind ältere und hochbetagte Menschen in ihrem direkten Wohnumfeld mit bevorstehendem oder vorhandenem Informations-, Beratungs-, Pflege- und/oder Unterstützungsbedarf in pflege- und gesundheitlichen Belangen sowie deren pflegende und betreuende Angehörige.

Bevölkerungsrelevanter Faktor

„Die PVE sind die zentralen Player in der künftigen Versorgung der Bevölkerung“, erklärte Patientenanwältin Dr. Sigrid Pilz. Das sei einerseits den komplexen Krankheitsbildern geschuldet, die differenzierte teamorientierte Antworten brauchen, und andererseits den Patientinnen und Patienten, die wissen, dass sie hier alle Leistungen, die es in der Primärversorgung braucht, an einem Ort erhalten und nicht „zwischen den einzelnen Playern im Gesundheitsbereich herumgeschickt werden“, so Pilz. 

Auch wenn sie keine rechtliche Handhabe haben, liegt es aus Sicht der Bevölkerung auch in der Verantwortung der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bzw. Gemeinden, sich um die Primärversorgung vor Ort zu kümmern, schilderte der Vizebürgermeister von Perg, Fabio König, MSc, in der Diskussion. Dabei könne man sich vielfach gar nicht aussuchen, welche Versorgungsform man haben möchte, denn in vielen Fällen stünden die Gemeinden nur vor der Wahl zwischen einer ärztlichen Versorgung oder gar keiner. Er warnte vor einer Differenzierung des Leistungsangebotes zwischen PVE und Einzelpraxen; Patientinnen und Patienten müssen in allen Organisationsformen dieselbe medizinische Leistung bekommen.

„Die Suche nach Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, in der Primärversorgung tätig zu werden, gestaltet sich für die Gemeinden nicht einfach“, schilderte auch Mag. Max Oberleitner, Bürgermeister Schwertberg. Die Gemeinde im unteren Mühlviertel hat zwar ein fertig ausgearbeitetes Konzept und einen Bauträger für ein PVE, allerdings fehlt noch das nötige ärztliche Personal.

Weiterentwicklung der Primärversorgung

Erste Evaluierungen bestehender PVE zeigen, so Mag. Franz Kiesl, MPM, Fachbereichsleiter Versorgungsmanagement 1 der ÖGK, eine hohe Zufriedenheit von Gesellschaftern, Gesundheitspersonal und Patientinnen und Patienten. Durch die PVE war eine erfolgreiche Nachbesetzung von sonst schwer besetzbaren Planstellen möglich. Auch zeige sich, dass die im PVE-Team mitarbeitenden nicht-ärztlichen Gesundheitsberufsgruppen, wie diplomiertes Krankenpflegepersonal (DGKP), Sozialarbeit und PV-Management Arzt-entlastend wirken und die Versorgung durch multiprofessionelle Teams klare Vorteile für chronisch Kranke habe.

Die ÖGK bekenne sich zum Ausbau der Primärversorgung, allerdings dürfe sich deren Weiterentwicklung und Stärkung nicht auf PVE beschränken, sondern müsse umfassender gedacht werden, erklärte Dr. Arno Melitopulos-Daum, Leiter Fachbereich Versorgungsmanagement 3 der ÖGK. Ziel müsse eine Weiterentwicklung des Primärversorgungsgesetzes sein, das eine Vereinfachung und Beschleunigung des PVE-Ausbaus ermögliche. Derzeit befinde man sich in laufenden Gesprächen mit allen Stakeholdern des Gesundheitswesens.

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