Mit der Testaktion „Alles gurgelt“ hat Wien international große Aufmerksamkeit erregt. Denn die Bundeshauptstadt ist die erste Millionenmetropole, die eine flächendeckende und dauerhafte PCR-Testung für die Bevölkerung gratis angeboten hat. Periskop sprach mit den „Gründervätern“, Dr. Alexander Biach, Mag. Richard Gauss und Mag. Thomas Starlinger darüber, wie diese Aktion zustande kam und wie die PCR-Testung im weiteren Pandemieverlauf, im Herbst 2021, eingesetzt werden soll. | von Rainald Edel, MBA
Es war ein international beachteter Paukenschlag, als am 26. März 2021 Wiens Bürgermeister Dr. Michael Ludwig, der Präsident der Wirtschaftskammer Wien, DI Walter Ruck, Gesundheitsstadtrat Peter Hacker und Univ.-Prof. Dr. Michael Havel, Gründer und CEO der Lifebrain Group, den Startschuss zur flächendeckenden Ausrollung der kostenlosen PCR-Test-Möglichkeit für die Wiener Bevölkerung gaben. Wurden bislang PCR-Tests nur bei positiven Antigentests als Kontrolle des Ergebnisses eingesetzt oder mussten privat bezahlt werden, steht diese genaueste Testmöglichkeit allen Personen, die sich in Wien aufhalten, kostenlos zur Verfügung — sprich neben der ansässigen Bevölkerung auch allen Pendlerinnen und Pendlern aus den Bundesländern sowie Touristinnen und Touristen. Während die Aktion von der Bevölkerung sehr gut angenommen wird und international große Beachtung findet, ist es weitgehend unbekannt, wie es zu diesem Angebot kam. „Als sich im April 2020 SARS-CoV2 auch in Österreich stark verbreitete, habe ich dem Gesundheitsminister eine SMS mit der Anregung geschickt, dass jemand die Pandemie auch auf der strategischen Ebene bearbeiten sollte“, schildert Generalmajor Mag. Thomas Starlinger, Adjutant des Bundespräsidenten und ehemaliger Verteidigungsminister im Kabinett Bierlein. Die Antwort war ein knappes „mach“. Daraus ist zunächst die „COVID-19 Future Operations Plattform“ entstanden, eine informelle Plattform für den interdisziplinären Austausch zwischen Expertinnen und Experten der Wissenschaft sowie der öffentlichen Hand, an der über 100 renommierte Persönlichkeiten und Organisationen teilnehmen. Ziemlich zeitgleich kamen internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Erkenntnis, dass PCR-Gurgeltests die sicherste und genaueste Testmethodik sind, um die Pandemie zu überwachen und in den Griff zu bekommen. Allerdings ist man auf Bundesebene der Idee, eine Teststrategie auf PCR-Basis österreichweit aufzuziehen, nicht nähergetreten. „Hingegen war der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Ludwig, als ich ihm im Herbst 2020 gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Idee präsentierte, gleich begeistert und brachte mich mit dem Leiter der Magistratsabteilung 24 — Strategische Gesundheitsversorgung SR Mag. Richard Gauss in Kontakt“, schildert Starlinger.
Lückenlose Testung als Ziel
„Gemeinsam mit meinem Referenten Moritz Dragosits, BSc, MSc, habe ich im Sommer 2020 beratschlagt, was zu tun ist, um das gesellschaftliche Leben aufrecht zu erhalten, einen weiteren Lockdown möglichst zu vermeiden und vor allem die Schulen offen zu halten“, erzählt Gauss. „Wir kamen zu dem Ergebnis, dass sich die gleiche Wirkung wie nach einer Impfung — deren Marktreife sich damals noch nicht abzeichnete — durch eine lückenlose Testung erzielen lasse. Als im Herbst 2020 die Antigentests auf den Markt kamen, war Wien unter den ersten Interessenten. Gemeinsam mit der WU machten wir einen Feldversuch, bei dem die Studierenden nur nach einem Test Zutritt zur Vorlesung erhielten. Es zeigte sich, dass solche Massentests gut durchführbar waren, worauf die Stadt eine große Menge Testkits beschafft hat. Als auch der Bund die Notwendigkeit solcher Tests erkannte, war Wien wieder einen Schritt weiter und überdachte die Nachhaltigkeit von Tests. Das wird nicht die letzte Pandemie sein und es braucht eine Struktur, die in der Lage ist, jeden Virus zu detektieren“, so Gauss. „Zudem stellten wir fest, dass die in Österreich im Einsatz befindlichen Antigentests zu ungenau sind, und viele ‚falsch positive‘ Ergebnisse liefern. Daher haben wir uns überlegt, wie man Massentests mit PCR-Tests machen könnte. Es gab zwar seit Mai 2020 Verträge mit Wiener Laboren, allerdings waren die Preise pro Test teuer. Wir standen auf dem Standpunkt, dass diese Preise angesichts der Masse nicht gerechtfertigt waren“, so Gauss. Als Starlinger seine Idee vorstellte, war für Gauss und seinen Referenten rasch klar, dass dies genau die richtige Ergänzung war, nach der man in Wien gesucht hat. „Um so ein Projekt rasch umzusetzen, bedurfte es noch eines weiteren Partners zur Unterstützung, dem die Ziele Vermeidung von Lockdown und Schulschließung ebenfalls ein Anliegen waren — da fiel meine Wahl auf Dr. Biach, der ohne Zögern zusagte“, schildert Gauss. In Folge wurde die Proponentengruppe von der Bundesbeschaffungsgesellschaft BBG mit einer Ausschreibung von PCR-Tests unterstützt, aus der im November 2020 die Lifebrain Group unter der Leitung von Univ.-Prof Dr. Havel mit ihren Subunternehmen als Bestbieter hervorgegangen ist. Im Jänner war es soweit und wir konnten mit Unterstützung der Wiener Wirtschaftskammer ein Pilotprojekt zur massenhaften PCR-Testung starten. „Damit hat Wien eine weltweite Vorreiterrolle eingenommen, denn was weltweit in der Theorie postuliert wird, hat Wien in die Praxis umgesetzt“, so Starlinger.
Festlegung der Testmethode
„Die Idee der Massentestung ist vom Bund ausgegangen — wir haben beschlossen, dass wir in Wien noch bessere Massentests durchführen wollen. Der Bund hat sehr lange auf die Antigentests gesetzt“, schildert Gauss. Ursprünglich war durch die Verordnung des Gesundheitsministeriums der PCR-Test gegenüber dem Antigentest sogar benachteiligt, da für beide nur eine Gültigkeitsdauer von 48 Stunden ab Abnahme vorgesehen war. Allerdings dauert es, bis das Ergebnis übermittelt wird, bis zu 24 Stunden — womit der Vorteil der längeren Gültigkeit de facto nicht zu tragen kam. „Unsere Basis der Überlegungen ist die Analyse des Robert Koch Institutes (RKI), die zeigt, dass die PCR-Tests eine solche Genauigkeit haben, nämlich die frühzeitige Feststellung einer geringen Menge an Viren, dass man guten Gewissens sagen kann: Ab Abnahme ist der Test 72 Stunden lang gültig. Der Antigentest ist dort mit unter 24 Stunden Gültigkeit ab Abnahme festgelegt und der „Nasenbohrertest“ ist aufgrund der Ungenauigkeit eigentlich nicht geeignet“, schildert Starlinger. Allerdings müsse man auch verstehen, dass es außerhalb Wiens nicht die Laborkapazitäten gab, um flächendeckend ein anderes Testsystem als die Antigen-Schnelltests zu etablieren. „In der neuen Teststrategie vom Gesundheitsministerium ist nun aber auch der Fokus auf PCR-Tests gelegt“, sagt Starlinger.
Große Kapazität als kritischer Faktor
„Als mir im November 2020 Gauss und Starlinger das Projekt vorstellten, sind zwei für mich sehr entscheidende Argumente gefallen. Das eine war die Begründung, warum die PCR-Tests besser sind als andere Testmethoden — die Möglichkeit, schon geringe Viruslasten zu erkennen, noch bevor die Person das Virus weiterverbreiten kann. Und das Zweite war der Ansatz der flächendeckenden regelmäßigen Testung. Das ist natürlich eine sehr große logistische Herausforderung. Ein weiterer Punkt, weshalb ich meine Unterstützung so schnell angeboten habe, waren die Lockdowns“, schildert Biach. Sechs Wochen Lockdown haben laut Berechnungen der
Wirtschaftskammer Wien der Wiener Wirtschaft einen Wachstumsverlust von 2,1 Mrd. Euro beschert und der Stadt sind 500 Mio. an Steuern entgangen. 30.000 Arbeitsplätze waren durch diese sechs Wochen betroffen. „Daher war die Überlegung, stattdessen auf eine Art Schutzschild umzustellen — der ursprüngliche Arbeitstitel lautete auch Schutzschild. Erst später wurde dieser in den marketingtechnisch besseren Kampagnennamen ‚Alles gurgelt‘ umgestellt. Die Aufgabe war, das Konzept in jeden Haushalt zu bringen. Es war klar, dass es dafür ein ganz niederschwelliges System braucht, das am besten von zu Hause aus durchführbar ist. Denn um die Menschen dazu zu bringen, mitzumachen, muss man in den Haushalt hinein. Dazu braucht es ein Vertriebssystem — da sind wir sehr schnell auf den Partner REWE gekommen, der ein enges Filialnetz über ganz Wien verteilt hat. Zudem hat der Konzern durch die Tankstellenshops auch am Sonntag geöffnete Vertriebsstellen.“ Die zweite Frage war, wie man die Tests rechtssicher gestalten kann. Dabei sind die Akteure auf das innovative Startup „LEAD Horizon“ aufmerksam geworden, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Testkit (die bekannten blauen Packerl) sowie eine App, mit der man den Gurgelvorgang filmen kann, entwickelt haben. Das dritte Element war, wie man die Proben von den Vertriebs- und Sammelstellen möglichst rasch ins Labor bekommt. „Hier war die Post der ideale Profi-Partner“, schildert Biach. Nachdem Technik, Vertrieb und Logistik geklärt werden konnten, standen die „Gründerväter“ vor der Frage nach einem Labor mit entsprechenden Kapazitäten. Hierbei kam Univ.-Prof. Dr. Michael Havel ins Spiel, der zusagte, diese Mengen bewältigen und seine Laborkapazität mit anfallenden Mehrmengen entsprechend skalieren zu können. Die der ursprünglichen Planung zugrundeliegenden Testanzahlen haben sich rasch vervielfacht, sodass aus dem anfangs nur auf einem Stockwerk eines Pavillons am Gelände des Otto Wagner Spitals angelegten Labors bald auf zwei Pavillons ausgeweitet werden musste. Heute hat das Unternehmen personalmäßig eine Größe von rund 800 Köpfen. „Ich kenne wenige Unternehmen, die ein derartiges unternehmerisches Risiko in diesem Ausmaß eingehen“, lobt Biach. Als das Projekt fertig aufgestellt war, erfolgte die nötige Finanzierungszusage seitens Bundes binnen einer Woche. Der Wiener Gesundheitslandesrat Peter Hacker zeigte sich von der Idee begeistert und regte einen Pilotversuch an, um allfällige Anfangsschwierigkeiten rechtzeitig zu erkennen. Der Pilotbetrieb, an dem Großunternehmen genauso wie vulnerable Gruppen, insbesondere Pflegeheime, teilgenommen haben, konnte bereits im Jänner 2021 aufgenommen werden. In Summe umfasste der knapp zwei Monate lange Testlauf 100.000 Personen. Dadurch reduzierte sich auch das politische Risiko. Ab 26. März 2021 wurde die Aktion „Alles gurgelt“ dann für die breite Bevölkerung freigegeben.