Die Sammlung von Gesundheitsdaten und Nutzung neuer Technologien spielen eine wesentliche Rolle im Kontext chronischer Erkrankungen, personalisierter Therapien und Forschung im Allgemeinen; den Sozialen Medien kommt eine wichtige Kommunikationsfunktion in Gesundheitsbelangen zu. Drei Expertinnen der Swiss Young Academy analysierten im Zuge der 7. PRAEVENIRE Gesundheitstage die aktuellen digitalen Trends und damit einhergehende Herausforderungen.
Lisa Türk, BA
Periskop-Redakteurin
Der Begriff der „Big Data“ ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Die Sammlung und Aufbereitung gesundheitsspezifischer Daten sind essenziell, wenn es um die Erforschung von
Krankheiten und Weiterentwicklung von Therapien geht. In der Medizin sind Big Data jedoch nach wie vor mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. „Medial wird häufig der Eindruck vermittelt, dass Big Data, Maschinelles Lernen oder Artifizielle Intelligenz (AI) bereits zu einem Durchbruch in der Forschung von etwa Alzheimer geführt haben. Datenbasierte Befunde sind zwar sehr hilfreich, fließen in vielen Fällen jedoch noch nicht im notwendigen Ausmaß in die Klinik und somit tägliche Praxis ein“, betonte Prof. Dr. Catherine Jutzeler, PhD, Assitant Professor of Biomedical Data Science vom Department der Gesundheitswissenschaften und Technologie am Institut für Translationale Medizin an der ETH Zürich, im Zuge ihrer Keynote „Big Data in der Alzheimer-Forschung“.
Big Data benötigen klinische und externe Validierung.
Catherina Jutzeler
Big Data und Alzheimer
Die große Herausforderung im Zusammenhang mit im Speziellen Alzheimer-Erkrankungen basiert laut Jutzeler vor allem auf der Sammlung ausreichender Datenmengen in entsprechender Qualität. Der Fokus sei insbesondere auf die Früherkennung von Alzheimer-Erkrankungen zu richten. „Nach wie vor gibt es keine Heilung für demenzielle Erkrankungen.
Viele klinische Studien zur Wirksamkeit von Medikamenten scheitern daran, dass Patientinnen oder Patienten untersucht werden, deren Krankheitsverlauf schon derart weit fortgeschritten ist, dass Medikamente gar nicht mehr wirken können. Auch Tiermodelle erfassen die Krankheit, wie wir sie am Menschen beobachten, nicht vollständig – Translationsfehler sind
die Folge“, so Jutzeler. Es brauche longitudinale Studien, die die Beobachtung von Menschen
über viele Jahre hinweg, von frühen bis in fortgeschrittene Stadien, ermöglichen und somit
mit „riesigen Datensätzen“ und im Optimalfall internationalen Kollaborationen einhergehen.
„Sofern sinnvoll eingesetzt, sind Big-Data-Ansätze sehr vielversprechend. Unabdingbar sind
allenfalls klinische und externe Validierung, um zu eruieren, ob die gesammelten Daten
allgemeine sowie praktische Gültigkeit haben und auch tatsächlich einen Beitrag zu Diagnose und Therapie leisten können“, erläuterte die Expertin.
Big Data und Diabetes
Elisa Araldi, PhD, ebenfalls Dozentin am Department der Gesundheitswissenschaften
und Technologie an der ETH Zürich und seit Juli 2022 Junior Professor of Computer-Assisted Systems Medicine am University Medical Center der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, vertiefte Jutzelers Ausführungen zu Big Data anhand eines konkreten Einblicks in die Diabetes-Forschung.
Im Speziellen ging sie auf die Rolle von Big Data im Kontext der Systemmedizin, die
unterschiedliche Arten von Daten vereint, ein. „Es gibt viele verschiedene Bereiche,
aus denen wir Daten über Patientinnen und Patienten gewinnen können. Diese Big Data
sind stets als eng miteinander verwobenes Geflecht zu betrachten“, so Araldi. Um ein
ganzheitliches Verständnis dieser Daten im Hinblick auf Gesund- und Krankheit, Krankheitsprogression, Prävention und Früherkennung zu gewährleisten, täglich in der Arztpraxis erhobene Daten in die Systemmedizin überzuführen und letztlich personalisierte,
funktionierende und möglichst nebenwirkungsfreie Behandlungen einzuleiten, brauche es Strategien wie Computional Modeling oder Statistisches und Maschinelles Lernen.
„Mittels Big Data und Maschinellem Lernen ist es im Zusammenhang mit etwa Diabetes
möglich, die Wirksamkeit spezifischer Antidiabetika in größeren Patienten-Kohorten nachzuweisen, ohne dabei randomisierte klinische Studien durchzuführen. So können wir den
geeigneten Patientinnen, Patienten die für sie passenden Medikamente zukommen lassen“,
schlussfolgerte Araldi. Im Konkreten ging die Expertin anhand einer Studie auf den Vergleich des Antidiabetikums Metformin und SGLT2 Inhibitoren ein und veranschaulichte, inwiefern Big Data hier Aufschluss über medikamentöse Effekte, Nebenwirkungen und Lebenserwartung geben können. „Im Gegensatz zu Alzheimer haben wir bei Diabetes ausreichend Datenmengen zur Verfügung, die es für die Forschung entsprechend zu nutzen gilt“, schlussfolgerte Araldi.
Es ist essenziell, den Menschen die Bedeutung von Digital Health Literacy zu vermitteln.
Sabrina Heike Kessler
Digitalisierung und Gesundheitskommunikation
Einen Einblick in „Die Rolle der digitalen Sozialen Medien in der COVID-19-Gesundheitskrise“ gab schließlich Dr. phil. Sabrina Heike Kessler vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich. „Die Nutzung Sozialer Medien fungierte während der COVID-19-Krise als wichtiges Kommunikationsmittel für die Bevölkerung – und zusätzlich als individuelle Strategie, um mit negativen Emotionen umzugehen und somit die eigene Gesundheit zu regulieren“, erläuterte Heike Kessler die normativ positiven Aspekte dieses digitalen Trends. Rezente Studien zeigen allerdings, dass eine Vielzahl der Social-Media-Nutzerinnen, -Nutzer signifikant häufiger an Fake News und/oder Verschwörungstheorien in Bezug auf Corona glaubt. „So hat auch die WHO im Jahr 2020 nicht nur eine Epidemie, sondern auch eine Infodemie ausgerufen“, so Heike Kessler in puncto normativ negativer Aspekte von Social Media. Darüber hinaus habe man im Zuge von Studien ebenso zeigen können, dass die Exposition gegenüber krankheitsbezogener Fehlinformationen mit geringem Vertrauen in die Regierung und Impfskepsis einhergehe.
Als wirksame Strategien, um diesem Trend entgegenzuwirken, erörterte Heike Kessler die
Konzepte des Pre- und Debunking. Ersteres bezieht sich auf die Vorwarnung der Bevölkerung im Hinblick auf Fehlinformationen und auf die Exposition gegenüber solchen in abgeschwächter Form – verbunden mit fundierten Gegenargumenten, um „kognitive Antikörper“ zu erzeugen.
Big Data stellen ein eng miteinander verwobenes Geflecht an Informationen dar.
Elisa Araldi
Debunking bezeichnet die professionell gestaltete nachträgliche Wiederlegung von Fehlinformation. „Mit diesen beiden Ansätzen geht auch die Relevanz des qualitativen Wissenschaftsjournalismus einher.“
Weitere potenzielle Gegenmaßnahmen basieren auf Regulierungsansätzen – von staatlicher
Regulierung und gemeinsamer Regulierung von Staat und Branchenvertretern bis hin zur
Selbstregulierung der Social-Media-Plattformen. „Letztlich ist es vor allem wesentlich, den Menschen im Umgang mit digitalen Trends die Bedeutung von Informationskompetenz und Digital Health Literacy zu vermitteln“, so Heike Kessler abschließend.
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