Die Diagnose „Brustkrebs“ bedeutet für fast alle Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Im Rahmen des 176. PRAEVENIRE Gipfelgesprächs zum Thema „Brustkrebs“ in Alpbach forderten die Expertinnen und Experten daher ein ganzheitliches auffang- und betreuungsnetz für die Zeit „danach“. | von Mag. Renate Haiden, MSc
Brustkrebs ist mit 5.000 registrierten Neuerkrankungen weiterhin die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Österreich. Das ambitionierte Ziel der WHO, Brustkrebs bis 2030 heilen zu können, steht zwar weiterhin im Vordergrund, jedoch darf neben einer frühen Diagnose die Bedeutung einer ganzheitlichen Versorgung in einem sicheren und definierten Netzwerk nicht außer Acht gelassen werden. „Patientinnen benötigen ein Auffang- und Betreuungsnetz, um sie durch die Zeit nach der lebensverändernden Diagnose optimal zu begleiten“, so der einhellige Tenor. Dass die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt eine zentrale Rolle spielt, steht außer Frage. Doch die zeitlichen Ressourcen sind begrenzt und – abgesehen von der medizinischen Versorgung – braucht es eine Reihe von Unterstützung im „neuen Alltag“. Speziell ausgebildete Cancer Case Manager könnten diese Lücke füllen und die administrativen Hürden und Herausforderungen im Zusammenhang einer Krebserkrankung abdecken. Sie hätten die Aufgabe, unter anderem über arbeits- und sozialrechtliche Fragen, Wege zu finanzieller Unterstützung wie Pflegegeld, Erleichterungen oder psychoonkologische Betreuung zu informieren.
Vorbild: Onkologie
Die Idee ist nicht neu, denn aktuell sind in manchen Spitälern bereits Breast Care Nurses im Einsatz – jedoch viel weniger, als das Gesundheitssystem im Hinblick auf den demografischen Wandel aufnehmen könnte. Zudem fehlen flächendeckend einheitliche Strukturen, die zu einer Institutionalisierung dieses neuen Berufsbildes führen könnten.
2014 wurde im deutschen Bundesland Sachsen dazu ein Leuchtturmprojekt gestartet, das im Rahmen eines Ideenwettbewerbes entwickelt wurde: die sogenannten „Onkolotsen“ (www.onkolotse.de). „Die Anforderung war, den demografischen Wandel und die steigende Komplexität an die Versorgungsanforderungen gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten zu bewältigen. Erkenntnisse aus einem Vorprojekt mit einem Fokus auf der Verbesserung der Quality of Life nach der Diagnose Krebs flossen in die Entwicklung ein“, beschreibt DI Manfred Rieser von Saracose GmbH. Krankenhäuser konnten damit zu einer attraktiven Erweiterung der Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Krebspatientinnen und -patienten sowie deren Angehörige beitragen sowie das medizinische Personal wesentlich entlasten. „Gleichzeitig hat das Projekt der Sächsischen Krebsgesellschaft e. V. neue Chancen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität im Gesundheitswesen und regionalen Wettbewerb eröffnet“, so Rieser.
Für das medizinische Personal war das neue Berufsbild „Onkolotse“ ein Schritt in Richtung einer berufsbegleitenden, persönlichen Weiterentwicklung im Sinne der Fachkraftförderung. Zielgruppen waren neben Pflegekräften auch Psychologinnen und Psychologen, Apothekenpersonal, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter mit Erfahrung in der onkologischen Begleitung, aber auch freiberufliche Akteurinnen und Akteure aus dem Gesundheitswesen. Die erforderlichen Skills für künftige Onkolotsinnen und -lotsen sind vielfältig und reichen von der Gesprächsführung bis hin zur einfachen Lebenserfahrung. Die Kosten für die Ausbildung mit einem klar definierten Curriculum im Ausmaß von 130 Wochenstunden lag bei 1.995 Euro. Mittlerweile sind mehrere deutsche Bundesländer dem Beispiel gefolgt und neben den Kursen in Sachsen ist das Angebot auch in Schleswig-Holstein verfügbar. Sechs weitere Bundesländer haben Onkolotsen-Angebote für Betroffene. Insgesamt sind rund 250 Onkolotsinnen und -lotsen aktiv. Eine Onkolotsin oder ein Onkolotse betreut ab dem Diagnosegespräch pro Jahr zwischen 50 und 100 Patientinnen und Patienten.
Betreuung auf Rezept
Patientinnen und Patienten profitieren von den Onkolotsinnen und -lotsen, da sie nun eine permanente Ansprechpartnerin oder einen permanenten Ansprechpartner in medizinischen Einrichtungen zu Strukturen und Prozessen erhielten, die auch gleichzeitig umfassendes Know-how zum sozialen Umfeld einbringen können. Sie unterstützen etwa bei der Inanspruchnahme von psychoonkologischer Betreuung und bieten seriöse Informationen, Unterstützung und Beratung. Sie weisen den Weg durch medizinische Einrichtungen oder helfen beim beruflichen Wiedereinstieg. Neben der medizinischen Betreuung in den Spitälern finden Betroffene bei Onkolotsinnen und -lotsen das, was sie in dieser Situation wohl am dringendsten benötigen und wofür meist die wenigsten Zeitressourcen vorhanden sind: eingebettet zu sein in ein stabiles Netz von Verständnis und Fürsorge. Das Projekt wird aktuell evaluiert. Eine erste gesundheitsökonomische Einschätzung lässt bereits klar ableiten, dass Onkolotsinnen und -lotsen zur Steigerung der Patientenzufriedenheit und Lebensqualität der Krebspatientinnen und -patienten beitragen und die Compliance erhöht wird.
Betroffene wünschen sich Begleitung
Mag. Claudia Altmann-Pospischek, Bloggerin und engagierte Brustkrebs-Aktivistin, wurde selbst vor einigen Jahren mit der Diagnose „metastasierendes Mammakarzinom“ konfrontiert. „Ich habe mich sehr auf den medizinischen Teil der Erkrankung und Behandlung konzentriert und hätte mir eine Begleitung in banalen Alltagsfragen gewünscht. Wer die Diagnose bekommen hat, der verfügt dann meist nicht über die nötigen Ressourcen sich außerhalb der Erkrankung noch um administrative oder soziale Aufgaben zu kümmern“, sagt Altmann-Pospischek aus Erfahrung. Das Herausfallen aus der Arbeitswelt, finanzielle Einschnitte und schließlich die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit hätte sie gerne mit einem Cancer Case Manager oder einer Vertreterin oder einem Vertreter aus einem vergleichbaren Berufsbild auf Augenhöhe besprochen.
Dabei hatte Altmann-Pospischek noch Glück im Unglück, denn sie wurde im Landesklinikum Wiener Neustadt behandelt, das bereits Breast Care Nurses im Team hat und als Brustgesundheitszentrum zertifiziert ist. „Für stationäre Patientinnen und Patienten bieten wir die Betreuung vonseiten der Psychologie und Diätassistenz sowie einen Therapiehund an. Dennoch können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte in einem Erstgespräch nicht alles abdecken“, gibt Prim. Priv.-Doz. Dr. Birgit Grünberger, Leiterin der Abteilung für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie am Landesklinikum Wiener Neustadt Einblick. Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant von der Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group bricht eine Lanze für die Privatmedizin: „Hier gibt es ganz andere Zeitbudgets, daher sollten wir uns überlegen, wo das öffentliche System Lücken hat und dort Lösungen suchen. Cancer Nurses haben sich schon gut bewährt, aber wir werden auch hier bald nicht ausreichend Personalkapazitäten haben. Es wird erforderlich sein zu überlegen, welche Berufsgruppen man noch einbinden kann, wie etwa Psychologinnen und Psychologen oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Zudem ist es wichtig, im Team herauszufinden, wer von den Betroffenen überhaupt eine Intervention benötigt und welche. Onkolotsinnen und –lotsen wären eine ideale Ergänzung, da ihre Ausbildung leistbar ist und sie niederschwellig agieren.“ Hierzu ergänzt die Psychoonkologin Mag. Elisabeth Andritsch: „Wenn ein Angebot geplant wird, müssen wir auch die Patientinnen dazu holen, denn sie sind Expertinnen ihrer eigenen Erkrankung. Sie wissen genau, was abgesehen von der medizinischen Versorgung, am dringendsten gebraucht wird.“
Kompetenzen abgrenzen
Auch Prim. Dr. Johannes Berger von der Oberösterreichischen Gesundheitsholding hat bisher positive Erfahrungen mit den vor sieben Jahren flächendeckend eingeführten Breast Care Nurses gemacht: „Im intramuralen Sektor sehe ich Onkolotsinnen und -lotsen als eine wertvolle Ergänzung und Schnittstelle zu den Patientinnen und Patienten, sofern die Kompetenzen klar abgegrenzt sind.“ Prim. Doz. Dr. Hannes Kaufmann vom Zentrum für Onkologie und Hämatologie am Standort Klinik Favoriten und onkologische Ambulanz und interdisziplinäre Therapieambulanz an der Klinik Landstraße fordert die Begleitung nicht nur für Brustkrebs-Betroffene: „Wir wissen, wie Spitäler funktionieren, für Patientinnen und Patienten sind die Wege durch das System hingegen nicht immer so eindeutig. Daher wurden zum Beispiel in der Klinik Landstraße ehrenamtliche Patientenhilfsteams eingesetzt – ein kleiner, aber wichtiger Schritt, um rascher Unterstützung bieten zu können, wenn sie erforderlich ist.“
Auch Kaufmann warnt davor, den Mangel an Pflegekräften durch die Abwanderung in das möglicherweise attraktivere Lotsenteam weiter zu verschärfen und die Kompetenzen für Lotsinnen und Lotsen klar von den pflegerischen und medizinischen Aufgaben zu trennen. „Ich warne davor, mit Onkolotsinnen, Onkolotsen wieder eine neue Schnittstelle einzuführen. Es wäre daher wichtig, die Berufsgruppe in die bestehende Spitalsorganisation zu integrieren“, so Dipl. KH-BW Nikolaus Koller, MAS, MBA, Präsident der Krankenhaus-Manager Österreichs.
Eine Evaluierung laufender Projekte bietet Raum für Optimierung und erleichtert es, passende Finanzgeber zu überzeugen. „Ärztinnen und Ärzte haben mit der medizinischen Versorgung schon alle Hände voll zu tun, für eine standardisierte Begleitung im psycho-sozialen Bereich sind wir für jede Unterstützung dankbar. Wir müssen aber sicherstellen, dass das Angebot nicht nur im Spital existiert, sondern auch mit Niedergelassenen optimal zusammengearbeitet wird“, regt Dr. Gerald Michael Radner, Vorstandsmitglied der Ärztekammer für Wien, an.
Den Personalmangel, die Qualitätssicherung in der Ausbildung sowie das Auseinanderklaffen der Angebote zwischen extra- und intramuralem Sektor beschreibt auch Onkologe Univ.- Prof. Dr. Christian Singer von der Privatklinik Döbling: „Ich würde mir Breast Care Nurses und Patient Care Manager auch im niedergelassenen Sektor wünschen. Wichtig ist es, die Projekte mit klinischen Studien zu begleiten, um den Mehrwert für die Betroffenen und das System belegen zu können.“
Dr. Arno Melitopulos von der Österreichischen Gesundheitskasse verweist auf ein aktuelles Pilotprojekt in Niederösterreich und wünscht sich mehr dieser Initiativen, denn: „Die Verbindung von intra- und extramuralem Sektor werden wir so schnell nicht auf den Weg bringen, doch für einzelne Projekte ist es einfacher, eine Finanzierung aufzustellen.“ Ein weiteres wichtiges Versorgungsthema bringt Prim. Dr. Manfred Webersberger, Onkologische Rehabilitation in die Diskussion ein: „Die Onkologische Rehabilitation mit ihren vielfältigen Angeboten ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie, doch kommt sie erst zu einem sehr späten Zeitpunkt. Es wäre wichtig, dass bei den behandelnden Onkologinnen, Onkologen schon sehr früh über Angebote wie Physiotherapie oder Sozialarbeit informiert wird. Ich könnte mir vorstellen, dass auch ein verpflichtendes Praktikum der Onkologen auf einer Onkologischen Rehabilitation den Informationsfluss verbessern könnte.“
DKGP Lisa Wiedermann bringt bereits rund zehn Jahre Berufserfahrung als Breast Care Nurse mit. Den größten Vorteil für Patientinnen sieht sie in der kontinuierlichen Betreuung durch eine Person – ein Umstand, der medizinisch und pflegerisch nicht gewährleistet werden kann. „Mein Name und meine Telefonnummer ist das Wichtigste, was sich Patientinnen von mir wünschen“, sagt Wiedermann und ergänzt: „Die meisten befinden sich in einem emotionalen Ausnahmezustand und wollen einfach aufgefangen werden und bei oft banalen Fragen eine Ansprechperson haben.“ Für diese Softfacts sieht auch Gnant ein zentrales Betätigungsfeld der Onkolotsinnen und -lotsen: „Umfassende Versorgung braucht auch jene Bereiche, die nicht im Arztbrief stehen und in die Kernkompetenz eines Tumorboards fallen. Diese sozialen oder emotionalen Themen können Onkolotsinnen und -lotsen einbringen.“
Wichtige Forderungen auf einen Blick
- Qualitätsgesicherte Ausbildung
- Klare Kompetenzen und Aufgaben
- Kein Missbrauch für administrative Tätigkeiten im Spital
- Ausweitung auch auf andere onkologische Indikationen
- Extra- und intramurale Angebote ermöglichen
- Pilotprojekte einrichten und mit Forschung begleiten, um den Nutzen zu quantifizieren
Teilnehmende des Gipfelgesprächs (v. l.)
- Karl Lehner
- Claudia Müller-Jursik
- Manfred Rieser
- Elisabeth Andritsch
- Stephan Rebhandl
- Claudia Altmann- Pospischek
- Michael Gnant
- Birgit Grünberger
- Lisa Wiedermann
- Johannes Kaufmann
- Gerald Hütter
- Arno Melitopulos
- Robin Pancheri
- Andreas Farkas
- Gerald Radner
- Manfred Webersberger
- Nikolaus Koller
Digital dazugeschaltet
- Johannes Berger
- Christian Singer
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