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Darmkrebsvorsorge: Zu wichtig, um ein Tabuthema zu sein

Am Podium v. l. n. r.: Herbert Puhl (Mode- ration), Andreas Maieron, Angelika Widhalm, Rainer Schöfl, Thomas Czypionka
© KRISZTIAN JUHASZ

Darmkrebsvorsorge: Zu wichtig, um ein Tabuthema zu sein

Am Podium v. l. n. r.: Herbert Puhl (Mode- ration), Andreas Maieron, Angelika Widhalm, Rainer Schöfl, Thomas Czypionka
© KRISZTIAN JUHASZ

Um unseren Darm gesund zu halten und Veränderungen im Gewebe – wie z. B. Polypen oder Darmkrebs – frühzeitig zu erkennen, ist die Darmspiegelung eine der wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen. Die Koloskopie hat sich in den letzten Jahren technisch und wissenschaftlich sehr verbessert, dennoch scheuen nach wie vor viele Menschen die an sich harmlose Untersuchung. Aufgrund dessen lag der Fokus vierer Keynotes bei den 8. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten auf dem Thema Darmgesundheit.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Erkrankungen im Verdauungstrakt und im Darmbereich gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Menschen. Dennoch sind sie immer noch ein Tabu- und Vertrauensthema. Um zukunftsfähige Strategien für die Darmgesundheit im Rahmen der solidarischen Gesundheitsversorgung in Österreich zu erarbeiten, startete der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE im Vorjahr die „Initiative Darmgesundheit 2030“.

Darmkrebsvorsorge aus klinischer Sicht

„Eine bzw. einer von 20 Österreicherinnen und Österreichern wird an Dickdarmkrebs erkranken und eine bzw. einer von 40 wird daran sterben“, mit diesen drastischen Worten eröffnet Prim. Univ.-Prof. Dr. Rainer Schöfl vom Ordensklinikum Linz, Barmherzige Schwestern Elisabethinen, seine Keynote zum Thema Darmgesundheit. Am häufigsten er- kranken Personen zwischen 45 und 85 Jahren – Männer häufiger als Frauen. Dank Früherkennung und verbesserter Behandlungsmöglichkeiten ist die Darmkrebssterblichkeit in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.

„Mit der Koloskopie und dem neuen fäkalen immunologischen Test (FIT) gibt es sehr gute Untersuchungsmöglichkeiten“, so Schöfl. Eine Koloskopie ist die beste Methode, um Polypen oder Darmkrebs in einem frühen Stadium zu entdecken. Zudem können die früh entdeckten Polypen sofort und schonend abgetragen werden. Jedoch kann es in seltenen Fällen bei einer Koloskopie zu Darmperforationen kommen. Zusätzlich ist die Vorbereitung auf eine Darmspiegelung für Patientinnen und Patienten mit einem relativ hohen Aufwand verbunden.

Der FIT ist hingegen für die Patientinnen und Patienten mit weniger Belastung verbunden. Der Test kann einfach zu Hause durchgeführt werden. „Mithilfe eines kleinen Spatels kann eine Stuhlprobe entnommen werden. Diese wird in ein Röhrchen mit Flüssigkeit gesteckt und luftdicht verschraubt. Anschließend wird der Test von Fachleuten ausgewertet“, beschreibt Schöfl. Dadurch kann nachgewiesen werden, ob Blut im Stuhl vorhanden ist, welches mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Durch die unkomplizierte Handhabung des Stuhltests ist, wie aus anderen Staaten bekannt, wo der FIT bereits eingeführt wurde, die Akzeptanz gegenüber der Koloskopie deutlich höher. Jedoch können kleine Polypen mit dem FIT übersehen werden. Ein weiterer Nachteil des FIT ist, dass ein positiver Test trotzdem einer Koloskopie zur Abklärung des Grunds bedarf. Des Weiteren gibt es Patientengruppen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, für die der FIT nicht geeignet ist. Um in Österreich den FIT einführen zu können, müssen laut dem Experten die organisatorischen Rahmenbedingungen angepasst werden. Denn zurzeit betragen die Wartezeiten auf eine Koloskopie zum Beispiel in Oberösterreich sechs Monate oder mehr. Mit dem Wissen, dass die Patientin, der Patient Blut im Stuhl hat und es sich hier vielleicht um Darmkrebs handeln könnte, sind diese langen Wartezeiten nicht tragbar.

Organisiertes Darmkrebs­-Früherkennungsprogramm: Ergebnis „überraschend und enttäuschend“

Wie Schöfl, plädiert auch Primarius Doz. Dr. Andreas Maieron vom Universitätsklinikum St. Pölten für ein staatlich organisiertes Darmkrebs-Früherkennungsprogramm. Ziel ist die Früherkennung, wie Maieron erläutert: „Wir wissen heute, dass 15 Prozent der Betroffenen metastasiert sind und diese Patientinnen und Patienten somit wesentlich schlechtere Überlebenschancen haben. Erkennt man hingegen bereits frühe Krankheitsstadien, führt das zu weniger Leiden und klar höheren Überlebensraten.“ Aufgrund dessen startete Maieron ein Darmkrebs-Früherkennungsprogramm bei seinem Arbeitgeber der NÖ Landesgesundheitsagentur. Bei diesem Projekt wurden alle über 50-jährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (n= 10.239) mithilfe eines Einladungsschreibens dazu aufgefordert einen FIT niederschwellig im Krankenhaus abzugeben. „Für jene Personen, die einen negativen Test hatten, war das Projekt abgeschlossen. Für jene, die einen positiven Test hatten, haben wir eine zeitnahe Koloskopie angeboten“, erklärt der Experte. Die Teilnehmerzahlen seien jedoch ernüchtern. 3.063 Personen gaben einen FIT ab. Das entspricht einer Teilnehmerquote von 25 Prozent (32 Prozent Frauen und 22 Prozent Männer). Zusätzlich zu dem FIT wurde bei dem Vorsorgeprogramm auch Pyruvatkinase M2 (PKM2), ein Tumormarker, gemessen.

„747 Tests waren positiv. Davon haben nur 84 Prozent den Koloskopietermin wahrgenommen“, berichtet Maieron. Aber nicht nur die Teilnehmerquote sei ernüchternd, auch die Qualität der durchgeführten Koloskopien lässt zu wünschen übrig. So führt der Facharzt an, dass 5,9 Prozent keine Sedierung hatten. Nur 68 Prozent haben eine propofolhältige Sedierung bekommen. Der Rest ist nach wie vor mit Midazolam oder mit einer Mischung von Pethidin, Ketamin sediert worden, welche keine geeignete Sedierung sei. Außerdem wäre die Rate der entdeckten Polypen frustrierend.

„Es wurden bei 38 Prozent Polypen entdeckt. 33 Prozent waren histologische Polypen, adenome Polypen waren 13 Prozent. Das heißt 20 Prozent war hyperplastische Polypen, die man hätte, drin lassen sollen“, erklärt Maieron und fügt hinzu: „Eine nicht angereicherte Patientengut sollte eine Adenomdetektionsrate von 25 Prozent haben. Da es sich bei unserer Testgruppe jedoch um ein angereichertes Patientengut handelte, hätte die Adenomdetektionsrate höher sein müssen.“

Ergebnisse der IHS-­Studie

In seinem Vortrag stellt Dr. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien und Leiter Health Economics & Health Policy die Ergebnisse der Studie „Gastroenterologische und hepatologische Versorgung in Österreich“, welche im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer und Österreichischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) durchgeführt wurde, vor. „Ziel der Studie war es, mithilfe von qualitativen und quantitativen Methoden den derzeitigen Stand der gastroenterologisch-hepatologischen Versorgung in Österreich zu analysieren, zu bewerten sowie den zukünftigen Bedarf an Gastroenterologinnen, Gastroenterologen und Hepatologinnen, Hepatologen abzuschätzen“, erklärt Czypionka.

Die Analyse zeigt, dass Erkrankungen aus dem Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie eine hohe Prävalenz und Bedeutung für die Versorgung aufweisen. Die Versorgung diesbezüglich ist allerdings sehr heterogen und unterliegt kaum einer Planung. Dies betrifft zum einen die Schnittstellen zwischen Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, extramuralen und intramuralen Fachärztinnen und -ärzten und der stationären Versorgung und zum anderen die Schnittstelle zu anderen Fachrichtungen, insbesondere der Chirurgie. Außerdem scheint es vielerorts ein starkes Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie zu geben. „Die vorgenommene GAP-Analyse ergab folgendes: Im intramuralen Bereich wird im Jahr 2030 voraussichtlich eine Lücke von 83 Personen klaffen, da die Zahl verfügbarer Ärztinnen und Ärzte mit Gastroenterologie und Hepatologie-Qualifikation zwischen 2021 und 2030 um 27 Prozent abnehmen, während der Bedarf voraussichtlich um vier Prozent steigen wird. Auch im niedergelassenen Bereich wird bis zum Jahr 2030 eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage entstehen, diese ist sogar um einiges größer als im intramuralen Bereich, es werden im Jahr 2030 voraussichtlich 144 bis 188 Personen fehlen“, berichtet der Experte.

Das Darmmikrobiom – ein therapeutisches Ziel?

Ist von Darmerkrankungen die Rede, rückt in den letzten Jahren das Thema Darmmikrobiom immer stärker in den Vordergrund. „Dieses Habitat für Mikroorganismen, ins- besondere Bakterien, hat eine hohe genetische Vielfalt, eine hohe Stoffwechselaktivität und beeinflusst daher auch die Funktionen des Körpers ganz entscheidend“, sagt Univ.- Prof. Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Medizinischen Universität Graz. Vice versa haben Ernährung, die Umwelt und die Einnahme von Medikamenten eine starke Wirkung auf das Mikrobiom. Dabei kann es schnell zu einem Teufelskreis kommen. „Zu viel Zucker, zu viel Fett und zu viel Alkohol gefährden die Gesundheit und können sich negativ auf das Darmmikrobiom auswirken“, so Stadlbauer-Köllner. Indem die Diversität des Mikrobioms abnimmt, wird es anfälliger auf Schäden von außen. Keime können in den Körper gelangen und eine Barrierestörung, eine Entzündungsreaktion verursachen, die Leberfunktion verschlechtern oder zu Komplikationen wie Infektionen führen.

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der eine Störung des Darmmikrobioms hervorruft, sind Medikamente. Häufig können Medikamente gegen Depressionen, Diabetes oder Blutdruckmedikamente als Nebeneffekt das Darmmikrobiom beeinflussen. Aber auch Antibiotika haben Nebenwirkungen. „Bis zu einem Viertel der Antibiotika-Therapien führen vor allem bei Kindern und älteren Menschen zu einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö. Der Grund dafür ist, dass Antibiotika nicht sehr selektiv vorgehen und auch Bakterien des Darmmikrobioms abtöten. Dadurch wird die Diversität drastisch gesenkt. Studien zeigen jedoch, dass die Gabe von Probiotika das Durchfallrisiko um 60 Prozent reduzieren kann“, erklärt Stadlbauer-Köllner.

Zum Schluss ihres Vortrags geht Stadlbauer-Köllner näher auf ihre Forderungen bzw. Wünsche bezüglich des Darmmikrobioms ein: „Wir brauchen dringend eine Definition der Normwerte für die Mikrobiomzusammensetzung damit Diagnostik betrieben werden kann. Wir müssen auch eine Wissensbasis zu Medikamenten-Mikrobiom-Interaktion auf- bauen und das Mikrobiom in die Entwicklung von Therapeutika einbeziehen. Außerdem ist es notwendig, neue regulatorische Strukturen zu schaffen, um mikrobiombasierte Therapien gut anwenden zu können, denn die Regeln, die für Arzneimittel gelten, sind weder für Stuhltransplantationen noch für Pre-, Pro- und Symbiotika geeignet.“

Essenzen aus der Podiumsdiskussion

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die Themen der vier Keynotespeaker aufgegriffen und vertiefend diskutiert. So berichtet Schöfl: „Das zukünftige österreichische Konzept wird sich dahingehend entwickeln, dass ein FIT alle zwei Jahre oder eine Koloskopie alle zehn Jahre durchgeführt werden sollte. Hoffentlich wird der FIT die Darmgesundheit weiter vorantreiben und durch die bessere Akzeptanz mehr Menschen dazu bewegen, eine Darmvorsorge zu machen. Hinsichtlich Früherkennung von Dickdarmkrebs sind beide Konzepte, wenn sie konsequent durchgezogen werden, gleichwertig. Ich glaube, dass zurzeit der FIT ein guter Kompromiss zwischen Leistung und Kosten ist.“ Der Gastroenterologe und Hepatologe vermutet, dass die Zukunft der Darmversorgung in nicht invasiven Tests liegt. Bezüglich Qualität betont Maieron nochmals die Wichtigkeit einer lückenlosen Dokumentation von Koloskopien. Diese würde nicht nur zu verbesserten Ergebnissen führen, sondern auch eine gute argumentative Grundlage schaffen, um Kosten zu reduzieren.

Auch auf die Attraktivierung des Faches wurde in der Diskussionsrunde näher eingegangen. Hierbei hat Czypionka klare Forderungen: „Es bedarf Maßnahmen, um unter angehenden Medizinerinnen und Medizinern mehr Interesse für die Gastroenterologie und Hepatologie zu wecken, beispielsweise durch eine gute, strukturierte Ausbildung. Zudem sollte der vertragsärztliche Bereich besser gefördert und Kassenstellen wieder attraktiver gemacht werden.“

Zum Schluss der Podiumsdiskussion wurde das Thema Health Literacy und Awareness aufgegriffen. Hierbei stellt Angelika Widhalm vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich klar, dass im Bereich der Awareness-, Aufklärungs- und Informationsarbeit noch großer Aufholbedarf bestehe. Hier sei vor allem eine zielgruppenspezifische Aufklärung notwendig. Nur mit der Stärkung der Gesundheitskompetenz der österreichischen Bevölkerung sei es möglich, dass das Einladungssystem greifen kann.

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