Eine großzügige Reform des Systems ist seit Langem überfällig, wie zuletzt auch die Expertinnen und Experten im Rahmen der Präsentation des PRAEVENIRE Jahrbuchs eindringlich warnten. Die Bundesregierung zeigt nun den Willen, die Probleme anzupacken. PERISKOP sprach mit dem Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner, Die Grünen, über Ideen und Positionen seiner Partei zu vordringlichen Themen der Gesundheitsversorgung.
Rainald Edel, MBA
Periskop-Redakteur
Ralph Schallmeiner gehört seit 2019 dem Nationalrat an und ist der Gesundheitssprecher seiner Partei, Die Grünen. Seit 2021 ist der gelernte Großhandelskaufmann zudem Vizebürgermeister der Marktgemeinde Thalheim bei Wels.
PERISKOP: In vielen ländlichen Regionen gibt es immer weniger ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich. Welche Konzepte erachten Sie als sinnvoll, um die Primärversorgung nachhaltig zu sichern?
SCHALLMEINER: Die Grundfrage ist, wie schaffen wir es, dass alle Personen in Österreich den gleichen Zugang zu den gleichen guten Leistungen erhalten, ohne dafür zusätzliches Geld in die Hand nehmen zu müssen? Daher ist es wichtig, dass es einen lebendigen niedergelassenen Bereich mit Krankenkassenzugang gibt. Es scheitert aber nicht an der Zahl der Ärztinnen und Ärzte – wir haben die größte Ärztedichte in Europa. Gerade für den ländlichen Bereich stellt sich auch die Frage, wie man die Versorgung mit Psychologinnen und Psychologen sowie die diversen Therapieberufe mit Kassenverträgen sicherstellen kann.
Ein Baustein ist die derzeit laufende Reparatur des aus meiner Sicht nicht sehr glücklichen PVE-Gesetzes aus dem Jahr 2017. Wir wollen, dass Primärversorgungseinheiten (PVE) leichter zu gründen sind, und zwar durch die Hereinnahme der nichtärztlichen Gründungsmitglieder und damit mehr Arbeit auf Augenhöhe zwischen den Berufsgruppen. Auch die Möglichkeit der Ausprägung als Netzwerk wird helfen. Da ein PVE erst ab einer Größenordnung von drei- bis viertausend Einwohnern wirtschaftlich Sinn macht, bleiben viele Gemeinden übrig, die unter dieser Grenze liegen. Diese müssen wir uns noch gesondert anschau- en. Wobei es in solchen kleineren Gemeinden nicht immer so schwer ist, eine ärztliche Versorgung zu finden – Stichwort Hausapotheke. Ich glaube aber auch, dass es eine Verantwortung der Kommunen gibt, auch die müssen diesbezüglich mehr Engagement zeigen.
Grundvoraussetzung ist, einen guten Gesamtvertrag zu erzielen. Denn wir sehen deutlich, in jenen Bundesländern, in denen die Verträge wenig attraktiv sind, bestehen auch die größten Probleme bei der Nachbesetzung. Hier müssen Sozialversicherungen und Ärztekammer aufeinander zugehen. Es wäre vielleicht sinnvoll, auf ein anderes Honorierungssystem umzusteigen und sich Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern anzuschauen.
Wie sehen Sie die Rolle der Gesundheitsberufe und deren Expertise im Gesundheitssystem der Zukunft? Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Gesundheitsberufe zu attraktiveren, um zukunftsorientiert den Personalbedarf abzudecken?
Neben dem wohnortnahen Zugang zu Kassenordinationen der wichtigsten Fachrichtungen, wie Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde, Gynäkologie, Augenheilkunde etc. braucht es auch die viel stärkere Einbindung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe in das Versorgungssystem. Wir bilden hochqualifizierte Pflegekräfte an Fachhochschulen aus, die dann in der Realität ihr Wissen und Können nicht anwenden dürfen. Das ist hochgradig frustrierend für die Ausgebildeten. Wir sind in einem System gefangen, in dem wir die Qualifikation hochausgebildeter Personen einfach nicht anerkennen. Das muss sich dringend ändern, dann wird unser Gesundheitssystem auch effizient. Das gibt zum Beispiel den Pflegekräften die Motivation, im System zu bleiben, weil sie anwenden können, was sie gelernt haben, einhergehend mit einer Gehaltssteigerung, da Kompetenz und Verantwortung auch entsprechend honoriert werden muss. Einen Effekt, den wir in Skandinavien sehen, ist, dass man mit so einer Aufstellung viel näher an der Bevölkerung ist, mehr Zeit für die jeweilige Person zur Verfügung steht und die Kommunikation auch mehr auf Augenhöhe mit den Patientinnen und Patienten erfolgen kann.
Auch wenn es während der Coronapandemie einen gewissen Boost gegeben hat, tritt die Digitalisierung im Gesundheitsbereich in Österreich bislang weitgehend auf der Stelle. Als Grund hört man oft, dass einer Lösung der Datenschutz im Weg stünde – allerdings sind andere Länder, wie die skandinavischen Staaten, schon viel weiter. Muss man bei uns umdenken?
Schweden hat beispielsweise eine ganz andere Transparenzkultur, diese kann man nicht mit Österreich vergleichen. Auch wenn ich niemand bin, der einen überbordenden Datenschutz vertritt, bin ich dagegen, wie es manche fordern, dass man die in ELGA enthaltenen Gesundheitsdaten einfach für alle zugänglich macht. Der Datenschutz muss in jedem Fall gewährleistet sein, auch wenn das der Industrie nicht gefällt. Gleichzeitig muss aber auch die Möglichkeit bestehen, dass jede und jeder Einzelne seine Daten zum Beispiel im Rahmen von Studien freiwillig offenlegt und diese Entscheidung jederzeit widerrufen kann. Daher braucht es hier eine gute und saubere Lösung.
Österreich hat mit ELGA seit einigen Jahren ein elektronisches Basissystem für die Gesundheitsversorgung, das allerdings, so die Kritik von Anwenderinnen, Anwendern und Patientenseite, noch einige Schwachstellen hat. Welche Ausbaupläne gibt es dazu?
Ich bin froh, dass wir uns bei ELGA einig sind, dass diese die zentrale Plattform ist. Wir haben die Herausforderung des European Health Data Systems, was für Österreich der zentrale Punkt sein wird. Wir müssen beispielsweise schauen, dass wir alle Ärztinnen und Ärzte hier einbringen, und nicht nur wie derzeit die Krankenhäuser und PVE in Form der Diagnosecodierung. Hier müssen alle anderen Formen im niedergelassenen Bereich ebenso eingebunden werden. Das heißt, dass auch die Wahlarztpraxen verpflichtend über einen ELGA-Anschluss verfügen müssen. Wir brauchen in Zukunft auch die zentrale Aufbewahrung für alle bildgebenden und diagnostischen Verfahren, wo nun endlich der Turbo zur Umsetzung gestartet wurde. Denn es kann nicht sein, dass ein und dieselbe Untersuchung dreimal gemacht wird, bis die Patientin, der Patient endlich zu einer Diagnose kommt. Klar ist aber in allen Fällen, dass der Datenschutz prioritär ist und jede und jeder Hoheit über ihre bzw. seine Daten haben muss.
Inwieweit sollen aber dennoch anonymisierte Daten, die es oftmals ja schon gäbe, zum Beispiel im Rahmen von Krankheitsregister für Auswertungen zur Verfügung stehen?
Wenn wir ein gutes Gesundheitswesen haben wollen, müssen wir es auch planen können. Dazu braucht es natürlich Daten als Grundlage. Was passiert, wenn diese nicht zur Verfügung stehen, hat sich während der Coronapandemie gezeigt. Das heißt, in Zukunft werden auch die Bundesländer nicht daran vorbeikommen, ihre Daten sauber zentral anzumelden, damit wir eine verbindliche Planung im Gesundheitswesen haben. Zentraler Punkt ist auch hier die DSGVO – das muss daten- schutzrechtlich sauber gelöst sein. Und das ist möglich, das zeigen uns andere Länder. Denn die DSGVO gilt ja auch in den zuvor angesprochenen skandinavischen Ländern, und die sind deutlich weiter als wir – trotz Einhaltung des Datenschutzes.
Welche Rolle spielen die Digital Natives, eine neue Generation hoch technikaffiner junger Ärztinnen und Ärzte, als Multiplikatoren für zukünftige Entwicklungen im Gesundheitssystem?
Ohne Digitalisierung wird in Zukunft im Gesundheitssystem nichts mehr gehen. Junge Ärztinnen und Ärzte sind sicherlich deutlich offener und aufgeschlossener gegenüber digitalen Hilfsmitteln und setzen diese auch breitflächig ein. Ein gutes Beispiel dazu ist die Diagnosecodierung, die für junge Menschen gar kein Diskussionspunkt mehr ist, sondern eine Selbstverständlichkeit. Gleiches ist im Pflegebereich zu beobachten, wo es sehr gute digitale Unterstützungsmöglichkeiten gibt, die die Dokumentation wesentlich erleichtern und zeiteffizient machen, wenn man sie einsetzt. Allerdings braucht es noch eine Lösung für die digitalen Angebote für Patientinnen und Patienten, die sogenannten DiGAs.
Ein Dauerbrenner im Fokus der Medien ist der Bereich der Pflege und Betreuung. Welche Konzepte – abgesehen von der genannten Attraktivierung der Gesundheitsberufe – gibt es, die für eine Entlastung sorgen können?
Wir stecken gerade mitten in der Pflegereform, die 20 verschiedene Einzelprojekte beinhaltet. Hier wird man schauen müssen, ob das ausreichend ist. Aber ich gehe davon aus, dass wir durch die Reform wieder mehr Personen in die Ausbildung für Pflegeberufe bekommen. Anschauen müssen wir uns aber auch, warum so viele Pflegekräfte nach sechs bis sieben Jahren wieder aus dem Berufsfeld ausscheiden. Die am häufigsten genannten Gründe sind die Planbarkeit der Arbeitszeiten und die Work-Life-Balance. Um hier anzusetzen, bräuchte es aber mehr Personal. Um das zu durchbrechen, wird es nötig sein, die Reform sauber umzusetzen und Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben. Wobei man hier den Bereich der Anerkennung ausländischer Qualifikationen deutlich vereinfachen und beschleunigen muss.
Neben dem wohnortnahen Zugang zu Kassenordinationen der wichtigsten Fachrichtungen braucht es auch die viel stärkere Einbindung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe in das Versorgungssystem.
Ralph Schallmeiner
Im PRAEVENIRE Jahrbuch fordern die Expertinnen und Experten, alle vom Nationalen Impfgremium empfohlenen Impfungen kostenlos zu ermöglichen. Denken Sie, es ist möglich, die Impfbereitschaft mittels Aufklärung und niederschwelligen Angeboten zu erhöhen?
Impfen ist eine der wichtigsten medizinischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte. Daher wäre es wichtig, möglichst vielen Personen das nationale Impfprogramm kosten- günstig bzw. gratis zur Verfügung zu stellen. Die größte Hürde sehe ich dabei, wie Impfen in Österreich organisiert ist, da die Finanzierung auf Bund, Länder, teilweise Gemeinden und Sozialversicherung aufgesplittert ist.
Unser Wunsch wäre, das zu vereinheitlichen und zumindest jenen, die es sich nicht leisten können, die Impfungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Begleitend braucht es dazu eine Kommunikation, die die Menschen anspricht und nicht nur informiert, welche Impfungen es gibt, sondern erklärt, warum es wichtig ist, sich impfen zu lassen. So wäre es gut, wenn man Jugendliche beispielsweise für die HPV-Impfung anspricht, dass man dazu die Bundesjugendvertretung (BJV) einbindet, damit die Sprache der Kampagne auf Augenhöhe mit der Zielgruppe erfolgt.
Ein aktuelles Thema ist die Arzneimittelversorgung in Österreich. Wie reagiert die Politik auf die veränderten Umstände, die zu dieser Situation geführt haben?
Das Thema ist vielschichtig. Man muss sich ansehen, was dem Problem zugrunde liegt. Sicher zu kurz greifen Erklärungsmodelle, dass es nur am Preis läge, da ja auch andere Länder in Europa betroffen sind. Es wären die Sozialversicherung, die Industrie und auch der Großhandel gefordert, sich zu überlegen, wie man einen Einkauf bestmöglich gestalten könnte. Dabei müssen sowohl die Liefersicherheit gewährleistet sein als auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Pharmabetriebe berücksichtigt werden.
Dazu gehört meiner Meinung auch ein einheitlicher Einkauf für alle Bundesländer, denn nur so bekommen wir das notwendige Marktgewicht. Sicherlich hilfreich wäre auch hier das Thema Daten, da man durch die zuvor erwähnten Diagnosecodierung natürlich eine viel bessere Planbarkeit des Bedarfs hat. Aber auch auf europäischer Ebene muss das Thema organisiert werden, sowohl der Bereich Einkauf als auch die Produktion. Zwar hat es diesbezüglich in den letzten Jahren schon einige Vorstöße gegeben, von einem fertigen Konzept sind wir allerdings noch weit weg.
Wie sieht das Spital der Zukunft für Sie aus – Stichworte Ambulantisierung und Betten- zahl bzw. Bettenfunktion?
Wir haben zwei Patientengruppen in den Spitälern – einerseits jene, die schnell wieder von dort wegwollen, und jene, die froh sind, dass sie drinnen sind. Für beide Gruppen müssen wir passende Angebote schaffen. Grundsätzlich sehe ich in der ambulanten, kurzen Versorgung eher die Zukunft. Was nicht heißt, dass ich die Betten in Frage stelle, sondern die Form. Was uns fehlt, und das betrifft die zuvor angesprochene zweite Gruppe, sind Übergangspflegeeinrichtungen. Dieser Bereich gehört für die Krankenhäuser definiert. Damit kann man aber den Bereich der Akutversorgung entlasten. Aber auch hier stellt sich die Frage, wie man nichtärztliches Personal hier optimal einsetzen kann.
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