Philips ist führender Anbieter im Bereich der Gesundheitstechnologie. Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige Versorgung mit verbesserten Erfahrungen für Patientinnen und Patienten sowie für medizinisches Fachpersonal bereitzustellen. Mag. Michaela Latzelsberger, die seit 1. April 2020 die Geschäfte von Philips Österreich leitet, setzt auf die geschickte Kombination aus Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit, Ergebnisqualität und Wirtschaftlichkeit. PERISKOP hat die Expertin für das europäische Gesundheitswesen zum Gespräch geladen. | von Mag. Julia Wolkerstorfer
Die komplexen Prozesse des Gesundheitssystems verlangen effiziente und vernetzte Abläufe, hochkarätige und entlastende IT-Lösungen bei einer gleichzeitig verstärkten Ausrichtung auf den Menschen.
Ich denke, die derzeitige Situation ist ein unerwarteter Treiber und wird die Entwicklung beflügeln.
Michaela Latzelsberger
Adaptive Intelligence orientiert sich an den Bedürfnissen der Anwenderinnen und Anwender. Sie passt sich ihrem menschlichen Umfeld an. Wie erleben Sie die Brückenfunktion der Adaptive Intelligence, die Künstliche Intelligenz mit dem Faktor Mensch verbindet?
Adaptive Intelligence ist ein sinnvoller Ansatz, da sie uns helfen kann, das Gesundheitswesen effektiver zu gestalten — wichtig dabei ist allerdings, wie Sie sagen, immer die Patientinnen und die Patienten und das Fachpersonal, also den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Wir denken dabei das Konzept der Künstlichen Intelligenz also vom Anwender her und setzen ihm kein fertiges Produkt vor. Die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz sollen vielmehr in existierende medizintechnische Prozesse und Systeme, etwa im Klinikalltag, eingebettet werden. Durch die Verbindung von Künstlicher Intelligenz mit anderen Technologien und der Arbeit an konkreten Fragestellungen entstehen Lösungen, die sich an den Kontext anpassen, Abläufe vereinfachen und Menschen im Gesundheitswesen in ihren täglichen Aufgaben unterstützen. Adaptive Intelligence dient also vor allem einem: der Unterstützung sowohl des medizinischen Personals als auch der Patientinnen und Patienten selbst.
Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und der Integration von intelligenten Systemen schaffen einen Mehrwert für Patientinnen und Patienten, für medizinisches Fachpersonal und das gesamte Gesundheitssystem. Worin sehen Sie die Meilensteine hinsichtlich Prozessoptimierung und Qualitätsverbesserung?
Die Orientierung an den vier Dimensionen des Quadruple Aim, wie bereits beschrieben, sehe ich hierfür als wegweisend an — also das Ziel, Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit, Ergebnisqualität und Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Hieran arbeiten wir mit diversen digitalen Medizintechniklösungen.
Ein wichtiger Bereich, in dem wir unsere Kundinnen und Kunden unterstützen, ist die digitale Radiologie. Einen echten Mehrwert bringt sie, wenn die Radiologie als voll integriertes und vernetztes Bindeglied verstanden wird, Daten vernetzt und auf Anhieb richtige Diagnosen und Behandlungsentscheidungen ermöglicht. Eine unserer Lösungen aus dem Bereich Radiologie ist die Detektionstechnologie VitalEye. Sie soll die Überwachung von Patientinnen und Patienten während der Untersuchung verbessern. Die Detektionstechnologie läuft im Hintergrund einer Untersuchung und prüft die Physiologie der Patientin bzw. des Patienten — ohne zusätzliche Interaktionsschritte des medizinischen Personals. Neben der laufenden Überprüfung von Atmung und Atemmuster lässt sich beispielsweise auch das Auslösen von Atemtriggerung über VitalEye steuern. Über den VitalScreen wird der Anwender über alle klinischen Patientenparameter, unter anderem Informationen zu Puls und Atembewegung, direkt am System informiert. Das IntelliSpace Portal von Philips ist eine fachbereichs- und modalitätenübergreifende Lösung für die Bildnachverarbeitung und Bildanalyse, mit der wir Ärztinnen und Ärzte umfassend bei Diagnose und Verlaufsbeobachtung unterstützen. Sie hilft dabei, Bild- und Befunddaten reibungslos auszutauschen. Dafür bietet das IntelliSpace Portal Analysewerkzeuge für ein breites Spektrum an klinisch-radiologischen Fragestellungen. Mit dem HeartNavigator haben wir ein interventionelles Tool im Portfolio, das den minimalinvasiven Einsatz von Herzklappen vereinfacht. Genauer gesagt, vereinfacht es Messungen und die Wahl des Aortenklappenersatzes und des Winkels für die Röntgenprojektion. HeartModel A. I. für die Echokardiographie bietet Anwenderinnen und Anwendern eine Zeitersparnis bei der 3D-Quantifizierung des Herzens. Die einzelnen Bilder können über den gesamten Herzzyklus mithilfe der 3D-Speckle-Technologie nachverfolgt werden. Außerdem ist es das einzige validierte Tool, das eine gleichzeitige Messung des LV- und LA-Volumens ermöglicht.
Im Bereich der Krebsmedizin unterstützen wir Spitäler mit unserer Onkologie-Plattform. Sie soll dazu beitragen, die Genauigkeit der individuellen Indikationsstellung im interdisziplinären Dialog zu verbessern. Das digitale Tumorboard bietet eine schnelle und vollständige Übersicht der für die Therapieentscheidung relevanten Daten zur jeweiligen Patientin bzw. zum jeweiligen Patienten, die für alle beteiligten Fachdisziplinen während der Tumorkonferenz bereitstehen. Von der Vorgeschichte über den Allgemeinzustand bis hin zu Laborparametern, pathologischen, molekulargenetischen und radiologischen Befunden, OP-Berichten, Bestrahlungs- und Chemotherapieprotokollen. Tumorkonferenzen werden sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung deutlich effizienter. Es bleibt mehr Zeit für den interdisziplinären Austausch, was letztlich auch die Behandlungsqualität verbessert.
Unsere Kundenanfragen im Bereich Teleintensivmedizin haben sich enorm gesteigert.
Michaela Latzelsberger
Mit jeder Minute sammeln Gesundheitseinrichtungen neue Daten und damit wichtige Informationen, die ohne KI wertlos blieben. Braucht es mehr Mut und Verständnis für digitale Gesundheitstechnologien, um unnötig komplexe Abläufe zu vereinfachen und um mehr Zeit für das Wesentliche — die bestmögliche Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten — zu gewinnen?
Gerade in Zeiten wie der Corona-Pandemie, die Gesundheitssysteme weltweit herausfordert, zeigt sich, dass digitale Konzepte und Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen notwendig sind — und mit enormer Dringlichkeit immer mehr genutzt werden. Um die Ansteckungsrisiken durch physische Distanz zu reduzieren, ist die digitale Vernetzung von Patientinnen und Patienten und Fachkräften über Telemedizin natürlich ein entscheidender Aspekt der Gesundheitsversorgung. Ich denke, die derzeitige Situation ist ein unerwarteter Treiber und wird die Entwicklung beflügeln. Davon ist auch Philips als Unternehmen überzeugt und natürlich treiben wir bei Philips diese Entwicklung gerne mit voran. Unsere Kundenanfragen im Bereich Teleintensivmedizin haben sich bereits enorm gesteigert. Wir unterstützen die Spitäler mit unseren IT-Lösungen für Radiologie, Kardiologie und Intensivmedizin, aber auch mit Lösungen zur Vernetzung von Leistungserbringern und Patientinnen und Patienten.
Zu beachten ist bei all dem, dass die Grundvoraussetzung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz immer eine umfassende Digitalisierung aller für die Anwendung relevanter Daten ist. Genauso wichtig ist, dass diese Daten strukturiert vorliegen und miteinander kompatibel sind und alle wichtigen Aspekte des Datenschutzes befolgt und eingehalten werden. Daran gilt es im Gesundheitssystem weiter zu arbeiten.
Worin liegt in Ihren Augen die Bedeutung von Datentransparenz?
Datentransparenz dient letzten Endes dem Wohle der Patientinnen und Patienten und sorgt dafür, dass diese informierter und selbstbestimmter sind. Haben viele Akteure im Gesundheitssystem Zugang zu einem großen Pool aus (anonymisierten/pseudonymisierten) Gesundheitsdaten, können sie so zur Versorgungsforschung genutzt werden. Versorgungsprozesse können effizienter und effektiver gestaltet werden. Daher begrüße ich auch die elektronische Gesundheitsakte, die Patientinnen und Patienten und Gesundheitsdienstleistern einen gesicherten orts- und zeitunabhängigen Zugang zu wichtigen Gesundheitsdaten ermöglicht.
Das Interesse und die Befürwortung intelligenter Systeme steigen, dennoch gibt es Hindernisse beim Einsatz digitaler Technologien. Wie schafft Philips die Kreation eines vertrauensvollen Fundaments?
Ich glaube, wir haben zum einen auf Basis unserer knapp 130-jährigen Unternehmensgeschichte und unseres weit zurückreichenden Know-hows bei Konsumentinnen und Konsumenten, Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzten einen gewissen Vorschuss an Vertrauen. Zum anderen lassen wir Taten und Lösungen folgen, die überzeugen. Wir haben bereits langangelegte Projekte erfolgreich umgesetzt, uns damit einen Namen gemacht und uns so das Vertrauen namhafter Kunden erarbeitet. Außerdem sind wir seit jeher inhaltlich erfolgreich und innovativ geblieben. Wir denken aus Kundinnen- und Kundenperspektive und stellen uns auf die individuellen Bedürfnisse ein. Kommunikation ist hier ein wichtiges Stichwort. Mit allen Akteuren des Gesundheitswesens, ob mit unseren Kundinnen und Kunden, der Politik, Verbänden, Krankenkassen oder Dienstleistern. Wenn wir unsere Lösungen offen und transparent darstellen und zeigen, was sie wie umsetzen können, werden eventuelle Hindernisse schneller beseitigt.
Wichtig bei allen Betrachtungen und digitalen Lösungen ist: Der Mensch bleibt der Entscheider.
Michaela Latzelsberger
Das Gesundheitssystem muss effizienter werden, damit steigende Ausgaben für die Versorgung sichergestellt sind. Welchen Erfahrungsschatz schöpfen Sie aus der Studie „Leistungskraft regionaler Gesundheitssysteme — Krankenanstalten im Bundesländervergleich“, die Philips begleitet hat?
Zum Teil fehlende gesamtheitliche Strategien und wenig öffentlich zugängliche Informationen aus allen Bereichen gestalten es schwierig, das Gesundheitssystem nachhaltig neu zu gestalten. Versorgung, Verantwortlichkeiten und Finanzierung müssen dringend bundesländerübergreifend aufeinander abgestimmt werden, um die künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen bestmöglich zu meistern. Die wichtigsten gestalterischen Faktoren der Zukunft sind laut dieser Studie: Schaffung von Rahmenbedingungen, durch die alle Menschen gesund altern können, Auf- und Ausbau der ambulanten Versorgung am „Best Point of Service“, ausreichende Sicherstellung personeller Ressourcen auf allen Ebenen, sowie bessere Abstimmung der Versorgung zwischen Gesundheit und Pflege. Die Voraussetzungen, um all diese Herausforderungen zu meistern, sind Investitionen bei gleichzeitiger Sicherstellung der finanziellen Nachhaltigkeit und des Ausbaus der Digitalisierung.
Wir verzeichnen im Europavergleich eine hohe Anzahl an stationären Aufnahmen (der Arbeitsdruck steigt), was sich vor allem in Oberösterreich und Salzburg zeigt. Auch in Wien ist die Produktivität gestiegen — bedingt durch überdurchschnittliche Zuwächse bei der Leistungsorientierten Krankenhausfinanzierung (LKF) zum einen und durch starken Personalabbau zum anderen. Wie interagiert Philips in dieser Entwicklung?
Wir sehen, dass Gesundheitssysteme weltweit vor einem Paradigmenwechsel stehen und die Qualität der Patientenversorgung immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Damit das gewährleistet ist, müssen wir dafür sorgen, dass das Krankenhauspersonal durch unsere Lösungen entlastet wird. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Krankenhäuser ein attraktiver Arbeitsplatz sein. Ein motiviertes Team braucht schlanke Prozesse und bestmögliche Unterstützung, um auch bei hoher Arbeitsbelastung Spitzenleistungen zu erbringen. Die Lösungen, die wir als Unternehmen in die Versorgung einbringen, zahlen im Idealfall auf alle vier Dimensionen des Quadruple Aim ein. Deshalb bringen wir Technologien und Daten intelligent zusammen, um den Versorgungsprozess zu optimieren.
Intelligente Systeme sollen Menschen nicht ersetzen, sondern unterstützen. Wie schaffen wir es, dass Menschen Mensch bleiben dürfen und langfristig nicht von Technik verdrängt werden? Wie gelingt der optimale Spagat?
Wichtig bei allen Betrachtungen und digitalen Lösungen ist: Der Mensch bleibt der Entscheider. Standard-Prozesse und -Workflows, die den täglichen Arbeitsablauf für Gesundheitsdienstleister möglicherweise unnötig verlangsamen oder erschweren, können und sollen durch Maschinen übernommen werden. Und das im Idealfall abteilungsübergreifend, da die Daten miteinander vernetzt werden. So können sie Ärztinnen und Ärzten und Pflegekräften dabei helfen, Diagnosen präziser und effektiver stellen zu können und es bleibt mehr Zeit für kompliziertere Abläufe und vor allem den Patientinnen und Patienten selbst.
Wenn Sie einen Blick in die weltweite Zukunft der Medizin werfen — welche Bilder entstehen?
Ich denke dabei vor allem an das vernetzte, intelligente Krankenhaus: das Smart Hospital. In dem sich alle an der Versorgung Beteiligten als Netzwerk um die Patientin bzw. den Patienten herum organisieren, mit einer Schaltzentrale, von der aus Patientinnen und Patienten überwacht und Diagnosen gestellt werden. In dem die Möglichkeiten der Telemedizin konsequent genutzt und in die Arbeitswelten des Krankenhauses integriert werden. In dem Informationen ungehindert fließen und Hürden im Datenaustausch abgebaut werden. In dem der Einsatz Künstlicher Intelligenz es ermöglicht, Arbeitsschritte zu automatisieren, Analysen zu vereinfachen und klinische Entscheidungen zu unterstützen. In dem ein effizientes Workflow Management Rahmenbedingungen für qualitätsorientiertes, wirtschaftliches Arbeiten schafft und Patientinnen und Patienten noch stärker als bisher in die Versorgungsprozesse einbezogen werden.
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Seit über 20 Jahren ist Mag. Michaela Latzelsberger als Expertin für das Gesundheitswesen in Europa (Fokus DACH-Raum) aktiv. Nach dem naturwissenschaftlichen Studium der Genetik war sie in leitenden Managementrollen in der pharmazeutischen Industrie (Wyeth, UCB, AstraZeneca), wie auch in der Medizintechnik (Coloplast) tätig. Seit 1. April 2020 leitet sie nun die Geschäfte von Philips Österreich. Unter anderem engagiert sie sich im Senat der Wirtschaft, der WKÖ und ist Mitglied im Vorstand der Industriellenvereinigung.
© Fotocredit: Privat, Philips (2)