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Großes Potenzial in der Betreuung von Krebs-Patienten

© Peter Provaznik

Großes Potenzial in der Betreuung von Krebs-Patienten

© Peter Provaznik

Sämtlichen Modelle der künftigen Entwicklung des Gesundheitsbereichs prognostizieren einen starken Anstieg onkologischer Erkrankungen. Daher besteht ein großer Bedarf ärztliches Personal zu entlasten und gleichzeitig die Betreuung von Patientinnen und Patienten zu verbessern, schildern Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, Präsident der OeGHO, und Harald Titzer, BSc, MSc, Präsident der AHOP.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO) ist die Fachgesellschaft von Hämatologinnen, Hämatologen sowie Onkologinnen, Onkologen und hat das Ziel, die Qualität der Betreuung von Patientinnen und Patienten österreichweit entsprechend einem anerkannten internationalen Standard sicherzustellen. Die Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen in Österreich (AHOP) wurde 1994 mit dem Ziel gegründet, das hämatologische und onkologische Pflegepersonal bei seiner täglichen Arbeit zu unterstützen und so ein solides und hochwertiges Angebot der onkologischen und hämatologischen Pflege zu schaffen.

PERISKOP: Die Onkologie und Hämatologie hat in den letzten 25 Jahren in puncto medizinischer Betreuung einen deutlichen Wandel vollzogen und gilt als Musterbeispiel für einen interdisziplinären teamorientierten Ansatz. Wie ist dabei die Pflege eingebunden?

HILBE: Österreich hat im klinischen Bereich sehr lange an einem Zwei-Säulen-Modell
festgehalten, das eine strikte Trennung zwischen ärztlichen und pflegerischen Tätigkeiten vorsah. Vor ca. 20 Jahren wurde das Rollenbild einer onkologisch speziell ausgebildeten Pflegekraft eingeführt und in den Spezialbereichen eingesetzt (z.B. Tagesklinik, Transplanteinheiten). Seit der Pflegereform 2016 wurde das Pflegepersonal noch viel stärker in das Akutmanagement der Patientinnen und Patienten eingebunden. Da das Pflegepersonal in der Praxis häufig als erstes mit Nebenwirkungen wie akuten und verzögerten Infusionsreaktionen sowie Nebenwirkungen von antitumoralen Therapien konfrontiert ist, hat man begonnen, Pflegepersonen an der Onkologie und Hämatologie intensiv zu schulen und auszubilden und auf diese Fälle vorzubereiten. Seit der Umsetzung der Pflegereform 2016 haben entsprechend geschulte Pflegepersonen, beispielsweise das Infusionsmanagement auf den Stationen und in Tageskliniken österreichweit übernommen. Doch das Berufsbild der Cancer Nurse geht über den Versorgungsauftrag im stationären und ambulanten Patientenmanagement weit hinaus.

TITZER: Lange Zeit gab es keine Einbindung der Pflegepersonen in Tumorboards, wobei in
den Empfehlungen zu diesen steht, dass –wenn nötig – andere Berufsgruppen hinzugezogen
werden können. Mittlerweile wurde erkannt, dass es in unterschiedlichen Bereichen, angefangen bei den Breast Care Nurses, durchaus Sinn macht, Pflegepersonen von Beginn an
einzubinden. Abgesehen von den Breast Care Nurses, ist dies mittlerweile überall dort der
Fall, wo Cancer Nurses in Spezialbereichen involviert sind, beispielsweise bei Hals-Kopf-Tumor- oder Gastrointestinal-Tumor-Patientinnen und -Patienten.

Prognosen gehen von einer Verdoppelung der onkologischen Krankheitsfälle in den nächsten 20 Jahren aus. Gleichzeitig nimmt generell die Zahl der Ärztinnen und Ärzte ab. Ist auch das Fachgebiet der Hämatologie und Onkologie von dieser Entwicklung betroffen oder gibt es genügend junge Medizinerinnen und Mediziner, die sich für diese Fachrichtungen interessieren?

HILBE: Man muss hier zwei Perspektiven im Auge behalten. Zum einen nehmen wir an, dass wir bis 2040 eine Verdopplung in der Prävalenz onkologischer Erkrankungen sehen werden. Ich glaube allerdings nicht, dass wir in der gleichen Zeit doppelt so viele Expertinnen und Experten vorhalten müssen. Ich gehe aber schon davon aus, dass wir eine Personalstruktur haben werden, die sich am heutigen Stand orientiert. Dieses Angebot gilt es nachhaltig zu sichern und in gewisser Weise zu erweitern. Das Interesse am Fach ist nach wie vor gegeben. Der zweite Aspekt: Die Krebsmedizin entwickelt sich weiter, Behandlungen werden vielfach oralisiert, die Intervalle von Antikörperbehandlungen werden verlängert und subkutan appliziert. Die Therapien werden besser toleriert und sind mit einer höheren Lebensqualität assoziiert. Viele Leistungen, die heute stationär durchgeführt werden, werden in der Zukunft als Heimtherapie mit telemedizinischer Begleitung durchführbar sein. Daher wird man in der Versorgungsstruktur andere Wege finden müssen.

Wir müssen Strukturen schaffen und die Krankenhäuser effizient organisieren. Das gelingt nur, wenn wir eine teamorientierte Arbeitsstruktur schaffen, bei der wir die qualifizierten Pflegepersonen viel stärker in die Patientenbetreuung bringen.

Wie sieht die Personalsituation im Pflegebereich auf hämatologischen und onkologischen Stationen aus?

TITZER: Das Image des Pflegeberufs hat in den letzten Jahren stark gelitten. Teilweise lässt
sich das auf die Negativpublicity zurückführen, die es vor allem verstärkt seit Ausbruch von COVID-19 gibt. Schon vor der Coronapandemie gab es Schwierigkeiten im Langzeitund im mobilen Pflegebereich, die sich in den letzten zwei Jahren noch verstärkt haben. Die Arbeitsbedingungen während der Pandemie haben dazu geführt, dass viele professionelle
Pflegepersonen überfordert waren und in der Folge manche den Beruf aufgegeben haben.
Onkologie wird in Österreich fast ausschließlich an ausgewiesenen Expertenzentren bzw.
Universitätskliniken betrieben. Das sind zumeist renommierte Abteilungen, aber im Gegensatz zur Langzeitpflege nur sehr am Rande vom Pflegenotstand betroffen. Die Onkologiepflege ist ein sehr attraktiver Fachbereich, der auf sehr komplexer, schneller und interessanter medizinischer Entwicklung beruht, aber gleichzeitig hohe Anforderungen an Pflegepersonen stellt. Man erlebt Spitzenmedizin an vorderster Front und das zumeist in guter Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten.

Die OeGHO und die AHOP treten für die Implementierung von Cancer Nursing in Österreichs Krankenhäusern ein. Wie ist dieses Berufsbild definiert und welche Erfahrungen hat man international mit Pflegekräften gemacht, die diesbezüglich ausgebildet sind?

HILBE: Wir müssen Strukturen schaffen und die Krankenhäuser effizient organisieren. Das gelingt nur, wenn wir eine teamorientierte Arbeitsstruktur schaffen, bei der wir die qualifizierten Pflegepersonen viel stärker in die Patientenbetreuung bringen. So wickeln beispielsweise in den USA Cancer Nurses den ganzen Bereich der Aufnahme auf eine onkologische Station, Eingangsuntersuchungen etc. ab. Nur für den tatsächlich notwendigen Bereich im Patientengespräch kommt dann die Onkologin, der Onkologe hinzu. In diesem Fall dauert der Einsatz der Expertin bzw. des Experten zehn Minuten. Bei uns ist die Onkologin oder der Onkologe pro Ambulanzvisite mindestens 30 bis 40 Minuten beschäftigt. Rund 80 Prozent der Fragen von Krebspatientinnen und -patienten können qualifiziert von einer Cancer Nurse beantwortet werden. Denkbar wäre der Einsatz von Cancer Nurses aber auch als selbständige, ambulante Pflege zur Unterstützung bei Therapien zu Hause. Wir müssen auch über solche Modelle nachdenken, wie wir qualitativ hochwertige Pflege ohne Kompetenzüberschreitung in die Patientenbetreuung bringen. Klar ist, eine Therapieentscheidung, ein Medikament anordnen oder absetzen, muss durch eine Ärztin, einen Arzt erfolgen. Abseits dessen gibt es aber genügend Tätigkeiten, die durch qualifizierte Pflegepersonen umgesetzt werden können.

TITZER: Für die AHOP steht die Implementierung von Cancer Nurses eine Hauptforderung
dar. In der Beschreibung des Berufsbildes haben wir uns an der international gängigen
Definition orientiert: Diese ist eine Pflegefachperson, die eine akademische oder nicht akademische Fachweiterbildung im Bereich Onkologie hat. Dieser Ausbildungszugang wird sich aber in Zukunft ändern, da wir vor einer Ausbildungsreform stehen und der Trend zur Akademisierung der Ausbildung sich weiter fortsetzen wird. Daher bieten einige Bundesländer für Cancer Nursing bereits einschlägige Studienangebote an, wobei diese noch höchst unterschiedlich ausgestaltet sind. Es ist daher notwendig, dass das Ministerium mit der Fachgesellschaft in Beratungsfunktion einen Mindestausbildungsstandard festlegt, damit Ausbildungsinstitutionen in Österreich mit der inhaltlichen- und Rahmengestaltung beginnen können. Die European Oncolocy Nursing Society (EONS) hat vor einigen Jahren eine Bildungslandkarte für Cancer Nursing gezeichnet, aus der zu entnehmen ist, dass Österreich im internationalen Vergleich eine durchaus gute Basis hat. Allerdings könnten wir schon weiter sein. Aus unserer Sicht war es ein Fehler, dass im Zuge der Pflegereform 2016 die onkologische Pflege — im Gegensatz zu anderen Fachbereichen — nicht als Spezialbereich aufgenommen wurde, obwohl es eine Ausbildung und eine internationale Curriculumsempfehlung gab.

Es ist notwendig, dass das Ministerium mit der Fachgesellschaft in Beratungsfunktion einen Mindestausbildungsstandard festlegt, damit Ausbildungsinstitutionen in Österreich mit der inhaltlichen- und Rahmengestaltung beginnen können.

© Stefan Voitl

Wodurch profitieren Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen, wenn eine Station über Cancer-Nurses verfügt?

TITZER: Mit wissenschaftlicher Evidenz zu belegen ist, dass Patientinnen und Patienten von der Betreuung durch eine Cancer Nurse profitieren. Erstens durch die Kontinuität im Behandlungsprozess – gemeint ist hier eine regelmäßige, sehr engmaschige Begleitung durch eine Person, die die Patientinnen und Patienten kennt, die weiß, was der Stand der Dinge ist, die sich im Therapiemanagement und Wirkungsmanagement auskennt. Durch die verschiedenen Methoden des Cancer Nursings, wie Beratung und Edukation, werden die Selbstmanagementkompetenzen der Patientinnen und Patienten erhöht.

Welche Voraussetzungen und welche Ausbildungen braucht es für Cancer Nursing?

HILBE: Das Thema der Cancer Nurse und die damit verbundene fachliche Vertiefung bietet
sich für eine Akademisierung an. Wir sollten die Ausbildung durchgängig gestalten und auch berufsbegleitend anbieten, da es wichtig ist, dass die zukünftigen Cancer Nurses sehr viel Praxiserfahrung im direkten Kontakt mit Krebspatientinnen und -patienten erwerben können. Neben den rein fachlichen Themen gehören u.a. auch das Begleiten von Patientinnen und
Patienten in einer kritischen Lebensphase zu den Aufgaben. Zumindest an unserer Abteilung
denken wir, dass der Bereich der klinischen Studien eine exzellenten Trainingsplattform
darstellt. Es gibt in diesem Bereich sehr klare Vorgaben, wann was zu kontrollieren ist, wie Nebenwirkungen zu bewerten sind, um eine Patientin oder einen Patienten sicher zu führen.
Eine gute Ausbildung – auf welcher Ebene auch immer – eine enge Einbindung in eine Station
oder Ambulanz sind die Voraussetzung, um später eine selbständige Rolle zu übernehmen.

TITZER: Neben den Tätigkeiten rund um Forschung, die von allen Pflegepersonen im Fachbereich unterstützt wird, sind spezielle Kompetenzen rund um medizinisches und pflegerisches Wissen von hoher Relevanz. Ebenso sind Leadershipkompetenzen wie ethisches Handeln ein nicht wegzudenkender Teil der Ausbildung.

Nach der Akutversorgung in einem Krankenhaus brauchen Krebspatientinnen und -patienten auch in der Nachsorge zu Hause erhöhte Aufmerksamkeit und Stationen im
Gesundheitswesen, die ihre Anliegen verstehen. Die oberösterreichische Apothekerkammer bietet seit Jahren Ausbildungen für Apothekerinnen und Apotheker zum Thema Onkologie an. Wären solche Zusatzausbildungen nicht für ganz Österreich relevant, um das Verständnis und die Kenntnis der Medikation und allfälliger Wechselwirkungen auch an dieser ersten Stufe im Gesundheitswesen zu stärken?

HILBE: Die immer häufiger verschriebenen oral einzunehmenden Onkologika werden zumeist
in der Leber metabolisiert und haben Wechselwirkung mit vielen Arzneimitteln. Diese muss man kennen und berücksichtigen, egal ob es sich um ein rezeptpflichtiges Medikament oder ein rezeptfreies Präparat handelt. Daher glaube ich schon, dass eine onkologische Schulung der
Apothekerinnen und Apotheker wertvoll ist und Sinn macht. Es wird jedoch schwer werden dieses Service flächendeckend anbieten zu können. Über eine enge Zusammenarbeit mit Cancer Nurses wäre auch hier dieses Angebot besser abzubilden.

TITZER: Wenn man in die weitere Zukunft blickt, in die nächsten 20 Jahre, wird es zu kurz greifen nur zu sagen, man wird mehr Personal brauchen. So werden wir sowohl im städtischen als auch im ländlichen Bereich unsere Versorgungsaufträge stärker definieren müssen. Wir werden nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch extramural mehr onkologisch qualifizierte Personen brauchen. Denn schon jetzt ist es schwer eine gut strukturierte Nachsorge für die vielen Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Und hier ist das interdisziplinäre Zusammenspiel aller im Gesundheitsbereich tätigen Berufe wichtig.

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