Mit Mag. pharm. Gunda Gittler, MBA, aHPh zieht erstmals seit Gründung des Vereins PRAEVENIRE – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung eine Frau in den Vorstand ein. PERISKOP sprach mit ihr über die Beweggründe diese Funktion anzunehmen und ihre Sicht auf die Aktivitäten von PRAEVENIRE.
Rainald Edel, MBA
Periskop-Redakteur
Gunda Gittler leitet die Apotheke der Barmherzigen Brüder Linz und ist zuständig für den Arzneimitteleinkauf des Einkaufsverbundes der Barmherzigen Brüder. Nach ihrer Weiterbildung zum „approved Hospital Pharmacist“ absolvierte sie eine postgraduale Ausbildung an der WU Wien über „International Healthcare Management“. Gittler nimmt seit vielen Jahren an den Gesundheitstagen in Seitenstetten, den Gesundheitsgesprächen in Alpbach sowie an zahlreichen Gipfelgesprächen teil. Sie folgt in der Vorstandsfunktion Dr. Armin Fiedler, der den Aufbau des Vereins maßgeblich geprägt hat.
PERISKOP: Wie haben Sie die Initiative PRAEVENIRE kennengelernt und über die Jahre erlebt?
GITTLER: Ich verfolge und begleite die Aktivitäten des Vereins PRAEVENIRE nun schon seit vielen Jahren. Von Anfang an hat mich der interdisziplinäre Austausch mit Ärztinnen und Ärzten der Wirtschaft und der Politik, der im Rahmen der diversen PRAEVENIRE- Gesprächsformate gepflegt wird, begeistert. Dieser vielfältige Austausch der unterschiedlichen Sichtweisen der Berufsgruppen mit der Politik ist eine Bereicherung für alle Teilnehmenden. Krankenhausapothekerinnen und -apotheker wurden von anderen Gesundheitsberufsgruppen oft zu wenig wahrgenommen, obwohl die Aufgaben und Expertise dieser Berufsgruppe zur Versorgung der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus essenziell sind. Damit das richtige Medikament zur richtigen Patientin oder zum richtigen Patienten kommt, bedarf es der Kombination aus Fachwissen, Marktkenntnis und Logistik-Know-How für das spezielle Gut Arzneimittel. Es ist mir ein Anliegen, die Bedeutung unserer Berufsgruppe für die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern auch in der Öffentlichkeit und bei der Politik bekannt und unsere Expertise auch vermehrt nach außen sichtbar zu machen. Dafür bietet PRAEVENIRE eine optimale Plattform. Durch diverse Veranstaltungsformate im Rahmen von PRAEVENIRE hatten wir die Möglichkeit des Austausches und der Vernetzung mit anderen Berufsgruppen. Weiters wurden durch PRAEVENIRE-Initiativen, wie das PRAEVENIRE Weißbuch, gesundheitspolitische Entscheidungsträger in die Diskussion eingebunden und ihnen wurde praxisrelevant vor Augen geführt, wo Problemfelder liegen, und gleichzeitig Lösungsvorschläge an die Politik herangetragen. Das Konzept von PRAEVENIRE, den Weg der Patientin, des Patienten durch das Gesundheitssystem und deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, begeisterte mich von Anfang an. Im Vorstand von PRAEVENIRE möchte ich diese Herangehensweise vorantreiben.
Sie haben vor allem den interdisziplinären Austausch betont. Welche praktische Auswirkung hat dieser?
Jeder Gesundheitsberuf hat maßgeblich Anteil an der optimalen Betreuung der Patientin, des Patienten im Gesundheitssystem. Durch den interdisziplinären Austausch und die Verfolgung von Patientenpfaden lassen sich die Stärken und Schwächen des Gesundheitssystems im Hinblick auf Effizienz und Patientenbezogenheit aufdecken. Gerade an den Schnittstellen zwischen ambulantem und stationärem Bereich kann man Versorgungslücken bzw. Mehrfachversorgung detektieren. Die Koordination dieser beiden Sektoren sollte ein vorrangiges Ziel von Gesundheitsreformen und Entwicklung von patientenorientierten Maßnahmen sein. Da ich, durch meine berufliche Tätigkeit Einblick in genau diese Schnittstellenproblematik habe, sehe ich, dass die Veranstaltungen von PRAEVENIRE nicht nur zum Verständnis der jeweiligen Probleme, sondern auch zur Wissensvermehrung unter den einzelnen Versorgern wesentlich beitragen. Daher ist es so wichtig, dass bei den diversen Formaten maßgebliche Personen aus dem Gesundheitsbereich mitmachen.
Das Rollenbild der intramuralen Apotheken hat sich in den letzten Jahren verändert und sie wurden zu einem gewichtigen Player in einem modernen Spitalsablauf. Durch die digitale Fieberkurve rücken sie nun bis ans Krankenbett vor.
Meine Berufsgruppe der Krankenhausapothekerinnen und Krankenhausapotheker stellt seit einigen Jahren unser komplexes Aufgabengebiet durch ein einfaches, klares 4-Säulen-Modell dar: Die ineinandergreifenden Kernkompetenzen sind die Klinische Pharmazie, Logistik, Produktion und der strategische Einkauf. Für die Zukunft des Gesundheitswesens ist eine Digitalisierung essenziell. Mit der Einführung der digitalen Fieberkurve haben jene Krankenhäuser, die so ein System implementiert haben, eine deutliche, qualitative Verbesserung in der Versorgung geschaffen. Wenn Patienteninformationen in einem digitalen Dokument zusammengeführt sind und diese Informationen allen Prozessbeteiligten zur Verfügung stehen, dann ist das ein großer Schritt in Richtung optimale Versorgung. Im Krankenhaus der BB in Linz wurde die Medikamentenversorgung erstmals vom manuellen Dispensieren durch die Pflegekräfte auf Verblisterung der individuellen Medikation durch die Apotheke umgestellt. Anlass war die hohe Arbeitsbelastung des Pflegepersonals durch COVID-19. Ermöglicht hat diese Umstellung in Richtung closed loop process die digitale Fieberkurve. Weiters war es uns Apothekerinnen und Apothekern dadurch möglich, die Patientenversorgung trotz fehlender Pflegekräfte zu unterstützen und qualitativ auf einen neuen Standard zu bringen.
Sie arbeiten schon lange im Gesundheitsbereich. Wie bedeutsam ist Digital Health für die Versorgung in den nächsten drei bis fünf Jahren und wie ist die Diskussion um dieses Thema einzuordnen?
In der Digitalisierung steckt ein großes Potenzial und sie ist sicher der Weg der Zukunft. In der Coronapandemie hat die Digitalisierung in Österreich einen großen Sprung vorwärts gemacht und gezeigt, was alles innerhalb kürzester Zeit möglich ist. Ich sehe allerdings auch, dass es noch große Berührungsängste und Bedenken bei diesem Thema gibt – bei Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal aber auch Krankenhaus-Trägerorganisationen und nicht zuletzt der Politik. Bei Letzteren ist es vor allem der Bereich Datenschutz. Seit Jahren erledigen die Österreicherinnen und Österreicher ihre Bankgeschäfte elektronisch. Aber bei Gesundheitsdaten, die helfen könnten, Behandlungen rascher durchzuführen, besteht große Unsicherheit und Angst vor dem „gläsernen Menschen“. Wie Beispiele aus Skandinavien und den baltischen Staaten zeigen, müssen wir viel stärker kommunizieren, dass die Digitalisierung eine Chance ist. Wir müssen die Vorteile für die Menschen vermitteln, beispielsweise, dass sich dadurch die Diagnostik verbessert, weil die Behandlungshistorie sofort verfügbar ist. Teure und für die Patientinnen und Patienten zeitaufwendige Mehrfachuntersuchungen fallen weg und man kann somit in der Behandlung unmittelbar fortfahren, statt diagnostisch neu beginnen zu müssen. Wesentlich dabei ist die Möglichkeit der Datenübermittlung zwischen berechtigten Gesundheitsdienstleistern. Was bei Digital Health noch dazu kommt ist, dass wir schon jetzt sehr viele Daten sammeln, diese aber oftmals nicht, aus unterschiedlichen Ursachen, verknüpfbar und zum Vorteil der Patientinnen und Patienten und zur Generierung von Real-World-Daten verwendbar sind. Gerade in der Präzisionsmedizin benötigen wir die Real-World-Daten. Es würden sich auch viele Möglichkeiten ergeben, gesundheitsrelevante Fakten herauszulesen und in Kombination mit KI eventuell Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können. Digitalisierung sollte unser Gesundheitssystem effizienter machen, patientenseitig transparenter und gesamt gesehen präventionsorientierter und damit kostengünstiger.
Voraussetzung für Prävention ist eine entsprechend hohe Gesundheitskompetenz – an der es nach übereinstimmender Meinung von Expertinnen und Experten sowie Studien in Österreich mangelt.
Ich erachte es als notwendig, sowohl bei der Bevölkerung als auch in der Politik Awareness für bestimmte Erkrankungen, aber auch für deren Prävention zu schaffen. Die Prävention kommt in Österreich viel zu kurz. Das liegt zu einem bestimmten Grad auch an unserem Verständnis von Medizin. In der chinesischen Medizin zum Beispiel werden Ärztinnen und Ärzte dafür bezahlt, dass sie die Menschen gesund erhalten. Im Krankheitsfall bekommen sie kein Honorar. Bei uns ist es genau umgekehrt – das System ist auf die Behandlung von Erkrankungen ausgerichtete. Für die Stärkung der Präventionsmedizin muss die Politik ein Anreizsystem für Vorsorgemaßnahmen und die Awareness für gesunde Lebensjahre bereits bei Jugendlichen in den Schulen schaffen. Zumal Schülerinnen und Schüler dieses Wissen auch nach Hause tragen und so als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren wirken. Ich glaube, da können wir noch viel mehr machen.
Sollte man nicht auch die Arbeitswelt mehr nützen, um Gesundheitswissen zu vermitteln?
Die Arbeitsmedizin ist in Österreich nicht besonders groß ausgebaut. Aber, auch das hat PRAEVENIRE in zahlreichen Veranstaltungen gezeigt, dort wo Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner vorhanden sind, lässt sich mit Engagement viel bewirken. Grundsätzlich ist der Ansatzpunkt Arbeit nicht schlecht, da man sich hier lange aufhält, mit vielen Menschen in Interaktion steht und ebenfalls ein Multiplikatoreffekt gegeben ist. Auch hier ist die Politik gefragt, dass Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Ist es nicht eines der großen Probleme, dass wir keine Ziele definiert haben? Müsste man sich nicht — gerade bei Volkskrankheiten wie Diabetes — viel stärker an internationalen Benchmarks orientieren und ergebnisorientiert arbeiten?
Kinder wie Erwachsene brauchen in Bezug auf die Verbesserung Ihrer Gesundheitskompetenz einen Rahmen und ein Ziel. Apotheker sind aufgrund des niederschwelligen Zugangs im extramuralen Bereich Ansprechpartner und Begleiter der Patientinnen und Patienten in allen Belangen ihrer Erkrankungen. Nicht nur bei Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz ist die Begleitung sowie die Compliancekontrolle durch Apotheken ein wesentlicher Faktor zur Zielerreichung (beispielsweise Erreichung des Ziel-Hba1c-Wertes). Apothekerinnen und Apotheker begleiten die Patientinnen und Patienten durch die komplexen Wege im österreichischen Gesundheitssystem.
Die Bevölkerung wird immer älter, gleichzeitig scheiden immer mehr Menschen in den Gesundheitsberufen auch aus Altersgründen aus dem Berufsleben aus. Wäre es deshalb nicht dringend geboten im Sinne der Versorgung auch über die Berufsrechte zu sprechen?
Dass Berufsbilder sich ändern und angepasst werden ist eine Selbstverständlichkeit. Das ist Aufgabe der Berufsvertretungen. Dass eine Änderung von Berufsbildern aus Mangel an Fachkräften in einem Bereich stattfinden kann und andere Berufsgruppen Aufgaben, die Ihre Kernkompetenz, wie die Medikation, mit Ergebnisverantwortung übernehmen, ist sicherlich denkbar. Das findet bereits jetzt in manchen Krankenhäusern durch Delegation von den Ärztinnen und Ärzten statt.
Welche Bereiche soll der Verein PRAEVENIRE aus Ihrer Sicht besonders vorantreiben? Welche Punkte liegen Ihnen speziell am Herzen?
Die Digitalisierung liegt mir sehr am Herzen. Hier gilt es Initiativen zu schaffen, damit seitens der Politik erkannt wird, dass man für einen Digitalisierungsschub Geld in die Hand nehmen muss. Wir hören immer Industrie 4.0 – wir brauchen auch das Krankenhaus 4.0. Hier ist viel Handlungs- aber auch Geldbedarf nötig. Weiters liegt mir die Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zum Wohle der Patientinnen und Patienten am Herzen. Schlussendlich muss die Medizin menschlich bleiben. Bei aller Technologisierung, Optimierung und Präzisierung darf man den Menschen nicht vergessen. „Gutes tun und es gut tun” – der Leitspruch der Barmherzigen Brüder ist maßgeblich für mich im Umgang mit den Patientinnen und Patienten. „Das Herz befehle”, Leitspruch des Ordensgründers der Barmherzigen Brüder zeigt, dass Herzenswärme und Zuwendung einen wesentlichen Teil der Therapie darstellen.
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