Bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen in Seitenstetten im Oktober 2020 überraschte Univ.-Prof. Dr. Christoph Huber die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer mit der Ankündigung, dass das von ihm mitgegründete Unternehmen BioNTech bis Weihnachten einen Coronaimpfstoff — noch dazu mit einer völlig neuen Technologie — zur Zulassung bringen werde. Bei den Gesundheitstagen heuer im Mai schilderte er die Hintergründe und Voraussetzungen, die für diesen Erfolg ausschlaggebend waren. | von Rainald Edel, MBA
Als weltweit erster Corona-Impfstoff wurde das Produkt des Mainzer Herstellers BioNTech und seines Partners Pfizer von der Weltgesundheitsorganisation WHO gelistet. Das deutsche Unternehmen und dessen neuartige Impftechnologie auf mRNA-Basis waren zuvor hauptsächlich in Fachkreisen bekannt. Mit der erfolgreichen Zulassung gerieten sie schlagartig ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit. Im Rahmen seiner Keynote bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten gab BioNTech Co-Founder, Univ.-Prof Dr. Christoph Huber einen Einblick in die Hintergründe und Voraussetzungen, die für den Erfolg nötig waren.
Mangelnde Innovationskraft in Europa
„Was uns sehr bestürzt ist, dass Innovation in Europa schlecht vorankommt. Während in technologisch führenden Nationen, wie z. B. den Vereinigten Staaten, ungefähr 60 Prozent der innovativen Medikamente aus Universitäten und ihren Ausgründungen kommen, ist dies in Europa nur in sehr wenigen Fällen gegeben. Und daher gibt es hier kaum Städte, die durch Forschergeist geprägt werden. Ein kümmerlicher Zustand“, kritisierte Huber. Als positives Beispiel berichtete er über den Immuntherapie-Innovationshub in Mainz, der seit 30 Jahren vorrangig an Immuninnovation für Krebsmedikamente forscht. Ziel der Einrichtung ist es, in Europa einen Ausgangspunkt für innovative Entwicklungen zu schaffen und die Innnovationsdefizite sowie das Argument, „es wären bestimmte Voraussetzungen für Innovation nicht vorhanden“, zu entkräften. Im Fokus der Forschung und Entwicklung des Hubs stehen Immuninterventionen bei Krebserkrankungen. „Der Hub wird sowohl von der universitären Forschung als auch durch die davon profitierenden Medikamente erzeugenden Firmen sowie ein starkes internationales Netzwerk getragen. Dreh- und Angelpunkt sind vor allem aber Personen, wie Univ.-Prof. Dr. Uğur Şahin und Priv.-Doz. Dr. Özlem Türeci. Entscheidend sind der Inhalt und die Menschen, die Innovation prägen. Die Rahmenbedingungen sind nicht so wichtig wie die Sendungsträgerinnen und -träger“, schilderte Huber.
In Europa werden nur sehr wenige Medikamente aus Universitäten und deren Ausgründungen entwickelt.
Christoph Huber
Impfstoffformate
„Sie können heute mit jedem Lebensmolekül, mit lebenden oder abgetöteten Krankheitserregern einen Impfstoff bauen“, erklärte Huber. Bei den Lebensmolekülen sind Eiweißstoffe die Träger von Immunisierungsanstrengungen. Aber statt das Impfeiweiß als solches in den Körper zu initiieren, bringt die mRNA-Impftechnologie von BioNTech nur den genetischen Bauplan des Impfeiweißes in Form einer flüchtigen Matrize in die Zellen ein. Dort wird dann das Immunsystem nach dieser Matrize geprägt. „Vakzine die auf dieser Technologie aufbauen, sind deshalb so grundsätzlich anders als die, zellbasierten Impfstoffverfahren, wie Vektor- oder Proteinimpfungen, weil hier einer Person ein Bauplan geben wird, nach dem sie dann das Impfeiweiß selbst im Körper produziert. Das ist ein völlig anderes Konzept als das, was wir bisher kennen“, schilderte Huber. Die Vorteile einer solchen Impfung sind die relativ einfache Herstellung der Grundsubstanzen — und man braucht keinen Impfverstärker und Adjuvanzien, die teilweise beträchtliche Nebenwirkungen haben. Zudem lasse sich ein Impfstoff innerhalb von Tagen herstellen. Technologisch schwieriger ist es, aus den Grundbestandteilen ein Medikament oder einen Impfstoff herzustellen. Denn mRNA-Formate müssen stabilisiert werden, damit sie nicht wie normale mRNA von Enzymen abgebaut werden. „Ein Weg wäre, sie chemisch zu verändern oder sie in Lipid-Nanopartikel zu verpacken. Letztere Technik ist deshalb so hilfreich, weil sie einerseits die dem mRNA vor Abbau schützt und andererseits sehr ähnlich der Zellmembran gebaut ist. Dadurch kann die mRNA sozusagen in die Membran hineinrutschen und kommt am gewünschten Zielort an“, erklärte Huber. Am gewünschten Zielort im Körper angekommen, wird die mRNA in sogenannte Antigenpräsentierenden Zellen aufgenommen, die spezialisiert sind, Impfantigene dem Immunsystem darzureichen. Es werden dann zwei verschiedenen Formen von Abwehrzellen gebildet: B-Zellen und Helferzellen, die die Antikörperproduktion gegen ein Virus generieren und T-Killer-Zellen, die virusinfizierte Zellen töten.
Entwicklung des COVID-Impfstoffs
„Bei BioNTech haben wir seit zehn Jahren präklinische und klinische Erfahrungen mit Tumorimpfungen auf mRNA-Basis und haben drei verschiedenen mRNA-Plattformen entwickelt. Sie bildeten das Rückgrat für die jetzt so erfolgreiche Covid-19-Impfung“, erzählte Huber. Die Idee auf Basis der bisherigen Forschungen und Erfahrungen mit Tumorimpfungen ein Covid-19-Vakzin zu entwickeln, stammte vom BioNTech Mitbegründer Uğur Şahin. „Er hat den Vorstand und Aufsichtsrat von BioNTech mit seinem Vorschlag und der Vorgehensweise rasch davon überzeugt, dass so eine Impfung machbar sei“, schilderte Huber. Als wichtig erachtete Huber, dass man sich für ein solches Projekt auch qualifizierte Partner an Bord holt, wie es BioNTech mit seinem langjährigen Partner Pfizer getan habe. Erst dies habe die Großstudien ermöglicht. Zudem erleichtere es auch die globale Herstellung. Wobei BioNTech mittlerweile in der Lage ist, einige Milliarden Dosen selbst zu produzieren.
Gerade die Verpackung der mRNA in LipidNanopartikel ist ein komplexes Verfahren, das eine schnelle Patentfreigabe, wie sie von vielen Seiten gefordert wurde, technologisch unmöglich macht. „Wer die Zulassung geschafft hat, hat einen wirksamen Impfstoff mit einem vernünftigen Wirkungs-Nebenwirkungsprofil. Jetzt gilt es, breit zu immunisieren und die Real World-Erfahrungen zu sammeln“, sagte Huber. Wir werden Auffrischungsimpfungen brauchen, denn das Virus wird uns nicht verlassen. Große Hoffnung setzt Huber auf die T-Zell-Antwort, die eine solide Immunreaktion auslöst. Diese sei individuell und sehr breit und bringe den Menschen generell eine gute Chance, mit Krankheitserregern fertig zu werden.
Sollte es dem Virus gelingen, den bisherigen Impfschutz zu durchbrechen, erachtet Huber die Wissenschaft als gut darauf vorbereitet und ist zuversichtlich, dass man auch mit dieser Herausforderung fertig werden wird.
Entwicklung von Tumorimpfungen
„Im Gegensatz zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen das relativ einfach gebaute Coronavirus haben wir bei Tumorimpfungen eine ganz andere Hürde zu überwinden. Während man bei einer prophylaktischen Impfung nur eine kleine Zahl an Pathogenen bekämpfen muss, stehen einem bei einer therapeutischen Impfung viele außerordentlich aggressive Feinde gegenüber“, schilderte Huber. Dabei sei das erste Problem die Zielstrukturen zu identifizieren, gegen die man impfen kann. Dabei kristallisierten sich zwei Ansatzpunkte heraus, gegen die man mittels mRNA-Plattform vorgehen kann. Die eine sind die sogenannten „shared Antigene“, häufig vorkommende molekulare Strukturen innerhalb einer Tumorart. Allerdings finden sich diese auch in einer kleinen Anzahl normaler Zellen wieder, wodurch eine gewisse Gefahr von Nebenwirkungen besteht. Der zweite Ansatzpunkt sind die sogenannten „Neoantigene“, das sind Antigene, die von turmortreibenden oder tumorbegleitenden Mutationen geprägt werden. Diese sind ganz spezifisch nur für Tumore. „Es ist wieder Uğur Şahin gewesen, der diese als unüberwindlich geltende Hürde bezwungen und in die klinische Umsetzung gebracht hat. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Neoantigene von Mutationen codiert sind. In den letzten 15 Jahren fand man heraus, dass diese Mutationen sehr zahlreich sind“, erklärte Huber. Jeder Tumor hat im Schnitt um die 100 Mutationen. Erschwerend für die Umsetzung ist auch, dass diese 100 Mutationen individuell sind wie Fingerabdrücke. Wenn man nun gegen diese individuellen Merkmale impfen möchte, muss man ein Medikament auf individueller Basis herstellen und das in nahezu Echtzeit. „Diese Herausforderung haben wir mittels Digitalisierung, Robotik und einer völlig neuen Aufstellung der Medikamentenentwicklung überwunden. Dies hat uns auch bei der Entwicklung des Covid-19-Vakzins enorm geholfen“, schilderte Huber. In Studien habe man gezeigt, dass BioNTech mit seiner Technologie in der Lage ist, innerhalb von vier Wochen für über 1.000 Patientinnen und Patienten einen Impfstoff entwickeln zu können, der unikal und individuell gegen 20 Merkmale vorgeht. Vor diesem Hintergrund war die Entwicklung gegen ein einzelnes Virus, SARS-CoV2, mit wenigen Merkmalen, relativ einfach. Studien zum schwarzen Hautkrebs zeigen, dass durch Impfungen, die auf Neoantigene abzielen, die Rückfallhäufigkeit fast gegen Null geht. „Diese Ergebnisse geben große Hoffnung, dass wir frühzeitig Impfungen gegen rezidivierende Tumorkrankheiten einsetzen können. Das wird nun in großen Studien auf breiter Ebene getestet“, sagte Huber.
Die Schlüsselkomponenten des Erfolgs sind Menschen, Inhalte, Leidenschaft sowie Rahmenbedingungen.
Christoph Huber
Entwicklungsperspektiven
Das Einsatzfeld von mRNA-Impfungen ist sehr groß. „Wir haben in Studien auch gezeigt, dass man Autoimmunerkrankungen mit mRNA-Impfungen präklinisch sehr gut beeinflussen kann. Das ist eine neue Schlüsseltechnologie für den Menschen, die viele Möglichkeiten hat, die Medizin voranzubringen“, sagte Huber. Gelernt wurde, dass man in einer Region, wenn man 30 Jahre mit klugen Menschen zusammenarbeitet, eine klare Ausrichtung der Forschungsinhalte hat, eine entsprechende Infrastruktur aufbaut sowie über die Organisationsgrenzen von Universitäten hinaus arbeitet, wirklich weltweit Geltung erreichen kann. Die Bemühungen in Forschung und Entwicklung machen Prävention und Heilung in einer völlig neuen Dimension greifbar. „Die Schlüsselkomponenten des Erfolgs sind Menschen, Inhalte, Leidenschaft sowie Rahmenbedingungen“, resümierte Huber.
© Peter Provaznik