Über die Reduktion der Zahl der Sozialversicherungsträger in Österreich scheiden sich momentan die Geister. Der Ministerrat hat Ende Oktober die Sozialversicherungsreform beschlossen. Wir haben zwei Experten um ihre Meinung zu diesem heiklen gesundheitspolitischen Thema gebeten: Dr. Gerald Bachinger, NÖ Pflege- und Patientenanwalt, und Andreas Huss, MBA, Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, haben uns Ihre Positionen zur Kassenfusion dargestellt. | von Dr. Nedad Memic
Mehr Pragmatismus statt Ideologie
Reformen im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens sollten eigentlich selbstverständlich und kontinuierlich vorangehen, da sich die gesellschaftlichen Realitäten laufend und immer schneller ändern. Das, was gestern noch goldrichtig war, ist heute gerade noch passend und morgen nur mehr unzeitgemäß. Aber gerade das Gesundheitssystem ist äußerst strukturkonservativ und Reformen, Änderungen und Anpassungen sind – vor allem wegen der Komplexität des Systems – nur schwer im Konsens zu erarbeiten und noch schwerer auch nur teilweise umzusetzen. Jüngstes Beispiel ist der Versuch einer Strukturreform der Krankenkassen. Es ist zwar weitgehend unbestritten, dass wir ein unübersichtliches, intransparentes, kleinteiliges, hochkomplexes System haben, das zu deutlichen Unterschieden in den Leistungen für die Versicherten und auch zu deutlichen Unterschieden der Leistungen für die Gesundheitsberufe führt, aber Widerstände gegen Änderungen formieren sich bereits nachdrücklich und lautstark.
Jeder Mensch mit etwas Hausverstand wird verstehen, dass es nicht sinnvoll und effizient sein kann, wenn neun gleichartige Gebietskrankenkassen, die neun gleiche Aufgaben und neun gleiche/unabhängige Strukturen haben, auf neun verschiedene Arten und Weisen und vor allem mit neun unterschiedlichen Ergebnissen nebeneinander arbeiten. Das Argument, dass Konkurrenz wichtig sei, ist zwar grundsätzlich richtig, geht aber hier vollkommen ins Leere, da die Versicherten aufgrund unseres Pflichtversicherungssystems an eine Kasse gebunden sind und nicht wechseln können. Das Netz der wohnortnahen Servicestellen wird gleich bleiben und die Bezeichnung etwa der Zweigstelle der NÖGKK in Gmünd wird dann Zweigstelle der Bundeskrankenkasse lauten; wird also vollkommen unerheblich für die Versicherten sein. Das Argument, dass eine regionale Versorgung bei einer Bundeskrankenkasse nicht mehr möglich sei, ist überhaupt seltsam, denn wenn dies richtig wäre, müssten die bereits bestehenden bundesweiten Träger (wie etwa BVA, SVA der gewerblichen Wirtschaft, PVA oder SVA der Bauern) sofort aufgelassen werden. Diese bundesweiten Träger beweisen tagtäglich, dass ein Eingehen auf die regionalen Bedürfnisse der Versicherten/Patientinnen und Patienten sehr wohl möglich ist.
Die Verwaltung von Krankenkassen darf weder eine Spielwiese für Interessen und Machtpolitik von Gewerkschaften und Arbeiterkammern noch von der Wirtschaftskammer sein. Wesentlich und wichtig ist, dass die Verwaltung der Mittel alleine im Interesse der Zahler bzw. Versicherten und Patientinnen und Patienten effizient und effektiv erfolgt; dies ist also eine wichtige Managementaufgabe aber keine Frage von Macht und Einfluss. Die laufende, freiwillige Harmonisierung der Leistungen ist zu begrüßen, die Unterschiede sind allerdings weitaus tiefer gehend. Die längst fällige Umsetzung eines der wichtigsten Grundsätze eines gerechten, fairen und solidarischen Krankenkassensystems, nämlich: „gleiche Leistungen für gleiches Geld“ bedingt ausnahmslos in einem ersten Schritt diese geplanten Zusammenlegungen.
Kassenfusion bedeutet Drei-Klassen-Medizin
Die von der Regierung hochgelobte Kassenzusammenlegung droht zum Milliardengrab zu werden. Diese übereilte Fusion, die ohne Einbindung aller relevanten Partner durchgezogen werden soll, wird wesentlich mehr kosten als sie bringt. Dass eine Fusion in den seltensten Fällen Kosten spart, müsste eigentlich in Regierungskreisen hinlänglich bekannt sein. So lange ist es noch nicht her, seit von der ersten schwarz-blauen Regierung im Jahr 2003 die Fusion der Pensionsversicherungsanstalten beschlossen wurde. Alleine die Fusionskosten betrugen 200 Mio. Euro, die Verwaltungskosten sind seither sogar gestiegen und betragen zusammengerechnet rund 1 Mrd. Euro. Da man bei dieser größten Zentralisierung der Zweiten Republik von einem wesentlich höheren Betrag ausgehen muss, sprechen Expertinnen und Experten bereits von 2,1 Mrd. an Mehrbelastung. Was bedeutet das konkret? Jede vierte Hausarztstelle wackelt, durch die Reduktion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 30 Prozent müssen Außenstellen und Servicecentren geschlossen werden.
Außerdem steht im vorliegenden Gesetzesentwurf ganz klar, dass es in Zukunft keine regionalen Verträge mehr geben wird. Im Bundesland selbst werden keine Stellenpläne und regionalen Verteilungen von Arztstellen mehr verhandelt. Das würde bedeuten: Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) macht das zentral in Wien und teilt den Bundesländern die Anzahl zu. Den Landesstellen bleibt nur noch die Auswahl der geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten. Auch andere Partner, wie Zulieferer im Hilfsmittel- oder Transportbereich, beauftragt künftig die ÖGK. Zu erwarten sind EU-weite Ausschreibungen, bei denen lokale Unternehmen kaum den Vorzug bekommen. Die negativen Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft und auf die Arbeitsplätze müssen in diesem Zusammenhang nicht extra betont werden. Der zusätzliche Entzug von Geldern aus den Bundesländern wird bei den Versicherten bald spürbar sein. Die Bundesregierung hat versprochen, dass die Bundesländer über ihre Beiträge weiterhin verfügen können – im Begutachtungsentwurf steht allerdings etwas völlig anderes. Die Budgethoheit bleibt in der Zentrale der ÖGK. Selbst wenn die Versicherungsbeiträge wieder zurückfließen, stellt sich die Frage: Was passiert mit den sonstigen Einnahmen wie beispielsweise den Rezeptgebühren oder den Ersätzen für Leistungsaufwendungen? Je nach Länderkasse geht es dabei immerhin um bis zu 20 Prozent der Gesamteinnahmen.
Mein klares Fazit: Die Regierung schafft mit dieser Reform eine Drei-Klassen-Medizin: ganz oben die Politikerinnen und Politiker sowie Beamtinnen und Beamten mit der besten Versorgung, dann die Selbständigen und schließlich die restliche Bevölkerung. Noch dazu sind durch die Einschränkungen in der Selbstverwaltung die ÖGK-Versicherten die einzigen, die nicht selbst über ihre Leistungen entscheiden dürfen.