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Kinder- und Jugendgesundheit: „Es geht um praktische, umsetzbare Lösungen.“

Gruppenfoto
© GEORGES SCHNEIDER

Kinder- und Jugendgesundheit: „Es geht um praktische, umsetzbare Lösungen.“

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Der jährliche Fixtermin der Leadership-Kampagne des Fördervereins für Kinder- und Jugendlichenrehabilitation in Österreich und der PRAEVENIRE Initiative Kinder- und Jugendgesundheit brachte dieses Jahr Erfolge für die Kinderreha, Expertenbestätigung bisheriger Forderungen und die Weiterarbeit an dringend erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Pädiatrie in Österreich.

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Mag. Beate Krapfenbauer

PERISKOP-Redakteurin

Beim dritten PRAEVENIRE Gipfelgespräch am Fuße der Rax ist das im Vorjahr von Markus Wieser formulierte Ziel „Hirschwang soll das neue Alpbach für die Kinder- und Jugendgesundheit werden“ näher gerückt. Am 28. Juni 2023 erarbeiteten mehr als 100 Gesundheitsexpertinnen und -experten in Workshops zu vier Themen und basierend auf dem jeweiligen fachlichen Impulsvortrag wichtige und dringend erforderliche Maßnahmen zur Optimierung der Versorgung, psychischen Gesundheit, Transitionsmedizin und Kinder- Rehabilitation. Der Gründer und Obmann des Fördervereins für Kinder- und Jugendlichenrehabilitation in Österreich konnte die tagesaktuelle Erfolgsmitteilung bekanntgeben, dass im Sozialausschuss der Beschluss für einen Gesetzesentwurf auf Rechtsanspruch für Eltern zur Begleitung der Kinder beim Reha-Aufenthalt und eine finanzielle Absicherung während dieses Zeitraums getroffen worden ist. „Es ist erfreulich, dass nun dieser längst überfällige Rechtsanspruch umgesetzt wird“, berichtete Wieser, der dieses Jahr das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhielt. Er erklärte im Plenum die bedeutende Tragweite: „Mit der nunmehrigen Entscheidung auf Rechtsanspruch für Begleitung wurde ein Meilenstein für die Gesundung der Kinder umgesetzt. Damit ist auch die Verteilung der Aufenthalte in den Reha-Einrichtungen für Kinder und Jugendliche über das ganze Jahr hindurch besser planbar.“

Zwei grundlegende, im Vorjahr formulierten PRAEVENIRE Forderungen sind nach wie vor zur Umsetzung seitens der Politik offen. Das sind die von Wieser geforderte Gesundheitsmilliarde und ein Staatssekretariat, beides speziell für die Kinder- und Jugendgesundheit. Die Bedeutsamkeit dieser Idee bestätigten die Podiumsgäste. Ulrike Königsberger-Ludwig, Gesundheitslandesrätin in Niederösterreich und Mag. Alexander Hagenauer, Generaldirektor-Stellvertreter in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) unterstrichen in der Eröffnungsdiskussion aus ihrer jeweiligen Perspektive einmal mehr, dass Kinder und Jugendliche unsere Zukunft seien und jede Investition in ihre Gesundheit, ihr psychisches und physisches Wohlbefinden und in die spezifische Versorgungsstruktur ein Vielfaches bringt. Königsberger-Ludwig ist von der Idee eines Kinder- und Jugendstaatssekretariats überzeugt: „Wir brauchen Nahtstellen statt Schnittstellen zwischen den Ressorts und das nicht nur in Niederösterreich, sondern bundesweit.“ Hagenauer sieht die Aufgabe der Stakeholder in ihren jeweiligen Wirkungskreisen darin, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam mit Therapeutinnen, Therapeuten, Ärztinnen und Ärzten Lobbying-Anwältinnen und -Anwälte für die Kinder und Jugendlichen zu sein. Für ihn sind die wesentlichen Bausteine das Impfen als Präventionsmaßnahme, die funktionale Therapie als wesentlicher Bestandteil der Versorgungslandschaft, die Qualitätssicherung in der Kinder-Reha und auch die Stärkung der psychischen Gesundheit.

Thema 1: Gesundheitsversorgung

Prim. MR Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl, MBA betonte in seiner Keynote beunruhigende Trends wie den Mangel an kompetenten Gesundheitsanbietern. Er wies insbesondere darauf hin, dass das Angebot im niederschwelligen, solidarischen Gesundheitsbereich zunehmend weniger werde, die Privatmedizin boome und die Zahl an Wahlarztordinationen steige. Das sei zwar wirkungsvoll in einem Teil des Spektrums, aber für die meisten Eltern wird es zunehmend schwierig, in Akutsituationen an leistbare Versorgungsmöglichkeiten zu kommen. Aus seiner Sicht habe das duale Versorgungs- und Befundsystem – niedergelassener Bereich und das Spital – ausgedient. Der Facharzt stellte unterschiedliche Modelle gegenüber und betonte, dass nicht allein finanzielle Überlegungen Entscheidungsgrundlage seien. Vielmehr sieht sich der Ärztenachwuchs teils mit langwierigen Bedarfsprüfungen, Bewilligungsverfahren oder komplizierten Gesellschaftsverträgen konfrontiert. Pädiatrische Versorgungszentren sieht er als einen möglichen Lösungsweg, mit ihrem interdisziplinärem Leistungsangebot und den erweiterten Öffnungszeiten. Durch die größeren Kapazitäten und die Verbreitung des fachlichen Spektrums sei eine Verkürzung der Wartezeiten und generell kürzere Wegstrecken zu erwarten. Die Rechtsgrundlage für Verträge mit den Sozialversicherungsträgern bewege sich für Primärversorgungseinheiten (PVE) im Rahmen des Gesamtvertrages zwischen der Ärztekammer und den Krankenkassen. Dies garantiere ein sehr hohes Maß an Rechtssicherheit und Kündigungsschutz. Voitl schloss an seine Ausführungen die wichtigsten Forderungen an die Politik an: Es braucht Investitionen in die medizinische Infrastruktur, die Schaffung von besserer Anreize für das Gesundheitspersonal, den Ausbau der Telemedizin und die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin.

Thema 2: Psychische Gesundheit

Univ.-Prof. Dr. Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien, zeigte mit seiner Keynote „Von der Krise zur Pille? Psychopharmakaverschreibungen bei Kindern und Jugendlichen!“ wie es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bestellt ist. Basis für seine Ausführungen waren u. a. eine internationale Meta-Analyse, die von einer Verdoppelung von Angst und Depression unter COVID-19 im Vergleich zu vorpandemischer Zeit ausgeht. Dem entspricht eine von September bis November 2021 durchgeführte österreichische Online-Studie. Mehr als die Hälfte der 14- bis 20-Jährigen leiden an depressiven Symptomatiken (z. B. Angststörungen, Schlafstörungen, suizidale Gedanken). Er erwähnte auch die Ö3-Jugendstudie (https://www.oe3jugendstudie.at/ergebnisse.php), weil sie klar zeigt, dass die häufigsten als schwere Belastung empfundenen Themen nicht mehr nur COVID-19, sondern auch der Krieg in der Ukraine, die Wirtschaftskrise, der Klimawandel und die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich sind. Plener merkte an, dass sich vor allem die „GenZ“ alleingelassen fühlt. Denn als junge Erwachsene bekommen sie weniger Aufmerksamkeit als Kinder oder ältere Menschen.

Hinsichtlich Verschreibung von Psychopharmaka informierte Plener, dass in Österreich nur drei SSRI (eine Klasse von Antidepressiva) für Kinder zugelassen sind, obwohl viele Studien und Meta-Analysen belegen, dass SSRI und SNRI gute Wirkung bei einigen Indikationen zeigen. Somit gilt deren Einsatz oft als Off-Label-Use. Bei Benzodiazepinen ist die Lage verschärft, hier ist nur Diazepam in einer psychiatrischen Indikation zugelassen. Ärztinnen und Ärzte, die helfen wollen, fühlen sich darüber hinaus mit der rechtlichen Problematik alleingelassen. „Psychopharmaka sind nicht per se ‚schlecht‘, sie können eine wirksame Unterstützung sein. Wer nicht bereit ist, in Prävention zu investieren, zahlt eben die Therapiekosten“, mahnt der Experte für selbstverletzende und suizidale Verhaltensweisen bei Jugendlichen. Plener fordert daher mehr Forschungsunterstützung für Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen. Allem voran stellt er die Notwendigkeit für Präventionsmaßnahmen. Hierfür seien aus seiner Sicht die Schulen der Ort, um frühzeitig aktiv zu werden und Kinder mit psychischen Problemen vor dem Entstehen chronischer Problematiken auffangen zu können.

Thema 3: Transitionsmedizin

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Holter sprach in seiner Keynote „Plötzlich erwachsen! Transitionsmedizin als Begleitung in die Erwachsenenmedizin“ über den bis dato noch wenig beachteten Übergang von der Kinder- zur Erwachsenenmedizin und den Bedarf von Transitionsprogrammen, um einen langfristigen Therapieerfolg sichern zu können. Der Ärztliche Direktor des St. Anna Kinderspitals in Wien berichtete über die Interdisziplinäre Onkologische Nachsorgeambulanz IONA. Das wegweisende Best-Practice-Modell setzt sich aktiv dafür ein, die Transitionsmedizin, die Übergänge von der pädiatrischen zur erwachsenen medizinischen Versorgung multidisziplinär und möglichst nahtlos zu gestalten. IONA fußt auf dem Drei-Säulen-Modell, das die medizinische, pflegerische und psychosoziale Versorgung (der Kinder und ihrer Familie) miteinbezieht. In vielen Fällen stellt die Transition den Anschluss an die Rehabilitation dar, bei dem junge Patientinnen, Patienten den Übergang in die Erwachsenenmedizin bewältigen müssen. Während beispielsweise das Berliner Transitionsprogramm organbezogen arbeitet, wird im St. Anna Kinderspital mit IONA, einem Projekt der ÖGK und der Stadt Wien, ein interdisziplinäres Betreuungskonzept umgesetzt, das Beratung zu psychischen Problemen, sozialrechtlichen Fragen, arbeitsmarktspezifischen Angelegenheiten, Informationen über Spätfolgen u. v. m bietet. Zudem wird ein individuelles Langzeit-Nachsorgekonzept entwickelt. Da die psychischen Traumatisierungen lebenslang Auswirkungen haben können, setzen sich auch Survivor-Organisationen für die Verstärkung psychosozialer Rehabilitation ein.

Holter fordert, die Standards einer modernen Transitionsmedizin im gesamten Gesundheitswesen auszurollen. Der Familienstruktur und psychosozialen Aspekten muss mehr Beachtung geschenkt werden. Er weist darauf hin, dass es einen strukturierten Übergang derzeit nur in ausgewählten Vorzeigemodellen gibt, dabei braucht es dringend flächendeckende Lösungen. Eine der größten Herausforderungen stelle der spezialisierte Fachkräftemangel dar.

Thema 4: Kinder­ und Jugendlichenreha

„Kinder- und Jugendrehabilitation muss das gesamte familiäre Umfeld mit einbeziehen“, unterstrich Dr. Gudrun Seiwald, Reha- Zuständige bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). In ausgewählten Fällen zeigt sich die Familienorientierte Reha (FOR) als zielführend, die Therapiebegleitung gilt als Erfolgskriterium. Deshalb ist die Ergänzung im „Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz“, mit der die Begleitung der Kinder während des Reha-Aufenthalts für alle Indikationen rechtlich und finanziell abgesichert ist, ein wichtiger Meilenstein.

Seiwald berichtete über Aktuelles aus der Kinder- und Jugendrehabilitation. Seit 2018 wurden sechs Kinder- und Jugendrehazentren in Österreich eröffnet, knapp 7.800 Kinder konnten bis dato rehabilitiert werden. Insgesamt stehen 343 Betten zur Verfügung, das Durchschnittsalter der stationär aufgenommenen Kinder liegt bei knapp über zehn Jahren. Dabei gibt es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Indikationen, beispielsweise werden psychische Gesundheitsprobleme bei Kindern über 14 Jahren häufiger. Die Evaluierungsstudie 2022 (Beauftragter: Förderverein Kinderreha), bei der die Patientenerfahrungen abgefragt wurden, zeigt ein sehr positives Feedback, aber auch ein Problemfeld auf: Die Freizeit- und Beschäftigungsbetreuung am Wochenende ist zu optimieren.

Für Seiwald besteht, aus ihrer Sicht der Antragsprüfung, Ausbildungs- und Aufklärungsbedarf für die Zuweiserinnen und Zuweiser und eine Notwendigkeit für eine umfangreicherer Vorbefundung, um sicherzustellen, dass die Kinder und Jugendlichen in die für sie passenden Einrichtungen zugeteilt werden. Diagnostik, Zuweisung und Abstimmung vor dem stationären Reha-Aufenthalt sind entscheidend für den Erfolg. Seiwald betonte auch die Bedeutung der Vernetzung von Zuweisern, Behandlern und Eltern, um eine anhaltende Nachsorge sicherzustellen.

Zu lösende Problemfelder sind vor allem der Fachkräftemangel. Und im Sinne vorausschauender Planung ist es notwendig, über erweiterte Reha-Formen nachzudenken. Beispielgebend wäre die gemeinsame Rehabilitation von Familienmitgliedern, wenn sowohl das Kind als auch seine Eltern psychische Erkrankungen haben. Dafür gibt es zurzeit in Österreich keine Einrichtungen.

PRAEVENIRE Forderungen im Detail

Die von den Arbeitsgruppen formulierten dringend erforderlichen Maßnahmen werden wieder im PRAEVENIRE Jahrbuch (Version 2023/24) zusammengefasst und an die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger überreicht. Die Arbeit wird nächstes Jahr beim 4. PRAEVENIRE Gipfelgespräch am Fuße der Rax am 26. Juni 2024 im Parkhotel Hirschwang fortgesetzt. Infos und Impressionen zum Netzwerktreffen und Aktuelles zu den Aktivitäten lesen Sie auf https://praevenire.at/ kindergesundheit/ und https://www.foerderverein-kinderreha.at/

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