Warum Krebs als Lebensumstand zu sehen ist. Zum Auftakt der neuen Kolumne eine ganz persönliche Sicht auf das Leben nach der Krebsbehandlung.
Die primäre Behandlung ist erledigt, der Krebs ist weg. Endlich. Rekonvaleszenz ist nun das Schlagwort. Schnell wieder fit werden, denn alle warten darauf. Irgendwann will man die Sache auch wieder abschließen und zur Tagesordnung übergehen. Den Schreck verkraften, vergessen. Das Gelernte umsetzen. „Kein Problem“, sagt die medizinische Betreuung, „Bald sind Sie die Alte.“ Doch warum fühlt es sich ganz anders an?
Nur allzu gut kann ich mich an den Tag der letzten Bestrahlung erinnern. „Jetzt ist es geschafft“ hab ich mir gedacht. „OP, Chemo und Bestrahlung sind vorbei, ab nun geht es aufwärts“. Die paar Medikamente die jetzt noch in der Früh auf dem Tellerchen liegen, gehen mit dem Morgenmüsli runter wie Öl. Ich bin müde. Körperlich und geistig. Meine Kampfhaltung verliert langsam ihre Spannung. Darf sie. Ich bin angekommen, die Feierlichkeiten können bald beginnen. Bald
Ein paar Wochen später bin ich verwirrt, ein paar weitere irritiert, irgendwann verzweifelt. Mein Körper ist der einer alten Frau. Nach dem Aufstehen kann ich die ersten Schritte kaum gehen. Am Morgen sind meine Hände unbrauchbar, an manchen Tagen bleiben die Taubheit und der Schmerz. Mit der Zeit kann ich wieder lesen, zuvor fehlt mir die Konzentrationsfähigkeit zwei Sätze hintereinander in Erinnerung zu behalten. Chemonebel. Typische Sache. Soziale Kontakte fordern mich. Zu viele davon in kurzer Zeit zwingen mich ins Bett und ich muss meine Batterien neu laden. Manchmal geht das ein paar Stunden, manchmal ein paar Tage. Bewegung ist spitze, sagen sie mir. Gerne, denk ich mir. Meine Belastungsgrenze heute hat jedoch nichts mit der gestern zu tun, sie ändert sich täglich. So lande ich wieder mit leerem Energiespeicher im Bett. Und über all dem hängt die ständige Angst vor der Wiedererkrankung. Zwei Monate nach der primären Behandlung kippe ich emotional weg. Alle um mich sind gänzlich verwundert. „Es ist geschafft und jetzt lässt du dich so hängen? Reiß dich zusammen!“ Heute weiß ich: typischer Moment. Hätte ich das nur damals schon gewusst. Ich erkämpfe mir den Weg zurück. Ich habe Glück. Ich darf schrittweise in den Job einsteigen. Ein Privileg, das vielen verwehrt ist — die Wiedereingliederung in Österreich ist nach wie vor nur mangelhaft geregelt. Die fehlende Kraft, die mangelnde Konzentrationsfähigkeit und die geringe Belastbarkeit schreien nach meinen Ministeps.
Heute, acht Jahre später, weiß ich: Krebs ist keine Episode in meinem Leben geblieben, sondern ist ein Lebensumstand geworden, den es zu integrieren gilt. Sowohl für mich als Patientin, als auch für mein Umfeld. Nicht nur während der Behandlung, sondern noch Jahre nach der Erkrankung sind Folgen spürbar. Fatigue, Erschöpfungszustände und andauernde Müdigkeit, sind zusammen mit regelmäßigen Knochenschmerzen, Konzentrationsschwächen und Angst vor der Wiedererkrankung meine Begleiter geworden. Ich versuche, sie liebevoll zu umarmen und in mein Leben zu integrieren. An manchen Tagen jedoch würde ich ihnen am Liebsten einen Tritt in den Allerwertesten geben.
Mein Körperbewusstsein hat sich verändert. Sport und Ernährung haben einen neuen Stellenwert bekommen. Ich esse anders, bewege mich regelmäßiger. Ich messe die Dinge in meinem Leben daran, ob sie mich glücklich machen oder nicht. Wenn ich schon den Löffel abgebe, dann mache ich das wenigstens glücklich. Meine Beziehungen sind tiefer geworden, dafür lebe ich viel zurückgezogener. Meine Ängste sind größer, das Hier und Jetzt ist wesentlich. Ich gehe Konflikten aus dem Weg. Die meisten sind es ohnehin nicht wert, dafür zu kämpfen.
Dennoch bin ich dankbar. Ich bin dankbar für mein schönes Leben. Viel mehr noch, ich bin dankbar dafür, dass ich lebe. Mein Leben hat sich drastisch verändert, aber ich inhaliere mit Freude jede Sekunde, die ich davon geschenkt bekomme.
Fotocredit: © Caro Strasnik