Ing. Erol Holawatsch, MSc, ist Leiter des Fachbereichs Gesundheitseinrichtungen der Österreichischen Gesundheitskasse. Im Interview mit PERISKOP schilderte er die Vorteile der Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur ÖGK für die Bevölkerung, betonte die Bedeutung von Forschung und Wissenschaft in der ÖGK und verdeutlichte, dass die Coronakrise als Chance für positive Veränderungen betrachtet werden müsse. | von Mag. Dren Elezi, MA
Mit dem Ziel, die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen, bietet die ÖGK mit ihren 90 Gesundheitseinrichtungen in ganz Österreich ein vielseitiges medizinisches und therapeutisches Leistungsangebot und spielt damit eine wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung der österreichischen Bevölkerung.
PERISKOP: Welche Funktion haben die Gesundheitseinrichtungen der ÖGK in der medizinischen Versorgung? Können Sie uns einen kurzen Überblick geben?
HOLAWATSCH: Als Fachbereichsleiter der Gesundheitseinrichtungen bin ich für 4.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 90 Einrichtungen an mehr als 70 Standorten in Österreich verantwortlich. Darunter ein Schwerpunktkrankenhaus der ÖGK — das Hanusch-Krankenhaus, wo Forschungseinrichtungen für Augenheilkunde, Kardiologie, Hämatologie und Osteologie angesiedelt sind — sowie zahlreiche Gesundheits- und Zahngesundheitszentren, Physikalische Institute und Rehabilitations- und Kureinrichtungen in ganz Österreich. Das Angebot reicht von der Allgemeinmedizin über die Diabetologie, Hämatologie und Rheumatologie bis zur Urologie. Insgesamt decken die Gesundheitszentren ein sehr breites Spektrum medizinischer Fachrichtungen ab. In unseren Gesundheitszentren und Zahngesundheitszentren bieten wir niederschwellige medizinische und zahnmedizinische Behandlung nach höchsten medizinischen Standards. In den Gesundheitszentren für Physikalische Medizin unterstützen wir die Menschen, Beweglichkeit und Kraft aufzubauen und möglichst ohne Schmerzen selbstständig zu leben. In den Kur- und Rehazentren begleiten wir sie professionell auf ihrem individuellen Weg zu mehr Gesundheit. Allein im Hanusch-Krankenhaus in Wien betreuen wir jährlich rund 216.000 Patientinnen und Patienten und führen rund 20.000 Operationen nach modernsten medizinischen Standards durch. Zudem arbeiten die Wiener Gesundheitszentren eng mit dem Hanusch-Krankenhaus zusammen.
Welche Ziele haben Sie sich in der medizinischen Versorgung gesetzt?
Wir sind in erster Linie für die Patientenversorgung zuständig. Bei uns ist das gesamte medizinische Spektrum abgebildet, das die ÖGK zu einem starken Partner und einer großen Versorgungseinheit für die Menschen im Gesundheitsbereich macht. Dafür haben wir hochqualifizierte Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Pflegekräfte, Therapeutinnen und Therapeuten, Psychologinnen und Psychologen, Technikerinnen und Techniker und Verwaltungskräfte, die in den Gesundheitseinrichtungen gemeinsam für die Gesundheit der Menschen da sind. Unser Ziel ist es, alle unsere Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen. Dabei stellen wir immer den ganzen Menschen in den Mittelpunkt. Unser vielseitiges medizinisches und therapeutisches Leistungsangebot ist auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und entwickelt sich ständig weiter. Die Gesundheitseinrichtungen der ÖGK spielen damit eine wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung der Menschen in Österreich.
Einer Ihrer Schwerpunkte ist auch die Zahngesundheit. Welche Schritte zur Verbesserung der Versorgung haben Sie in diesem Bereich gesetzt?
Neben dem Hanusch-Krankenhaus zählt der Bereich der Zahnversorgung zu einem unserer wesentlichen Bereiche der Versorgung. Unsere Zahngesundheitszentren stellen zahnmedizinische Leistungen nach modernsten Standards zur Verfügung und sind technisch bestens ausgestattet. Mehr als 300 Zahnärztinnen und Zahnärzte bieten einfühlsame Beratung und hoch qualitative Behandlungen für Patientinnen und Patienten jeden Alters. Wir sind zahnmedizinisch in jedem Bundesland vertreten und flächendeckend für alle Patientinnen und Patienten da. Eine gute Zahngesundheit beginnt bereits bei der Prävention, im besten Fall in der frühen Kindheit. Für eine kindgerechte Atmosphäre in den Zahnordinationen der ÖGK sorgt ein gut geschultes, einfühlsames und freundliches Team, da vor allem für Kinder der erste Eindruck ganz entscheidend ist. Wenn Kinder im frühen Alter Probleme mit der Zahnpflege und dadurch schlechtere Zähnen haben, sind sie auf mehr Behandlungen angewiesen, wodurch einerseits die Angst vor der Zahnärztin bzw. dem Zahnarzt steigt — und insgesamt auch die Kosten steigen. Um die Gesundheitskompetenz von Kindern und Eltern zu fördern und den Versicherten einen Mehrwert zu bieten, organisieren wir regelmäßig Zahntage, an denen sich Kinder mit ihren Eltern über Zahngesundheit informieren können. Viele junge Zahnärztinnen und Zahnärzte starten in unseren Ambulatorien und können so rasch Erfahrung und ein breites Spektrum zahnmedizinischer Indikationen und deren Behandlung aus der Praxis kennen lernen. Das kommt natürlich auch unseren Patientinnen und Patienten zu Gute, weil dadurch Behandlungen immer nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft und Ausbildung durchgeführt werden.
Welche Rolle spielen Forschung und Wissenschaft?
Wir möchten uns sowohl im medizinischen Sektor als auch in den Bereichen der Forschung weiterentwickeln. Im Hanusch-Krankenhaus haben wir beispielsweise das Ludwig-Boltzmann-Institut (LBI) für Osteologie, wo die Forschung einen großen Schwerpunkt einnimmt. Das LBI für Osteologie ist ein multidisziplinäres klinisches Netzwerk am Hanusch-Krankenhaus und am Traumazentrum Meidling, das sich mit der Diagnose und Behandlung von Knochen- und Gelenkerkrankungen befasst. Seine Aufgabe ist es, durch Grundlagen- und klinische Forschung in der Osteologie sowie durch die Ausbildung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Klinikerinnen und Kliniker wissenschaftliche Spitzenleistungen zu erbringen. Das vorrangige Ziel ist die Verbesserung der Patientenversorgung. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Erforschung des Knochens durch einen multidisziplinären Ansatz mit einer weltweit einzigartigen Kombination von Techniken durchgeführt. Das Institut schafft hier eine enge Verknüpfung zwischen Grundlagenforschung und klinisch angewandter Forschung sowie zwischen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern verschiedener Fachrichtungen. Die Aufgabe des Institutes ist es, osteologische Forschung von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung durchzuführen. Zur Mitarbeit im Institut wurden Ärztinnen und Ärzte, Biologinnen und Biologen, Biochemikerinnen und Biochemiker sowie Physikerinnen und Physiker gewonnen. Dieser multidisziplinäre Zugang ermöglicht die Lösung wissenschaftlicher Fragestellungen aus verschiedenen Gesichtspunkten.
Wie haben Sie in Ihrer Funktion als Fachbereichsleiter des Fachbereichs Gesundheitseinrichtungen die Coronakrise erlebt?
Die Coronapandemie hat die Welt und auch das österreichische Gesundheitssystem vor eine Vielzahl von Aufgaben gestellt. Diese Pandemie hat unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Zusammenleben vollkommen verändert — wir haben alle gemeinsam einen Ausnahmezustand erlebt. In der Österreichischen Gesundheitskasse haben wir rasch und energisch reagiert. Gleich zu Beginn der Coronakrise haben wir uns so aufgestellt, um unter allen Umständen die Patientenversorgung aufrecht zu erhalten. Für uns war dies die oberste Priorität. Unsere Aufgabe ist es, für die Versicherten da zu sein und die Patientinnen und Patienten zu versorgen. Das ist vor allem in der heißen Phase der Coronapandemie an erster Stelle gestanden. Wir haben alle notwendigen Maßnahmen gesetzt, um uns vor dem Virus zu schützen. Trotz der enormen Herausforderung hat sich insbesondere hier wieder gezeigt, wie wichtig die ÖGK als Institution ist. Nur durch diese rasche Reaktion und klare Kommunikation und das daraus folgende Commitment der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und unserer Patientinnen und Patienten ist es uns gelungen, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Durch die Fusion war es schließlich auch für die ÖGK einfacher, österreichweit Maßnahmen zu setzen. Mit neun Gebietskrankenkassen wäre das deutlich schwieriger gewesen. Es hat sich durch den Austausch untereinander auch gezeigt, wieviel Know-how in der ÖGK vorhanden ist und was passiert, wenn alle an einem Strang ziehen — wovon schlussendlich die Patientinnen und Patienten profitieren.
Digitale Innovationsprojekte sollten ganz im Sinne des Patientenservice für die Menschen und ihre individuellen Bedürfnisse umgesetzt werden.
Erol Holawatsch
Die Fusion der Gebietskrankenkassen zur ÖGK hatte also positive Effekte auf die medizinische Versorgung der Menschen während der Coronakrise?
Ja, denn es bedeutete einerseits wesentlich mehr Know-how, weil wir unsere Expertise und unsere Kräfte gebündelt haben. Waren es davor neun eigenständige Gebietskrankenkassen, gibt es jetzt einen regelmäßigen Austausch zwischen den Expertinnen und Experten der jeweiligen Bundesländer, um unsere Kompetenzen zu fördern und zu erweitern und dadurch gegenseitig voneinander zu lernen und zu profitieren. Durch die Erweiterung unseres Know-hows ist am Ende des Tages der Benefit für die Patientinnen und Patienten am größten. Es gibt den Menschen auch die Möglichkeit, in jede Gesundheitseinrichtung zu gehen, unabhängig davon, ob sie in Vorarlberg, der Steiermark oder in Niederösterreich wohnen. Damit ist auch der wohnortnahe Faktor gewährleistet. Unser Angebot wird zudem stetig ausgebaut. Durch die Fusionierung haben wir die Möglichkeit, die Menschen noch besser zu unterstützen und zielgenauer durch das Gesundheitssystem zu begleiten. Wenn eine Person unsere Versorgung benötigt, sind wir flächendeckend da. Diese Vorteile und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Einheiten haben sich auch während der Coronakrise deutlich gezeigt.
Welche Learnings sind aus der Coronakrise abzuleiten? Sehen Sie die Krise auch als Chance, den entstandenen Entwicklungsschwung mitzunehmen?
Die Coronakrise hat uns gezeigt, welche Chancen der verstärkte Einsatz von digitalen Hilfsmitteln wie Telemedizin, Videokonsultation und das e-Rezept bieten. Die Möglichkeiten wollen wir weiter fortsetzen und weiterentwickeln. Digitale Innovationsprojekte sollten ganz im Sinne des Patientenservice für die Menschen und ihre individuellen Bedürfnisse umgesetzt werden. Im Fokus steht immer der Mensch — und der soll einen Mehrwert erfahren. Gerade in Zeiten, in denen das Smartphone zum zentralen Schlüssel für Gesundheitsdienstleistungen wird, sich der Arbeitsmarkt verändert und die Menschen zunehmend mobil werden, sind vor allem auch im Gesundheitsbereich innovative Modelle notwendig, die an die Lebensrealität der Patientinnen und Patienten angepasst sind. Vom e-Rezept über die Videokonsultation mit einer Ärztin bzw. einem Arzt bis hin zur Telemedizin können wir die digitale Patientenreise neu gestalten und so den Bedürfnissen und Anliegen unserer Patientinnen und Patienten entsprechend agieren. Um ein Beispiel zu nennen: Die e-Medikation, wurde lange Zeit vernachlässigt, war nach Ausbruch der Coronakrise aber in allen Einrichtungen der ÖGK in wenigen Tagen möglich. Wir versuchen, uns im Bereich der Digitalisierung stetig weiterzuentwickeln und setzen Schwerpunkte. In unseren Gesundheitszentren haben wir die Telemedizin bereits implementiert, nun folgt die Ausrollung auf ganz Österreich. Mit diesen Möglichkeiten können wir im Sinne der Patientenorientierung viele Erleichterungen für unsere Patientinnen und Patienten bieten. Hier haben wir vieles vor, auch im Bereich der Versorgung. Hier möchten wir uns auch schwerpunktmäßig ansehen, was sich am gesundheitspolitischen Markt für Möglichkeiten bieten, um nicht nur marktkonform zu agieren, sondern auch eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Wir sind durch die ÖGK zum größten Gesundheitsanbieter geworden, das heißt, wir haben ein großes Potenzial und das möchten wir unbedingt nutzen. Darüber hinaus haben wir viele wertvolle Lehren in ganz unterschiedlichen Bereichen ziehen können. So wurde unser Krisenmanagement erprobt, zahlreiche neue Prozesse wurden eingeführt. Die Herausforderungen dieser Pandemie waren sehr weitgreifend — die Lessons learned dafür umso wertvoller. Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gesundheitseinrichtungen der ÖGK, die während dieser herausfordernden Zeit wirklich Großartiges leisten!
© Katharina Schiffl
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Erol Holawatsch, geboren 1977 in Wien, war bis 2006 Angestellter der Wirtschaftskammer Wien und ab 2007 Angestellter und später Betriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse. Holawatsch engagiert sich seit 2008 für die Anliegen der Beschäftigten als stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Christlicher GewerkschafterInnen in der GPA-djp Wien. Er war Mitglied des GPA-djp Wirtschaftsbereichs Sozialversicherungen und Obmann-Stv. der Arbeitsgemeinschaft Sozialversicherung. 2013 schloss er die Sozialakademie der Wiener Arbeiterkammer ab und studierte von 2013 bis 2015 an der Donau-Universität Krems Gesundheitsmanagement und Public-Health und schloss mit dem Titel Master of Science ab. Von 2005 bis 2020 war er Mitglied der Bezirksvertretung („Bezirksrat“) von Wien-Floridsdorf und ist seit November 2020 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat.