Am 2. und 3. Juni ging der 12. österreichische Gesundheitswirtschaftskongress in Wien über die Bühne. Das Fazit aus zwei Tagen intensiver Debatten: Ohne umfassende und unterschiedliche Bereiche integrierende digitale Lösungen wird es nicht gehen in der Zukunft – aber wie der Kongress auch selbst gezeigt hat, eben nicht nur. Denn den Mehrwert direkter zwischenmenschlicher Kontakte können Bits & Bytes nicht ersetzen. | von Stefan Schocher
Die Stehtische, die Lobby, der Eingangsbereich, die Buffets und später am Tag die Bars – so hochkarätig können Panels in Zeiten wie diesen gar nicht besetzt sein, als dass nicht genau diese Bereiche zu den heimlichen Hauptbühnen eines Kongresses werden. Am 2. und 3. Juni fand in Wien der erste Gesundheitswirtschaftskongress seit dem Ausbruch der Pandemie statt. Ein erstes Branchentreffen nach langer Verbannung ins Digitale. Eine Diskussionsrunde, ein Vortrag, eine Präsentation – all das geht auch digital. Das Danach, das Dazwischen, der Plausch, der Tratsch, das entspannte Glas Wein nach einem langen Tag gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, bei dem das Erfahrene verdaut werden kann – all das kann das Digitale eben nicht.
Der Kongress im Hotel Savoyen war dabei in zweierlei Hinsicht eine Premiere: der erste seit Ausbruch der Pandemie auf der einen Seite, der erste organisiert von SpringerMedizin in Zusammenarbeit mit den hauseigenen Fachmagazinen „Das Österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ“ und „QUALITAS“ sowie dem Onlineportal „gesundheitswirtschaft.at“ auf der anderen Seite. Eine „gelungene Premiere“ sei das gewesen, so die Bilanz von SpringerMedizin-Geschäftsführer Alois Sillaber.
Und das betrifft sowohl die organisatorische, in erster Linie doch vor allem auch die inhaltliche Ausrichtung. Denn näher am Zeitgeschehen kann ein so lange im Voraus geplanter Kongress wie dieser eigentlich kaum sein: die Pandemie, die damit einhergehende Digitalisierung, der Krieg in der Ukraine und auch damit einhergehende Herausforderungen für die medizinische Betreuung – und dann verkündet Wiens Gesundheits-Stadtrat Peter Hacker auch noch die komplette Neuaufstellung der Wiener Spitäler … Dass er seine Teilnahme am Kongress genau deswegen absagte, fiel dabei kaum ins Gewicht, im Chor von in Summe 70 hochrangigen Vortragenden aus Politik, Wirtschaft und Forschung. Hielt doch zum Beispiel niemand Geringerer als Österreichs Gesundheitsminister Johannes Rauch eine der Eröffnungsreden.
An der Digitalisierung wird kein Weg vorbeiführen. Für das Krankenhaus der Zukunft werden weniger die Baupläne als die Datenleitungen relevant sein.
Alois Sillaber
„Unsere neue Realität – Erkenntnisse für eine bewegte Zukunft“, so der Titel, unter dem das Branchentreffen stattfand. Allerdings wurde unter diesem auf die Gegenwart und die Zukunft gerichteten Motto keinesfalls auf beinharte Analysen der jüngeren Vergangenheit verzichtet. Und da war es vor allem Clemens Martin Auer, Vice-Chair des WHO-Executive-Board, der hier mit der gelösten Zunge eines frischgebackenen Pensionisten ohne Rücksicht auf Verluste den rhetorischen Bihänder zückte, um mit dem Pandemie-Management in der Alpenrepublik abzurechnen, um ihr eine politische Stabilitätskrise zu attestieren: Seit 2017 habe es in Österreich je nach Zählweise acht oder neun Gesundheitsminister gegeben. Wie aber lässt sich eine gerechte Gesundheitsversorgung aufrechterhalten, wie eine Zwei-Klassen-Versorgung vermeiden? Wie lassen sich Bürokratie und Service in Balance halten? Von einem „Moloch, der kaum mehr zu steuern ist“ sprach in diesem Zusammenhang etwa Auer. Wie aber vor allem auch lassen sich immer größer werdende Lücken in der Primärversorgung schließen, wenn angehende Medizinerinnen und Mediziner diesen Bereich zunehmend zu vermeiden versuchen? Die Lücken in der Versorgung oder auch der Administration, die die Pandemie sichtbar gemacht hat, die Problemfelder, die sich aufgetan haben in den vergangenen Jahren, aber vor allem mögliche Wege, um gegenzusteuern – genau das waren die Themen bei der Fachtagung in Wien.
Mit der Pandemie verhält es sich wie mit dem sprichwörtlichen Glas Wasser: Halb voll oder halb leer? Viele Problemfelder haben sich aufgetan oder sind sichtbar geworden. Zugleich aber wurden auch viele Innovationen umgesetzt, die zuvor jahrelang debattiert worden sind. Innovationen waren es dann schließlich vor allem, um die sich in den Debatten auf dem Kongress alles gedreht hat. Und da ging es vor allem um digitale Hilfsmittel für die unterschiedlichsten Bereiche des Spital-Managements, die eigentliche Behandlung an sich bis zum Patienten-Leitfaden durch die unterschiedlichsten Stationen der eigenen Behandlung. Wie viel Standardisierung braucht es etwa in der Versorgung, war eine der maßgeblichen Fragen. Und auch: Wie lässt sich Informationsverlust zwischen Vorbetreuung, Behandlung und Nachbehandlung minimieren, wenn unterschiedliche Akteure ins Spiel kommen? Wie also – um den eingangs erwähnten Clemens Martin Auer zu zitieren – lässt sich dieser „Moloch“ im Sinne der Patientinnen und Patienten effizienter steuern, um sich dem Ziel anzunähern: Einer idealen Versorgung? Eines lässt sich nach zwei Tagen Informationsgewitter ganz sicher sagen: An der Digitalisierung wird kein Weg vorbeiführen. Für das Krankenhaus der Zukunft werden weniger die Baupläne als die Datenleitungen relevant sein, so Sillaber.
Allerdings – was für einen Kongress gilt, gilt letztendlich auch für den medizinischen Bereich: Digital kann viel, aber letztlich braucht es das Persönliche, es braucht den Kontakt. Und so waren es inmitten von Innovationen und digitalen Lösungsansätzen, inmitten von digitalen Bausteinen und Roboterbuddies dann letztlich doch sehr menschennahe Projekte, die im Rahmen des Gesundheitswirtschafts-Kongresses mit dem Integri-Preis für integrierte Versorgung ausgezeichnet wurden. Projekte, die die enge menschliche Betreuung psychisch Kranker (Gewinner: Kardinal-Schwarzenberg-Klinik), Patientinnen und Patienten in der Langzeitpflege (Gewinner: MedUni Graz) oder Sterbender (LKH Villach) im Auge haben.