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Ökonomie versus Medizin: Der schwierige Zugang zu innovativen Therapien

Ökonomie versus Medizin: Der schwierige Zugang zu innovativen Therapien

Nach dem neuesten Stand der Wissenschaft zu behandeln, ist eine zentrale Grundlage des heimischen Gesundheitssystems. Doch bei der Durchsetzung dieses Anspruchs gibt es eine reihe von Herausforderungen, vor allem, wenn es um die Finanzierung teurer Therapien geht.

Die Kostenbelastung ist häufig ein Grund, warum Krankenhäuser teure Behandlungen mit modernen Therapien vermeiden. Ärztinnen und Ärzte stehen unter Druck, wirtschaftlich vertretbare Therapien zu empfehlen, obwohl sie gleichzeitig verpflichtet sind, die beste wissenschaftliche Option aufzuzeigen. Eine unzureichende Patientinnen- und Patientenaufklärung und fehlende Kontrollmechanismen verschärfen die Herausforderung. Während im niedergelassenen Bereich die rechtlichen Rahmenbedingungen für Therapieansprüche gut geregelt sind, braucht es im Krankenhaus dringend neue Schutz- und Unterstützungsmechanismen für Patientinnenund Patientenrechte, um bestehende Ungleichheiten zu beheben. „Trotz neuer Bewertungsmechanismen für teure Therapien bleibt die Situation angespannt, und letztlich leiden die Betroffenen unter diesen systemischen Mängeln“, bringt Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, das Thema auf den Punkt. In seinem Impulsstatement bei den diesjährigen PRAEVENIRE-Gipfelgesprächen in Alpbach stellt er die Patientinnen- und Patientenrechte in den Mittelpunkt der Diskussion.

Spezialisierte Zentren können nicht die gleichen Leistungen anbieten wie Spitäler in ländlichen Regionen. Unterbleiben Behandlungen wegen der niedrigeren Versorgungsstufe muss über Alternativen aufgeklärt werden.
Bernhard Rupp

Leistungen nicht einheitlich
Ein Vergleich von extramuralem und intramuralem Sektor zeigt, dass gerade im Spital, wo aufgrund der Schwere der Erkrankungen Therapieentscheidungen rasch getroffen werden müssen, die Rechtsdurchsetzung oft nicht einfach ist. „Jetzt besteht außerdem die Gefahr, dass auf Entscheidungen des neuen Bewertungsboards gewartet wird und damit den Betroffenen wichtige Leistungen vorenthalten werden“, sagt Rupp und ergänzt: „Zahlreiche hochpreisige Therapien stehen vor der Zulassung, doch ‚horizon scanning‘ allein wird nicht genügen, um den Nutzen zu bewerten.“ Als Beispiel nennt Rupp die CAR T Zelltherapie, bei der von 100 qualifizierten Betroffenen nur rund 40 auch die Behandlung vergütet bekamen. Eine Finanzierung von innovativen Therapien im Krankenhaus scheint eine Regelung zulasten Dritter zu sein, denn während der Bund das Versorgungsniveau vorgibt, müssen es letztlich über die Träger-Abgangsdeckung die Länder bezahlen. Eine Finanzierung von teuren Therapien scheint weiterhin abhängig „von der Postleitzahl“ der Betroffenen zu sein: „Für mich stellt sich die Frage, ob der Finanzausgleich und die Gesundheitsreform merkbare betriebswirtschaftliche Erleichterungen für die Krankenhausträger gebracht haben oder ob wir eine Gastpatientenregelung für inländische Patientinnen und Patienten benötigen“, so Rupp. Denn: Wenn die finanzielle Deckung fehlt, werden nicht alle Spitäler in allen Bundesländern die gleichen Therapien anbieten können.

Kassen dürfen Verantwortung nicht abgeben
Während die Rechte von Patientinnen und Patienten in der Patientencharta festgeschrieben sind und unter anderem auch die medizinische Versorgung entsprechend dem Stand der Wissenschaft sowie eine laufende Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung umfassen, gehen Betroffene häufig auf dem Weg zur optimalen Therapie „verloren“ und erhalten weder die erforderlichen Informationen noch Unterstützung bis hin zur bestmöglichen Behandlung. „Es erweckt manchmal den Eindruck, dass die Krankenkassen für ihre Versicherten im Spital einfach die Verantwortung abgeben“, meint Rupp und wünscht sich, dass den Patientinnen und Patienten etwa mit Rechtsberatung gegen Entscheide der Krankenhausträger beigestanden wird. „Ein Instanzenzug bei stationärer Leistungsverweigerung sollte analog zum extramuralen Setting möglich sein und rasch sowie ohne Kostenrisiko für Klägerinnen und Kläger möglich sein“, schlägt der Experte weiter vor. Zudem fordert er die umfassende Information über Diagnose, Therapie-Meilensteinen und Therapieoptionen sowie ein Monitoring entlang der Behandlungspfade: „Patientinnen und Patienten schließen eine Leistungsvereinbarung mit dem Krankenhausträger ab und werden dort je nach Inhalt der AGB, der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, behandelt. Es ist naheliegend, dass das Portfolio eines spezialisierten Zentrums anders aussieht als das eines Spitals im ländlichen Umfeld“, fasst Rupp zusammen.

Anspruch und Wirklichkeit
Ein Blick auf die Rechtsdurchsetzungsoptionen nach geltender Rechtslage zeigt, dass in der Theorie ein bestimmtes Arzneimittel, das nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft für die Behandlung indiziert ist, in der Krankenanstalt auch verabreicht wird. Unterbleibt die Behandlung wegen der niedrigeren Versorgungsstufe der Krankenanstalt, greift jedenfalls eine Pflicht zur Aufklärung über die Behandlungsalternative in einer Krankenanstalt mit einer höheren Versorgungsstufe. Die Aufklärung über eine Behandlungsalternative genügt, solange die gebotene Versorgung in einer Krankenanstalt der höheren Versorgungsstufe erbracht wird. In der höchsten Versorgungsstufe besteht aber ein zivilrechtlicher Erfüllungsanspruch, das heißt: Die Behandlung muss nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) nach „dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung annehmen lassen“. Unterbleibt die Behandlung, so ist über den zivilrechtlichen Weg Schadenersatzanspruch gegen den Rechtsträger wegen Verletzung des gesetzlichen Versorgungsauftrags denkbar. Versicherte könnten aber auch vorleisten und entsprechend der Judikatur zur „Auslandsanstaltspflege“ die vollständigen Kosten der Anstaltspflege im Wege der Kostenerstattung einfordern. „Meist ist es aber so, dass das Kostenrisiko extrem hoch ist und Betroffene diesen Weg daher kaum gehen“, weiß Rupp. Eine Unterstützungsmöglichkeit im Fall einer gesetzwidrigen Einschränkung bei der Verabreichung von Arzneimitteln – also wenn beispielsweise aufgrund der AGBs der Krankenanstalt keine Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft möglich ist – findet der Experte im Konsumentenschutzgesetz (KSchG) über eine Verbandsklage. Das Verwaltungsrecht würde auch eine einstweilige Verfügung vorsehen, doch dann könnten sich Prozesse über Jahre ziehen – eine rasche Behandlung würde damit auch nicht verfolgt werden. „Denkbar wäre auch eine Weiterentwicklung des ASVG mit fixen Streitwerten im Zivilprozessweg sowie einem Rechtsschutz über die Arbeiterkammer“, meint Rupp.

Teure Therapien unterliegen neuen Bewertungsmechanismen – die Situation bleibt aber für die Betroffenen nach wie vor angespannt.
Bernhard Rupp

Keine Angst vor dem Bewertungsboard?!
Univ.-Prof. Dr. Karl Stöger vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Abteilung Medizinrecht der Universität Wien schwächt das Bedrohungsszenario durch das Bewertungsboard hingegen deutlich ab: „Die Aufgaben sind auf hochpreisige Therapien für seltene Erkrankungen beschränkt und es gab keine Änderung der Rechtslage. Die Behandlung muss wie bisher nach dem Stand der medizinisch-pharmazeutischen Wissenschaft erfolgen. Wenn eine Behandlerin oder ein Behandler eine Therapie für indiziert hält und verordnet, wird sie auch wie bisher möglich sein.“ Stöger hofft, dass das Bewertungsboard dazu beiträgt, dass sich die Krankenhausträger darauf einigen, bestimmte teure Therapien den Betroffenen österreichweit einheitlich zukommen zu lassen. „Es könnte auch dazu führen, dass bestimmte Therapien gar nicht mehr angeboten werden. In diesem Fall müssten wir mit einer Reihe von Rechtsstreitigkeiten rechnen“, so der Jurist. Auch er findet die Idee, dass in diesem Fall Krankenkassen die Betroffenen unterstützen, überlegenswert und verweist auf die bereits bestehende Möglichkeit der Schiedskommissionsverfahren. „Damit hätten wir keine Einzelfallentscheidung zugunsten oder zulasten einer Person, sondern im Verhältnis der Sozialversicherung gegenüber der gesamten Krankenanstalt. Auch das Kostenrisiko würde nicht bei der Klägerin oder beim Kläger liegen und das Ergebnis hätte zudem Vorbildwirkung“, beschreibt Stöger.

Auch Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc, Geschäftsführerin von Duervation GmbH, hofft, dass das Bewertungsboard eine sinnvolle Entwicklung im Sinne der Patientinnen und Patienten anstoßen wird: „Es kann ein sehr starkes Instrument werden, um Wirtschaftlichkeit, Outcome und gesunde Lebensjahre in ein neues Licht zu rücken.“

Die Aufgaben des Bewertungsboards sind auf hochpreisige Therapien für seltene Erkrankungen beschränkt und damit gab es keine Änderung der Rechtslage.
Karl Stöger

Was Lebensjahre kosten dürfen Ass.-Prof. Dr. Johannes Kastner, Finanzreferent der Ärztekammer für Wien, fordert hingegen eine klare politische Entscheidung: „Die Frage nach dem Wert von qualitätskorrigierten Lebensjahren, den QALY, Kennzahl für die Bewertung eines Lebensjahres in Relation zur Gesundheit, wird angesichts der demografischen Entwicklung zu stellen sein.“ Rupp verweist einmal mehr auf die Tatsache, dass es derzeit keine Bewertungskriterien für QALY gibt und das Gesundheitswesen den Eindruck erweckt, dass „alle alles“ bekommen, ohne transparente Kriterien, welche Tools für bestimmte Entscheidungen eingesetzt werden. „Das ist auch beim Bewertungsboard nicht anders, denn Geheimhaltung wird vorausgesetzt und die Transparenz der Entscheidungsfindung fehlt“, sagt Rupp.

Franz Öller, kaufmännischer Geschäftsführer der Gesundheit Burgenland, wehrt sich gegen die „Vollkaskomentalität“ in der Bevölkerung: „Nicht die medizinische Indikation ist die Grenze, sondern das Budget. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Behandlung für das einzelne Individuum noch sinnvoll indiziert ist. Das erfordert auf gesellschaftlicher Ebene eine Diskussion über Ethik und Moral. Am Ende kann die Lebenserwartung nicht davon abhängen, in welches Spital man kommt.“ Öller fordert daher transparente Prozesse auf nationaler Ebene, ist sich aber auch bewusst, dass hier viele gegensätzliche Ansprüche aufeinanderstoßen.

Rasche Behandlung als Ziel Aus der Sicht des Datenexperten betont Dr. Franz Leisch, Chief Digital Officer vom Verein PRAEVENIRE, die Bedeutung des Bewertungsboards: „Wir sprechen hier von Therapien, die in ganz Europa zum Einsatz kommen. Das heißt, wir bekommen Echtzeitdaten über viele Patientinnen- und Patientenkarrieren hinweg und das ist für die Wissenschaft und die Therapieentwicklung ein entscheidender Beitrag.“ Zudem könnten Prozesse der Medikamentenfolgenabschätzung oder Zulassungsprozesse der digitalen Gesundheitsanwendungen in Deutschland ein Vorbild sein: „Im Zweifel erhalten Patientinnen und Patienten die Behandlung und erst im Anschluss wird der Nutzen bewertet“, so Leisch. In die gleiche Kerbe schlägt Dr. Max Wudy, Vizepräsident der Ärztekammer Niederösterreich, und pocht auf das Patientenrecht der suffizienten und evidenzbasierten Behandlung. Er sieht die größte Gefahr darin, dass die Therapie hinausgezögert wird, wenn der Beschluss des Bewertungsboards zu lange dauern sollte, und spricht sich ebenfalls für eine Nutzenbewertung nach erfolgter Therapie aus. Dr. Gerhard Jelinek, Wiener Pflege- und Patient:innen-Anwalt, sieht die Umsetzung des Bewertungsboards ebenfalls in vielerlei Hinsicht kritisch, allen voran die Verschwiegenheitspflicht oder das fehlende Stimmrecht der Patientinnen und Patientenvertretung, das sich nicht nur auf die Beschlussfassung bezieht, sondern auch auf Nebenrechte. „Es wäre besser, den therapeutischen Nutzen nicht mit der Wirtschaftlichkeit zu koppeln, aber immerhin muss dieser Zusammenhang veröffentlicht werden.“ Die kurze Zeit von nur wenigen Wochen für eine Stellungnahme und die fehlenden Rechtsmittel findet der Jurist auf jeden Fall rechtsstaatlich bedenklich. Sabine Röhrenbacher vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich sieht ebenfalls kritische Punkte bei der Umsetzung des Bewertungsboards. Sie räumt mit dem Vorurteil auf, dass Patientinnen und Patienten immer nur das Teuerste wollen und wünscht sich wieder mehr Vertrauen in die Medizin und die Gesundheitspolitik: „Der Wunsch ist, gesund zu werden. Das beginnt mit einer raschen und sicheren Diagnose und endet bei einer Therapie, die funktioniert. Man kann Zeit, Kosten und menschliches Leid bei einer chronischen Erkrankung nicht gegeneinander aufwiegen.“ Röhrenbacher ist optimistisch, dass das Bewertungsboard Vorteile bringen wird und verspricht, die Arbeit des Gremiums im Sinne der Patientinnen und Patienten genau zu beobachten.

Trotz aller Kritik könnte das Bewertungsboard ein sehr starkes Instrument werden, um Wirtschaftlichkeit, Outcome und gesunde Lebensjahre in ein neues Licht zu rücken.
Mona Dür

Gesundheitspersonal im Zwiespalt
SR Mag. Dr. Leopold-Michael Marzi, Leiter der Abteilung Vorfallsabwicklung und Prävention im AKH Wien, fordert die Stärkung des medizinischen Personals: „Oft wissen Patientinnen und Patienten sehr gut über ihre Rechte Bescheid und sehen bei den Behandlerinnen und Behandlern immer nur die Pflichten. Mehr Aufklärung auch auf dieser Seite wäre dringend erforderlich.“ Josef Zellhofer, Mitglied des Bundesvorstandes der Younion, verweist ebenfalls neben der fehlenden Transparenz auf die Fragen von Ethik und Moral, die auf den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen lasten: „Die Medizinerinnen und Mediziner entscheiden gemeinsam mit den Betroffenen, welche Therapien durchgeführt werden und was im Einzelfall lebenswerte letzte Monate sind. Die Pflege übernimmt die Betreuung. Neue Medikamente können oft das Leben verlängern und die Lebensqualität verbessern, viele Krankheiten sind kein Todesurteil mehr, auch das spart Kosten. Und manchmal sind Wünsche der Betroffenen auch weniger Kostenbelastung, wie etwa eine Betreuung im eigenen Zuhause.“ Er spricht sich für ein Umdenken in der Finanzierung aus: „Teure Medikamente sollen nur dann bezahlt werden, wenn sie auch wirken.“ Am Ende gilt es immer, Entscheidungen zu treffen – zwischen konkurrierenden Bedürfnissen, steigenden Kosten und der passenden Therapie für den individuellen Menschen. Die Rahmenbedingungen dafür sind derzeit unbefriedigend und erfordern rasche Lösungen für fehlende Transparenz, unklare Entscheidungsgrundlagen und die mangelnde Rechtsdurchsetzung.

Diskussionsteilnehmender, digital dazugeschaltet
Karl Stöger

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