Gemäß der EU-Whistleblowing-Richtlinie (RL 2019/1937) hätte Österreich auf Bundes- und Landesebene bis 17. Dezember 2021 entsprechende gesetzliche Regelungen zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern erlassen müssen. Geschehen ist diesbezüglich bislang nichts, moniert Hon. Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abt. Gesundheitspolitik der AK Niederösterreich. Zudem greife der EU-Ansatz für eine umfassende Regelung zu kurz. Unbedingt notwendig wären für den Experten im Rahmen eines neuen Gesetzes insbesondere Maßnahmen zum Schutz von Whistleblowern im Gesundheits- und Pflegebereich zu schaffen. | von Rainald Edel, MBA
Gerade im Gesundheits- und Pflegebereich können Missstände, Fahrlässigkeit oder Unterlassungen dramatische Folgen für Betroffene und Schutzbefohlene nach sich ziehen. Daher besteht in diesem sensiblen Bereich ein besonderes Interesse an der Aufklärung, Aufarbeitung und Verhinderung derartiger Fälle. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Missstände aufgezeigt und öffentlich gemacht werden — für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber (englisch Whistleblower) allerdings eine riskante Sache, da sie in Österreich mangels rechtlicher Absicherung damit ihren Arbeitsplatz und ihr persönliches Fortkommen riskieren. Die Folge: Entsprechende Meldungen unterbleiben.
Auch in Bereichen, die vom Unionsrecht betroffen sind, beispielsweise EU-Förderungen, gab es in der Vergangenheit immer wieder Missbräuche und Skandale. Um hier für Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber Rechtssicherheit zu schaffen, hat die EU im Oktober 2019 die sogenannte Whistleblower-Richtlinie beschlossen, um EU-weite Mindeststandards im Zusammenhang mit Whistleblowing sicherzustellen. Den einzelnen Mitgliedstaaten wurde eine Frist bis 17. Dezember 2021 eingeräumt, diese in nationales Recht auf Bundes- und Länderebene zu übernehmen und gleichzeitig auf den innerstaatlichen Bereich auszudehnen. „Österreich hat diese Frist, ohne auch nur den geringsten Ansatz einer gesetzlichen Regelung zu treffen, verstreichen lassen und ist nun mit einem Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert“, erklärt Bernhard Rupp.
Wegweisendes Urteil
Eine Triebfeder der EU, das Thema Whistleblowing aufzugreifen, kam aus dem Gesundheits- und Pflegebereich durch den Fall Heinisch vs. Bundesrepublik Deutschland, der 2011 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt wurde. Anlass zu diesem Verfahren war, dass die Altenpflegerin Brigitte Heinisch Anfang 2005 von ihrem Arbeitgeber, dem landeseigenen Berliner Konzern Vivantes, fristlos gekündigt wurde, weil sie im Dezember 2004 eine Strafanzeige gegen Vivantes wegen Verdachts auf Betrug und weitere Straftaten gestellt hatte. Hintergrund war die Besorgnis von Heinisch um erhebliche Personal- und Qualitätsmängel in der Pflege, auf die sie zuvor mehrfach intern erfolglos hingewiesen hatte. Die Entlassung hat die Altenpflegerin durch alle Instanzen gerichtlich beeinsprucht, bis der Fall schließlich vor dem EGMR landete. Dieser gab Brigitte Heinisch im Juli 2011 Recht und erkannte, dass die fristlose Kündigung und die Weigerung der deutschen Gerichte diese aufzuheben, gegen das Recht auf Meinungsfreiheit verstoße, das in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird. In der Urteilsbegründung betonte das Gericht, dass Beschäftigte zunächst innerbetrieblich kompetente Stellen über mögliche Missstände am Arbeitsplatz informieren sollten. Nur falls dies offensichtlich unpraktikabel sei, komme als letzter Ausweg der Gang an die Öffentlichkeit in Betracht.
Nur rudimentäre Whistleblowing-Strukturen
Fälle wie den von Heinisch kennt Bernhard Rupp auch aus der Beratungspraxis der AK Niederösterreich. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich an ihn bzw. die Abteilung wenden und über Missstände in ihrem Unternehmen berichten, haben Angst um ihren Job. „Gerade wenn es um den Schutz von Patientinnen und Patienten bzw. pflegebedürftigen Personen oder um Missstände geht, brauchen wir solide Regelungen, sodass die Öffentlichkeit davon erfährt. Die Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber müssen entsprechend geschützt werden“, betont Rupp und moniert die derzeitige Rechtslage, wonach es zwar einzelne Elemente gibt, die in Richtung Whistleblowing-Regelung gehen, aber weit entfernt von einer soliden Lösung sind. Solange ein nationaler Rechtsrahmen fehlt, kommen die anwendbaren Teile der EU-Richtlinie zur Anwendung. Allerdings betreffen diese nicht den Gesundheits- und Pflegebereich. Als Beispiel für die ungenügende Umsetzung nennt er das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), wonach etwa Arbeitsmedizinerinnen und -mediziner, wenn sie von gesundheitsgefährdenden Problemen Kenntnis erlangen, versuchen müssen, diese betriebsintern bei der Geschäftsführung zu melden und eine Lösung herbeizuführen. Nur wenn dies nicht fruchtet, haben sie das Recht, nach außen zu gehen und den Fall beim Arbeitsinspektorat zu melden. Ein Schutz des Arbeitsplatzes besteht in einem derartigen Fall nicht. „Wir haben durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz noch eine andere Möglichkeit, nämlich die Gefährdungs- bzw. Überlastungsanzeige“, schildert Rupp. Diese sei in letzter Zeit durch mehrere Betriebsratskörperschaften in diversen Spitälern eingebracht worden.In manchen Bundesländern, so auch in Niederösterreich, bieten die Patientenanwältinnen und -anwälte an, dass sie anonymen Hinweisen, sofern diese ausreichend dokumentiert sind, nachgehen. Eine ähnliche Anweisung gibt es auch für die Arbeitsinspektorate. Auch die Arbeiterkammer habe für Fälle, die an sie herangetragen werden, einen „Werkzeugkoffer“ zusammengestellt. Eine anonyme Möglichkeit, über kritische Vorfälle zu berichten, ist cirsmedical.at.
Ausgestaltung einer soliden Whistleblower-Gesetzgebung
Welche Aspekte eine solide Lösung umfassen müsste, wurde vor rund einem Jahr durch eine große Unternehmensberatungsfirma präsentiert. Diese hat Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inkl. Personen in Führungspositionen befragt, wie sie zu einer Whistleblowing-Regelung stehen. Rund zwei Drittel der Befragten sahen eine Notwendigkeit in einer solchen Einrichtung, wobei 72 Prozent eine firmeninterne Stelle bevorzugen würden, der Rest würde sich lieber an eine externe Stelle wenden. Die EU-Richtlinie sieht beide Möglichkeiten vor. Welche Punkte bei einer solide Whistleblower-Regelung relevant sind, fasst Rupp wie folgt zusammen:
Die Sicherheit, dass Whistleblowing keine persönlichen Konsequenzen nach sich zieht.
Dass man anonym bleiben kann.
Dass man zeitnahe Informationen erhält, was mit der Meldung passiert ist.
Dass die Bearbeitung der Meldung durch eine unabhängige Person oder Stelle tatsächlich erfolgt.
Die Rückmeldung, dass zu gegenständlichem Fall oder zu anderen Problemen bereits Meldungen eingegangen sind.
Dass die Unternehmensleitung solche Meldungen zu Missständen wünscht.<y/p>
„Wir haben seit rund 15 Jahren ein Unternehmensstrafrecht, das allerdings im Gesundheitsbereich gar nicht greift. Daher wäre im Zuge einer Whistleblower-Regelung auch eine Diskussion über die österreichische Kronzeugenregelung und eine Adaption des Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VBVG) nötig“, so Rupp. Durchaus etwas abgewinnen kann er dem deutschen Entwurf zum Hinweisgebergesetz, da dieses nicht nur Verstöße gegen das EU-Recht, sondern auch Verstöße im Strafrecht abdeckt sowie Bereiche, die von großem öffentlichem Interesse sind. „Es wäre wichtig, Menschen zu ermutigen, Vorkommnisse zu melden, bevor ein größeres Problem entsteht“, appelliert Rupp.