Suche
Close this search box.

Potenziale der Gesundheitsberufe besser nützen

© SHUTTERSTOCK (2), KATHARINA SCHIFFL, PETER PROVAZNIK (6), PRIVAT, KARGL, PERI ONLINEEXPERTS

Potenziale der Gesundheitsberufe besser nützen

© SHUTTERSTOCK (2), KATHARINA SCHIFFL, PETER PROVAZNIK (6), PRIVAT, KARGL, PERI ONLINEEXPERTS

Österreich verfügt zwar über ausgezeichnet ausgebildete Fachkräfte im Gesundheitsbereich, allerdings führen mangelnde Zusammenarbeit, fehlende Aufstiegs- und Wiedereinstiegschancen auch zu einer mangelnden Attraktivität. Beim PRAEVENIRE Gipfelgespräch zum Thema Gesundheitsberufe wurden Lösungsansätze diskutiert. | von Rainald Edel, MBA

Österreich verfügt über ausgezeichnet ausgebildete Fachkräfte in Gesundheitsberufen auf allen Ebenen. Allerdings wird das Potenzial zu wenig genützt, waren sich die Expertinnen und Experten des PRAEVENIRE Gipfelgesprächs zum Thema Gesundheitsberufe einig. Eine vor zwei Jahren veröffentlichte Studie der London School of Economics zeigt, dass eine stärkere Einbindung vor allem der Apothekerinnen und Apotheker sowie der Fachkräfte aus dem Pflegebereich eine große Entlastung des Spitalsbereichs bewirken würde.

Wesentlich sei eine konkrete Definition einer abgestuften Betreuung von Patientinnen und Patienten, damit sie bestmöglich durch das Gesundheitssystem gelotst werden. Dazu müsse man überlegen, welche Berufsgruppen welche Aufgaben übernehmen können. Unbestritten sei, so die Expertinnen und Experten, die freie Arztwahl. Allerdings müsse man den derzeit praktizierten freien Einstieg der Patientinnen und Patienten in die höchsten Versorgungsebenen im Gesundheitssystem durch eine bessere Begleitung der Erkrankten umlenken. Um das zu erreichen, müssten aber auf der Grundversorgungsebene entsprechend kompetente Guides und Guide-Systeme stehen. „Dabei geht es nicht um Einschränkungen bei der freien Arztwahl“, betonte Dr. Erwin Rebhandl, Präsident der OBGAM, Hausarzt und Mitinhaber eines Primärversorgungszentrums in OÖ, sondern bei der Wahl der Versorgungsebene, wie dem Aufsuchen einer Spitalsambulanz bei ersten Beschwerden. „Das ist sehr teuer und kann sogar nachteilig für die Patientenversorgung sein“, sagte Rebhandl. Mag. pharm. Gunda Gittler, aHPh, Leiterin der Apotheke der Barmherzigen Brüder in Linz, stellte etwa die Möglichkeiten der Apotheken in den Vordergrund: „Wir bieten einen unkomplizierten, niederschwelligen Zugang.“ Bei vollständigem Zugriff auf die Daten der e-Card wären Apothekerinnen und Apotheker in der Lage, Patientinnen und Patienten sehr gut zu begleiten. Ähnlich äußerte sich Mag. pharm. Thomas W. Veitschegger, Vizepräsident des Apothekerverbandes. Durch Unterstützung und Zusammenarbeit mit Medizinerinnen und Medizinern könnten Apotheken wesentliche Beiträge für den öffentlichen Gesundheitssektor leisten. „Hier können wir beispielsweise eine verstärkte Unterstützung beim Disease Management oder bei Impfungen anbieten.“ 

Personen in Assistenzberufen sollten Aufstiegschancen durch berufsbegleitende und verkürzte Ausbildungen geboten werden.

Internationale Vorbilder

Einen anderen Ansatz, die Patientinnen und Patienten durch das Gesundheitssystem zu lotsen, brachte Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, PhD in die Diskussion ein, nämlich den Einsatz von Apps oder AI-gestützten Lösungen. „Aus meiner Sicht wäre das ein niederschwelliger Zugang“, meinte Gnant. Solche Lösungen gebe es schon in vielen Ländern. Dr. Günther Schreiber, verantwortlich für das Gesundheitswesen bei Quality Austria, wies etwa auf Großbritannien hin: „Unzählige User steigen dort täglich über Facebook mit einer Fragestellung in das nationale Gesundheitssystem ein.“ Technik allein sei aber zu wenig, warnte  Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, Leiter der Fachabteilung Gesundheitswesen der AK NÖ: „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Technik ein adäquater Ersatz für den Menschen ist.“ Vor allem dürfe man, fasziniert von technischen Lösungen, nicht auf wesentlichere Themen wie die Frage vergessen, wie hoch der Personalbedarf in den einzelnen Gesundheitsberufen tatsächlich ist.

„Nicht alles für ein optimiertes Gesundheits­system muss neu konzipiert werden“, betonte Dr. Alexander Biach, stv. Direktor der WK Wien und Standortanwalt Wien. Außerdem gebe es für die Primärversorgungseinheiten einen komplett neuen Honorar- beziehungsweise Kassenvertrag. „Er sieht vor, dass quasi ein Grundhonorar gezahlt wird, was das Arzt-Patienten-Gespräch vereinfacht“, erläuterte Biach. „Ich plädiere dafür, sich das neu geschaffene Instrument der Primärversorgungseinheiten genauer anzuschauen.“ Internationale Vergleiche zeigen, dass Primärversorgungseinheiten sowie der Zusammenschluss von Fachärztinnen und -ärzten den Patientinnen und Patienten genau jene Versorgungsqualität bieten könnten, die sie momentan auf direktem Weg in die für das Gesundheitssystem teureren Spitalsambulanzen suchen.

Der derzeit praktizierte freie Einstieg in die höchsten Ver­sorgungsebenen im Gesundheitssystem muss durch eine bessere Begleitung der Erkrankten umgelenkt werden. Dabei geht es nicht um Einschränkungen bei der freien Arztwahl.

Ausbildung anpassen

Überlegenswert sei bei den tertiär ausgebildeten Gesundheitsberufen eine gemeinsame Basisausbildung oder Ausbildungsmodule zu implementieren, nach denen sich die Berufsgruppen in einzelnen Zweigen spezialisieren. Mag. pharm. Monika Aichberger, Vizepräsidentin der OÖ Apothekerkammer, ist überzeugt, dass dadurch in Zukunft multiprofes­sionelles Arbeiten erleichtert wird und es zu mehr gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Wertschätzung führt. Ebenso müsse es eine stärkere vertikale Durchlässigkeit im System geben. „Personen in Assistenzberufen sollten Aufstiegschancen durch berufsbegleitende und verkürzte Ausbildungen geboten werden. Kostenfreiheit und finanzielle Absicherung seien notwendig, da vermehrt Wieder- und Quereinsteiger angesprochen werden sollen. Damit wir deren Potenzial nicht verlieren, sondern gewinnen“, argumentierte Mag. Kurt Schalek von der AK Wien. Zudem müsse man schon jetzt überlegen, ob und für welche Gesundheits­berufe Kompetenzerweiterungen möglich sind und welche medizinischen (Assistenz-)Tätigkeiten nur in Abstimmung und unter Aufsicht einer Ärztin oder eines Arztes oder auch selbstständig durchgeführt werden dürfen. Wobei die Gesetze durchaus heute schon mehr Möglichkeiten bieten würden, meinte Mag. Michael Halmich, LL.M., Leiter des Forums Gesundheitsrecht. Bei entsprechender Auslegung würden „die Gesetze mehr hergeben, als man glaubt“. Um einen besseren Überblick zu bekommen, welche Berufsgruppen und welche Ausbildungen überhaupt vorhanden sind, soll das Gesundheitsberuferegister erweitert werden.

Corona-Krise als Chance für Veränderungen

Bei allem Leid und allen Problemen, die die derzeitige Corona-Krise auch in Österreich auslöst, sehen die Expertinnen und Experten auch positive Entwicklungen. So würden beispielsweise Funktionen wie das e-Rezept derzeit einer Bewährungsprobe unterzogen, der sie sehr gut standhalten. Auch elektronische Krankschreibungen und telemedizinische Anwendungen wie die Tele-Visite werden derzeit praktiziert. Hier sollte das österreichische Gesundheitssystem nach der Corona-Krise keine Rückschritte machen, sondern diese Funktionalitäten bei­behalten, appellierten die Expertinnen und Experten. Auch Online-Anwendungen wie eine Gesundheitsapp, die die Patientinnen und Patienten anleitet und erste Fragen klärt, wären mit relativ einfachen Mitteln zu realisieren. Hierfür könnte auf die Erfahrungen der Gesundheitshotline 1450 zurückgegriffen werden. Dennoch müsse es weiterhin parallel die Möglichkeit geben, Gesundheitsfragen auch in einem persönlichen Gespräch mit einer Medizinerin oder einem Mediziner abzuklären.

Gesundheitsexpertinnen und -experten erörterten beim Praevenire Gipfel­gespräch per Video­konferenz das Thema Gesundheitsberufe.

1    Monika Aichberger

2   Alexander Biach

3   Gunda Gittler

4   Michael Gnant

5   Michael Halmich

6   Erwin Rebhandl

7   Bernhard Rupp

8   Kurt Schalek

9   Günther Schreiber

10 Thomas W. Veitschegger

Themenkreis Gesundheitsberufe

Für das Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“ wirken u.a. mit:

Mag. pharm. Monika Aichberger

Dr. Alexander Biach

Mag. Werner Fischl

DGKS Ursula Frohner

Mag. pharm. Gunda Gittler, PhD

Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, PhD

PhDr. Andrea Gruber, MSc, MBA

Dr. Michael Halmich, LL.M.

Mag. pharm. Gernot Idinger, aHPh

Univ.-Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz

Mag. (FH) Beate Kayer

Ass.-Prof. Dr. Wolfgang Köle

Andreas Kolm, MA, LL.M.

Mag. Dr. Elisabeth Messinger, aHPh

Anna Papaioannou, Bakk.

Dr. Sigrid Pilz

Dr. Erwin Rebhandl

Univ.-Prof. Dr. Alexander Rosenkranz

Mag. Silvia Rosoli

Hon.-Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp

Priv.-Doz. Mag. pharm. DDr. Philipp Saiko

Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA

Mag. Kurt Schalek

Dr. Günther Schreiber

Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Sperl

Univ.-Prof. DI Dr. Hannes Stockinger

Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, PhD

Mag. pharm. Thomas W. Veitschegger

Stand: 6. August 2020

Statements zum Thema Gesundheitsberufe:

„Das Gesundheits- und Krankenpflegepersonal nimmt eine zentrale Rolle in allen Settings der Ge­sundheitsversorgung ein. Das umfassende Aufgabenspektrum dieser Berufsgruppe wird in der jetzigen Situation hoffentlich der Gesellschaft und der Politik noch bewusster. Daher sind Ausbildungen und Rahmenbedingungen den neuen Anforderungen dringend anzupassen.“ DGKS Ursula Frohner | ehm. Präsidentin des ÖGKV

 

„Der Tätigkeitsbereich der Hebammen hat sich in den letzten Jahren deutlich erweitert: von der Schwangerenvorsorge, der Geburtsvorbereitung über die Geburt bis hin zur Nachbetreuung. Vor allem im ersten Lebensjahr sind Hebammen wichtige Vertrauenspersonen bei Fragen rund um das Neugeborene. Für eine ausreichende Versorgung nach der Geburt braucht es mehr Hebammen mit Kassenverträgen.“ Mag. (FH) Beate Kayer | Österreichisches Hebammengremium

 

„Zur optimalen Versorgung müssen klinische Pharmazeutinnen und Pharma­zeuten einbezogen werden. Mit der Entwicklung der elektronischen Fieberkurve im Krankenhaus können z. B. Risikopatientinnen  und -patienten gezielt herausgefiltert, Ressourcen effizienter eingesetzt und die Patientinnen und Patienten sicherer versorgt werden. Eine Verknüpfung mit dem extramuralen Bereich böte eine weitere Verbesserung für die Patientinnen und Patienten.“ Mag. Dr. Elisabeth Messinger, aHPh | Präsidentin ÖG Krankenhauspharmazie

 

„Ärztemangel und Finanzie­rungsdruck werden auch für uns neue Herausfor­derungen bringen. Daher 
muss schon heute vor­ausgedacht werden, wie Potenziale der Gesundheitsberufe besser genützt werden können, um system­unterstützende Synergien zu erzeugen. Apotheken könnten hier viel beitragen und sind jeder­zeit gesprächsbereit.“ Priv-Doz. Mag. pharm. DDr.Philipp Saiko | Präsident Apothekerkammer Wien

 

„Österreich verfügt im internationalen Vergleich über ausgezeichnet ausgebildete Gesundheitsberufe. Damit das so bleibt, müssen die Ausbildungsstrukturen und Inhalte auf die Anforderungen der Zukunft angepasst werden.“ Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA | Mitglied im Verwaltungsrat der ÖGK

 

„Bei den Herausforderungen, die der demografische, gesellschaftliche und technologische Wandel für die Gesundheitsberufe mit sich bringt, gilt es, Änderungen in einem sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen sowohl für Berufsausübende als auch für Patientinnen und Patienten menschlich und feinfühlig umzusetzen. Die Gesundheitsberufe müssen dabei als vollwertige Partner in Entscheidungen über das Gesundheitswesen eingebunden werden.“ ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, PhD | Präsident Ärztekammer für Wien

© SHUTTERSTOCK (2), KATHARINA SCHIFFL, PETER PROVAZNIK (6), PRIVAT, KARGL, PERI ONLINEEXPERTS

Aktuelle Ausgabe

Nach oben scrollen