Chronisch entzündliche Erkrankungen bedeuten für die Betroffenen oft großen Leidensdruck und eine enorme Einschränkung ihrer Lebensqualität. Das gilt besonders für chronischentzündliche Hauterkrankungen, von denen die atopische Dermatitis das häufigste Krankheitsbild ist. Dr. Andreas Pinter, Abteilung für Dermatologie Universitätsklinik Frankfurt/Main und OÄ Dr. Christine Bangert, Universitäts-Hautklinik MedUni Wien, erläutern, welche positiven Veränderungen die Präzisionsmedizin gerade auf diesem Gebiet bringt. | von Wolfgang Wagner
Das Verständnis von Krankheiten auf Basis von Genetik, Molekular- und Zellbiologie sorgt für einen Umbruch in der Medizin. Jetzt hat diese Entwicklung in der Dermatologie auch das bisherige Problemfeld der atopischen Dermatitis (AD) erreicht.
PERISKOP: Neurodermitis, atopisches Ekzem, atopische Dermatitis — das Krankheitsbild hat in der Geschichte der Medizin viele Namen bekommen. Ist es auch so häufig?
Pinter: Die atopische Dermatitis ist jedenfalls die häufigste chronischentzündliche Hauterkrankung in Europa. Oft treten die Symptome schon im Kleinkindalter auf. Bei Kindern bis hin zum Vorschulalter zeigen zehn bis fünfzehn Prozent zumindest vorübergehend Zeichen der Erkrankung. Es gibt auch Angaben von einer Häufigkeit bei Kindern von bis zu 20 Prozent.
Einmal symptomatisch erkrankt, ist man sein Leben lang krank?
Pinter: Es handelt sich um eine chronischentzündliche Erkrankung mit einem bei vielen Patientinnen und Patienten wechselnden Verlauf. Akute Phasen gehen dann immer wieder in eine vorübergehend stabile Situation und wenigen bis keinen Symptomen über. Aber wer einmal an atopischer Dermatitis erkrankt ist, trägt diese Belastung ein ganzes Leben. Das Krankheitsgeschehen kann dann jederzeit wieder akut werden. Das heißt zum Beispiel: Phasen mit großflächiger Hautbeteiligung und heftigen Juckreizbeschwerden werden abgelöst von Phasen, in denen die Patientinnen und Patienten weniger belastet sind.
Die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten bei atopischer Dermatitis waren bisher beschränkt.
Andreas Pinter
Ist das immer der Fall?
Pinter: Es gibt auch Patientinnen und Patienten, bei denen die Symptome nach dem ersten Auftreten nicht mehr verschwinden oder über die Zeit hinweg mit den bisher vorhandenen Mitteln immer weniger beherrschbar werden. Bei der atopischen Dermatitis handelt es sich um ein „Puzzle“ aus der Genetik des Betroffenen, Umweltfaktoren, dem Mikrobiom und Immunologie.
Wenn Sie Patientinnen und Patienten mit schweren Verlaufsformen der atopischen Dermatitis gegenübersitzen, was ist das Symptom, das im Vordergrund steht und weswegen die Betroffenen zu Ihnen kommen?
Pinter: Das sind zum Beispiel Patientinnen und Patienten, die solch unbeherrschbaren Juckreiz verspüren, dass sie sich blutig kratzen. Sie sagen, sie können nicht anders. Sie können deshalb nicht schlafen, sie sind in ihren Sozialkontakten und im Berufsleben behindert. Betroffene schildern beispielsweise, dass sie selbst in ihrer beruflichen Tätigkeit, zum Beispiel in Kundengesprächen unbeherrschbaren, Juckreiz haben und sich zu kratzen beginnen. Es sind Entzündung, Juckreiz, Schmerzen, eine veränderte Hautempfindlichkeit, welche die Lebensqualität so beeinträchtigen. Bei chronischer atopischer Dermatitis kommt schließlich noch eine Verdickung der betroffenen Hautareale dazu. Jede Behandlung muss darauf abzielen, für die Betroffenen diesen Teufelskreis zwischen Entzündung, Juckreiz, Kratzen, daraus resultierender Hautverletzung und erneutem Antreiben der Entzündung zu durchbrechen.
Über alle Patientengruppen hinweg: Gibt es einen Faktor, der die atopische Dermatitis ursächlich antreibt und den man beeinflussen kann?
Pinter: Dazu hat die Wissenschaft in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse gebracht. Studien haben gezeigt, dass eine sogenannte TH2-Antwort des Immunsystems entscheidend für die atopische Dermatitis ist.
Worauf basiert das?
Pinter: Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Zytokin Interleukin-13. Es wird von T-Helferzellen vom Typ 2 gebildet, die im Rahmen der atopischen Dermatitis in die betroffene Haut einwandern. IL-13 führt zu Störungen der Hautbarriere, was das Risiko für Infektionen erhöht, verstärkt entzündliche Prozesse und damit den Juckreiz. Schließlich fördert es auch die Verdickung der Haut. IL-13 wird in der Haut von Menschen mit atopischer Dermatitis — im Vergleich zu Gesunden — vermehrt gebildet, sehr stark in akut betroffenen Hautarealen, doch auch vermehrt in nicht beeinträchtigter Haut.
Ist IL-13 der alleinig ausschlaggebende Faktor?
Pinter: Es gibt auch noch Interleukin-4 (IL-4; Anm.). Doch IL-13 ist offenbar näher am Ursprung der Kaskade, die zu den Symptomen der atopischen Dermatitis führt.
Welche Möglichkeiten eröffnet das für die Therapie?
Pinter: Was wir bisher für die Behandlung der atopischen Dermatitis einsetzen konnten, war eher beschränkt. Hautpflege, dann lokal verwendetes Cortison. Hoch dosierte Corticosterioide systemisch anzuwenden, das wollen wir wegen der Nebenwirkungen nicht. Und dann gab es bisher verschiedene immunsupprimierende Medikamente, vor allem bekannt aus der Transplantationsmedizin. Von ihnen ist nur ein Arzneimittel auch für die Behandlung der atopischen Dermatitis zugelassen. Alle diese Medikamente haben längerfristig potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen. Es handelt sich also um eine Situation, die wir definitiv verändern wollen.
Wie soll das geschehen?
Pinter: Mit der gezielten Blockade von IL-13, welches eine Schlüsselrolle bei den Anzeichen und Symptomen der atopischen Dermatitis spielt, kann man bei mehr als 50 Prozent der Patientinnen und Patienten eine Reduktion der Hautsymptome um 75 Prozent erreichen. Bei etwa 15 Prozent gelingt das sogar zu etwa 90 Prozent. Damit kann man die Symptome gut unter Kontrolle bringen und die Lebensqualität der Betroffenen — auch jener mit schwerer Verlaufsform — deutlich verbessern. Das entspricht der modernen Präzisionsmedizin, die damit auch im Bereich der atopischen Dermatitis etabliert werden kann.
Frau Dr. Bangert, Sie haben lange Erfahrung in Diagnose und Behandlung von chronischen Hauterkrankungen, hier auch besonders der atopischen Dermatitis. Wie erleben Sie Symptomatik und Erscheinungsbild dieser Erkrankung bei Ihren Patientinnen und Patienten?
Bangert: Die atopische Dermatitis ist eine komplexe Erkrankung. Genetik, eine Fehlsteuerung des Immunsystems, die im Rahmen der Krankheit auftretende Schädigung der Barrierefunktion der Haut und Umweltfaktoren wie Allergene, Infektionen und Faktoren des Mikrobioms spielen eine Rolle.
Das spiegelt sich offenbar in einer Reihe von unterschiedlichen Erscheinungsformen.
Bangert: Die atopische Dermatitis ist nicht nur in ihren Ursachen komplex, sie ist ausgesprochen heterogen, was ihre Erscheinungsformen angeht. Das gilt auch für das Vorkommen und die Art der Erkrankung in verschiedenen Altersgruppen, bei Menschen verschiedener ethnischer Herkunft — und natürlich auch, was die Schwere der Symptome der Erkrankung angeht. Nur ein Beispiel: Die atopische Dermatitis sieht bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe anders aus. Und dann sind von Person zu Person unterschiedliche Hautpartien betroffen, auch noch in unterschiedlicher Art und Weise. Gemeinsam ist allen diesen Verlaufsformen aber eine starke Aktivierung der sogenannten TH2-Immunantwort, also die Überaktivierung von TH2-Immunzellen in der Haut.
Eine Schlüsselrolle bei der atopischen Dermatitis spielt das Zytokin Interleukin-13.
Christine Bangert
Früher wurde oft behauptet, dass sich die atopische Dermatitis von Kindern mit der Zeit einfach auswächsta, quasi ausheilt. Ist das wirklich der Fall?
Bangert: Es stimmt, dass bis zu etwa 20 Prozent der Kinder irgendwann Symptome einer atopischen Dermatitis zeigen. Doch auch drei bis zehn Prozent der Erwachsenen leiden daran. Bei den allerwenigsten zeigen sich die Symptome ständig. Man kann aber davon ausgehen, dass etwa zwei Prozent der Patientinnen und Patienten mit atopischer Dermatitis praktisch durchgehend in ihrem Leben Symptome haben und beeinträchtigt sind.
Gibt es Untersuchungen zur Krankheitslast der Betroffenen?
Bangert: Bis 60 Prozent der Patientinnen und Patienten mit unkontrollierter atopischer Dermatitis können laut einer US-Querschnittsstudie an Depressionen leiden, erleben zu fast 80 Prozent die Krankheit als Stressfaktor, etwa die Hälfte klagt über starken Juckreiz und 24 Prozent über gestörten Schlaf.
Warum ist diese chronisch-entzündliche Hauterkrankung so schwierig in den Griff zu bekommen?
Bangert: In der Behandlung der atopischen Dermatitis stehen wir heute dort, wo wir vor rund zehn Jahren bei einer anderen chronischen Hauterkrankung, bei der Psoriasis, gestanden sind. Wir kommen derzeit erstmals zu einer spezifischen Therapie, die im Sinne der Präzisionsmedizin wirkt. Was wir wollen: Eine Behandlung, welche auf die eigentlichen Krankheitsmechanismen abzielt, möglichst schonend für die Patientinnen und Patienten ist und eine Langzeitkontrolle des Leidens ermöglicht.
Was weiß man über die bei der atopischen Dermatitis wirksam werdenden Krankheitsmechanismen?
Bangert: Die Entzündungsprozesse beginnen schon früh. Durch die Schädigung der Hautbarriere-Funktion kommt es zum Eindringen von Keimen, zum Beispiel von Staphylokokkus aureus oder von Allergenen. Das führt zur Aktivierung der Keratinozyten in der Oberhaut. Sie schütten Zytokine aus, die Immunzellen vom TH2-Typ aktivieren. Diese Immunzellen wandern — mit anderen Zellen wie Eosinophilen — in die Haut ein und produzieren Botenstoffe wie vor allem IL-13 und IL-4. Dadurch kommt es wiederum zu einer Störung der Barrierefunktion der Haut. Überaktivierte TH2-Zellen produzieren schließlich auch Interleukin 31 (IL-31; Anm.). IL-31 wirkt direkt auf die sensorischen Nervenzellen der Haut. Das führt schließlich zu dem extrem belastenden Juckreiz.
Was geschieht, wenn die Krankheit chronisch wird?
Bangert: Bei chronischer atopischer Dermatitis wandern noch weitere Immunzellen in die Haut ein — TH1- und TH17-Zellen. Es kommt zu einer chronischen Entzündung und zu einer typischen Verdickung der Haut.
Was hat die Dermatologie aus diesen Erkenntnissen für die Behandlung der atopischen Dermatitis sozusagen gelernt?
Bangert: Vor allem, dass Interleukin-13 ein ganz wesentlicher Faktor für die Entwicklung der Krankheit und die Aufrechterhaltung der Symptome bei schweren Verlaufsformen ist. IL-13 hat signifikante Auswirkungen auf die Haut. Es führt zu einer Verringerung ihrer Barrierefunktion, treibt die entzündlichen Prozesse an und verringert auch die Abwehrfunktionen gegen Bakterien. Das erhöht die Anfälligkeit für die Kolonisation mit Keimen wie Staphylokokkus aureus bzw. deren Eindringen in die Haut.
Welche Vorteile erwarten Sie für die Patientinnen und Patienten durch Therapien, die spezifisch IL-13 blockieren?
Bangert: Es handelt sich dabei um eine sehr spezifisch wirksame Behandlungsform. Daraus resultiert eine hohe Wirksamkeit bei einer insgesamt für die Patientinnen und Patienten schonenden Therapie der atopischen Dermatitis.
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Der aus Halberstadt in Deutschland stammende Dermatologe Dr. Andreas Pinter ist ein seit Jahren in der Forschung aktiver Wissenschafter. Ausgebildet an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, ist er dort seit 2007 an der Abteilung für Dermatologie und Venerologie tätig. Er arbeitet an der Abteilung wissenschaftlich als Medizinischer Direktor für Klinische Forschung. Seine Spezialgebiete u. a.: atopische Dermatitis, Psoriasis und Akne inversa. Er hat rund 120 klinischen Studien durchgeführt bzw. mitgearbeitet.
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Die Dermatologin Dr. Christine Bangert absolvierte ihr Medizinstudium in Lübeck in Deutschland, zur Dermatologin wurde sie an der Universitäts-Hautklinik der MedUni Wien ausgebildet. Dr. Christine Bangert ist Oberärztin an der Klinischen Abteilung für Immundermatologie und Leiterin der Ambulanz für Patientinnen und Patienten mit atopischer Dermatitis. Sie leitet auch die Studiengruppe (klinische Forschung) für atopische Dermatitis. Daneben gilt ihr wissenschaftliches Interesse besonders den zell- und molekularbiologischen Aspekten der AD.
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