Dass Rauchen ein vermeidbares Risikopotenzial für Krankheiten darstellt, ist seit langem bekannt. Dennoch konsumieren nach wie vor etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Österreich ab 16 Jahren täglich Nikotin – vor allem in Form von Zigaretten. Um den Tabakkonsum zu reduzieren, können Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner eine wichtige Schlüsselrolle bei der Motivation zum Rauchstopp ihrer Patientinnen und Patienten einnehmen. Eine Hilfestellung dafür bietet die überarbeitete neuauflage des update europe papers „raucherentwöhnung in der allgemeinmedizinischen praxis“, welche in Kooperation mit AM Plus – Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit entstanden ist.
Carola Bachbauer, BA, MSc
Periskop-Redakteurin
In Österreich hat die Zahl der Raucherinnen und Raucher in den vergangenen Jahren zwar abgenommen, dennoch rauchen immer noch 23,7 Prozent der Männer und 17,9 Prozent der Frauen. Der Konsum von Zigaretten kann zu zahlreichen Krankheiten führen. Dazu zählen beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, Atemwegserkrankungen wie z.B. COPD, chronische Bronchitis oder Asthma und bösartige Wucherungen wie Lungenkrebs, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs, Harnblasenkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Schätzungen zufolge starben 2019 in Österreich mehr als 13.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums oder Passivrauchens. Somit gilt Rauchen als eines der bedeutendsten vermeidbaren Gesundheitsrisiken.
Maßnahmen gegen das Rauchen
Aufgrund dessen werden die Nichtraucherschutzmaßnahmen national und international
immer mehr ausgeweitet. EU-weite und globale Kampagnen gegen das Zigarettenrauchen
versuchen am „coolen“ Image des Nikotinkonsums zu kratzen, um diesen zu minimieren.
Auch in Österreich wurden von öffentlicher Seite Schritte gesetzt, das Rauchen einzudämmen. So ist beispielsweise die österreichische Gastronomie seit November 2019 rauchfrei.
Auch eine höhere Besteuerung und die infolgedessen steigenden Preise für Tabakwaren haben sich als bewährtes Mittel erwiesen, um den Zigarettenkonsum zu reduzieren. Welchen Einfluss die Hausärztin, der Hausarzt auf das Rauchverhalten der Patientinnen und Patienten ausüben kann, wird in Österreich jedoch nach wie vor häufig unterschätzt. Viele praktische Ärztinnen und Ärzte haben das Gefühl, dass ihre Ratschläge zur Rauchentwöhnung kaum unmittelbare Erfolgsergebnisse bringen. Jedoch verfügen Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner in der Regel über einen guten und kontinuierlichen Patientenkontakt und nehmen damit eine zentrale Nahtstellen-Funktion im Gesundheitssystem ein. Somit können sie für Raucherinnen und Raucher vertrauenswürdige, zuverlässige Partnerinnen und Partner sein, um die Patientinnen und Patienten mithilfe von Raucherberatung und Therapie bei der Raucherentwöhnung zu unterstützen.
Zusammenarbeit suchen
Das routinemäßige Erfassen der Rauchgewohnheiten der Patientin bzw. des Patienten und die Evaluation der Bereitschaft, mit dem Rauchen aufzuhören, sowie eine entsprechende Kurzintervention sollten fixe Bestandteile der Arzt-Patienten-Kommunikation in der Allgemeinarztpraxis sein.
Eine Raucherentwöhnungstherapie selbst ist jedoch ein komplexes und zeitintensives
Aufgabengebiet. Zur Durchführung einer Raucherentwöhnung oder Harm Reduction gehören das Erstellen eines Therapieplanes mit Auswahl der entsprechenden Methode, die Vereinbarung von Folgekontakten und eine eventuelle Rückfallbetreuung. Die Nikotinersatztherapie sollte über einen Zeitraum von acht bis zwölf Wochen durchgeführt und allmählich reduziert werden. Bei gutem Behandlungserfolg, jedoch fortgesetzter Rückfallgefahr kann die Dauer der Anwendung
bei allen zugelassenen Produkten verlängert werden. Mit dem Einsatz der richtigen Nikotinersatztherapie kann die Erfolgsrate nahezu verdoppelt werden. Neben der Behandlung mit einer Nikotinersatztherapie, Nicotine Replacement Products (NRPs), aber auch rauchfreien
Alternativen wie beispielsweise E-Zigaretten oder Tabakerhitzern sollte eine psychosoziale
Unterstützung in der Entwöhnung angeboten werden. Besonders die Betreuung stark abhängiger Raucherinnen sowie Raucher und schwieriger Fälle ist in der Regel im täglichen
Ablauf des Ordinationsbetriebes nicht möglich. Deshalb sollten sich praktische Ärztinnen
und Ärzte ein entsprechendes Netzwerk mit anderen Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmedizinern, Fachärztinnen und Fachärzten, Spitälern, sonstigen Einrichtungen und Apotheken aufbauen, um für die jeweilige Patientin bzw. den jeweiligen Patienten die individuell passende Beratung zu finden. Zusätzlich sollten sich die Hausärztinnen und Hausärzte einen Überblick über die verschiedenen Anlaufstellen für Nichtraucherprogramme in ihrem Bundesland machen.
Aktualisierter Leitfaden für praktische Ärztinnen und Ärzte
Eine Hilfestellung für die allgemeinmedizinische Raucherberatung sowie Informationen zu
Spezialeinrichtungen oder Fortbildungsmöglichkeiten bietet die Neuauflage des im Mai
2005 erstmals erschienenen Update Europe Papers „Raucherentwöhnung in der allgemeinmedizinischen Praxis“ in Kooperation mit AM Plus – Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit. Das Anliegen dieses Konsensus-Statements ist es, der Allgemeinmedizinerin, dem Allgemeinmediziner eine zentrale Rolle in der Motivation zum Rauchstopp ihrer Patientinnen und Patienten zuzuordnen. Denn schon eine kurze Empfehlung eines Nikotinverzichts durch die Hausärztin, den Hausarzt erhöht die Bereitschaft zu einem Raucherentwöhnungsversuch signifikant. Anhand des in Zusammenarbeit mit dem Nikotininstitut Wien entstandenen praktikablen Leitfadens können Ärztinnen und Ärzte eine Kurzintervention mit einem Zeitaufwand von wenigen Minuten durchführen und eine individuelle Beratung, die auf die Bereitschaft der Raucherin, des Rauchers zur Entwöhnung abgestimmt ist, anbieten. Des Weiteren enthält die Publikation eine Übersicht zur Raucherentwöhnungstherapie sowie der zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten, mit besonderem Augenmerk auf Nikotinersatzpräparate. Als Erweiterung zu der Erstausgabe enthält die Neuauflage des Update Europe Papers ein zusätzliches Kapitel zu dem Thema Harm Reduction. Dieses stellt eine umfassende Aufzählung von Nikotinprodukten mit einem geringeren gesundheitsschädlichen Schadstoffgehalt wie E-Zigarette oder Tabakerhitzer zur Verfügung und bietet der Allgemeinmedizinerin, dem Allgemeinmediziner eine Hilfestellung bei dem Einsatz von Interventionen zur Tabakkonsumreduktion. Das Konzept der Schadensminimierung kann bei Personen, die ihr Rauchverhalten zwar ändern wollen, jedoch zum kompletten Rauchstopp nicht bereit oder in der Lage sind, empfohlen werden.
Grundsätzlich ist die Raucherentwöhnung bzw. eine langfristige Harm Reduction ein lohnender Weg für abhängige Raucherinnen und Raucher und auch ein Erfolgsmoment für die betreuende Ärztin bzw. den betreuenden Arzt. Vor allem ist ein erfolgreicher Rauchverzicht ein großer persönlicher Gewinn, der zu einer Steigerung der Lebenserwartung und Lebensqualität sowie einer Verbesserung des Gesundheitszustandes führen kann. Dies deckt sich wiederum mit den Zielen der Allgemeinmedizinerin, des Allgemeinmediziners, die oder der im Idealfall eine langfristige Gesundheitsmanagerin bzw. ein langfristiger Gesundheitsmanager seiner Patientinnen und Patienten ist.
Seitenstettener Petition zu Harm Reduction und Risikominderung
Den Anstoß zu der Überarbeitung des Konsensus-Statements gab die bei den 7. PRAEVENIRE Gesundheitstagen 2022 im Stift Seitenstetten der Öffentlichkeit präsentierte Seitenstettener Petition zu Harm Reduction und Risikominderung. Seit seinen Anfängen hat sich das PRAEVENIRE Gesundheitsforum einer Stärkung präventiver Ansätze im Gesundheitssystem und der korrespondierenden Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung verschrieben. Im Zuge vieler PRAEVENIRE Gipfelgespräche, Workshops und Keynotes, die sich mit Prävention und Gesundheitskompetenz in diversen Settings und mit unterschiedlichen Schwerpunkten beschäftigten, wurden immer wieder auch die Konzepte „Harm Reduction“ (Schadensreduktion) und „Risikominderung“ angesprochen. Aufgrund dessen fasste das PRAEVENIRE Gesundheitsforum den Entschluss, bei den 6. PRAEVENIRE Gesundheitstagen 2021 im Stift Seitenstetten eine Initiative zu starten, die sich der Entwicklung einer Seitenstettener Petition zu
Harm Reduction und Risikominderung widmet. Seit diesem Zeitpunkt setzen sich zahlreiche Expertinnen und Experten in Diskussionen über die fünf Schwerpunktthemen Bewegung,
Ernährung, Alkohol, Rauchen und illegale Drogen mit dem Fokus auf Onkologie, Orthopädie,
kardiovaskuläre Erkrankungen und Zahngesundheit auseinander. Als eine der zentralen Essenzen der Petition erwies sich die Betonung, dass Harm Reduction und Risikominderung als unterstützende Ansätze und Maßnahmen anzusehen sind. Prävention im Sinne von Lebensstiländerungen und Suchtabstinenz stellt unbestritten den bestmöglichen Outcome für Betroffene dar und bleibt das primäre Ziel. Harm Reduction und Risikominderung können und sollen jedoch dort einen Beitrag leisten, wo Prävention nicht wirksam war und wo aus individuellen Gründen Lebensstiländerung und Suchtabstinenz nicht erfolgreich sind. In diesem Sinne schreiben sich Harm Reduction und Risikominderung in das Konzept von „Gesundheit erhalten – schaffen – verbessern“ ein.
Bei den 7. PRAEVENIRE Gesundheitstagen 2022 im Stift Seitenstetten wurde die Petition schließlich vorgestellt. Mit dieser möchte PRAEVENIRE die patientenorientierte, evidenzbasierte und zukunftsweisende Gestaltung gesundheitspolitischer Prozesse und Strukturen unterstützen, zur Aufklärung über die Potenziale von Harm Reduction und Risikominderung beitragen und damit eine pragmatische, an den Bedürfnissen Betroffener ausgerichtete Gesundheitsversorgung stärken.
Fazit
PRAEVENIRE wird die Arbeit zu den Ansätzen der Harm Reduction und Risikominderung auf
Basis der Seitenstettener Petition weiterhin in ihren Gipfelgesprächen, Keynotes und Workshops fortsetzen und freut sich auf den weiteren kritischen Austausch mit den Signatorinnen
und Signatoren der Petition und weiteren Expertinnen sowie Experten und Stakeholdern.
Die Studienautorinnen und -autoren des Update Europe Papers hoffen mit der Aktualisierung des Leitfadens „Raucherentwöhnung in der allgemeinmedizinischen Praxis“ den Hausärztinnen und Hausärzten eine praxisnahe Unterstützung an die Hand zu geben, damit diese die Entwöhnung von Raucherinnen und Rauchern besser managen können. Ziel ist es, von einem konfrontativen „Sie müssen aufhören zu rauchen“ zu einem konsensualen Beratungsgespräch zu kommen, das deutlich bessere Erfolgschancen hat.
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