Arthrose 2.0 | Folge 1
Darf ich Sie auf ein Gedankenexperiment einladen? Ihr Knie macht Ihnen Probleme. Schon seit längerer Zeit. Anfangs waren die Schmerzen noch erträglich, doch nach und nach stoßen Sie an Ihre Grenzen. Die Arthrose hat Ihr Knie so sehr beansprucht, dass Ihre Orthopädin, Ihr Orthopäde irgendwann meint: Ein Kniegelenk muss her.
Dr. Andreas Stippler, MSc,
Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie
Mit diesem Statement gehen Sie nach Hause, warten auf die Bekanntgabe Ihres OP-Termines (wahrscheinlich sehr lange, sofern Sie nicht privat zahlen) und machen dann genau – nichts. Nichts für sich, nichts für Ihr Knie, nichts gegen die Zerrissenheit, die Sie plagt: Ist die OP wirklich notwendig oder würde ich es auch ohne sie irgendwie schaffen? Das Gedankenkarussell bringt Sie in einen lethargischen Zustand, in dem Sie schlicht gar nichts mehr machen, bloß warten.
Sie befinden sich also – gemeinsam mit vielen anderen wartenden Patientinnen und Patienten – in der passiven Wartezone. Und damit sind wir genau beim Kern dieser Kolumnenserie gelandet: Wir müssen raus aus der inaktiven Wartezone und hinein in die aktive Stärkungsphase. Denn das schlechteste, das Sie Ihrem Körper vor sowie nach einer Operation antun können, ist – nichts zu tun und zu denken: Die OP wird’s schon richten.
Arthrose zählt zu den so genannten „burning diseases“, den fünf weltweit häufigsten Krankheiten. Der „Gelenksverschleiß“ geht meist einher mit steifen und schmerzhaften Gelenken und kann im fortgeschrittenen Stadium die Beweglichkeit stark einschränken.
Wir können Arthrose noch nicht heilen, aber das Fortschreiten der Abnutzung mit unterschiedlichen Therapieansätzen verlangsamen. In Österreich werden jährlich rund 35.000 Gelenksprothesen implantiert. Dem OECD Health Statistics (2021) zufolge befinden wir uns im Ranking Top 3 der Knie- und Hüftprothesen-Versorgung. Der Bedarf an innovativen Versorgungsformen steigt immens, was uns erneut zum Herzstück dieser Kolumne führt:
Die Arthrosetherapie 2.0 steht in den Startlöchern und läutet den Beginn einer neuen Ära ein, denn ein Zurück wird es nicht mehr geben. Was wir heute brauchen, sind nebst evidenzbasierten, strukturierten Programmen neue ambulante Reha-Konzepte, die den Menschen von A bis Z begleiten – vom Aufklärungsgespräch bis zum Ziel, das mehrere Namen trägt: „Schmerzfreiheit, Selbständigkeit, Lebensqualität und Nachhaltigkeit“. Internationale Vorbilder verdeutlichen, dass in Österreich in Punkto Arthrosetherapie hoher Aufholbedarf besteht. So beispielsweise in der breitflächigen Implementierung des „fast track surgery“, bzw. „rapid recovery“. Hierbei dreht es sich um ein Konzept, mit dem sich bessere OP-Ergebnisse erzielen lassen und gleichzeitig die Behandlungskosten gesenkt werden (mehr dazu im Rahmen unserer nächsten Ausgaben). Einige Spitäler Österreichs praktizieren dieses Konzept bereits, darunter das Wiener Herz-Jesu Krankenhaus, das Orthopädische Spital Speising sowie das Krankenhaus Barmherzige Schwestern in Ried.
Wie schwer ist es doch, eingefahrene Muster zu hinterfragen und Strukturen zu ändern – sowohl im Gesundheitssystem als auch im Bereich unserer ganz persönlichen Gewohnheiten. Denn auch der Umgang mit dem inneren Schweinehund will gelernt sein. Wir müssen Abschied nehmen von der „die OP wird’s schon richten“-Mentalität. Doch nebst gestärkter Eigenverantwortung und gestärkten Muskeln braucht es vor allem eines: Multiprofessionelle Begleitung, und zwar nicht nur in den OP-Saal hinein.
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