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Social Prescribing: Gesundheit braucht mehr als Medizin

Social Prescribing könnte auch für Österreich interessant sein
© Ludwig Schedl

Social Prescribing: Gesundheit braucht mehr als Medizin

Social Prescribing könnte auch für Österreich interessant sein
© Ludwig Schedl

Social Prescribing, die Einbeziehung sozialer, emotionaler oder praktischer Bedürfnisse als gesundheitsrelevante Faktoren in die Patientenbehandlung, ist in Österreich ein relativ neues Konzept und kommt ursprünglich aus England. Dieser innovative Ansatz könnte jedoch für Österreich relevant sein, vor allem im Zusammenhang mit der Ausweitung der Primärversorgungseinheiten. 

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Carola Bachbauer, BA

Periskop-Redakteurin

Derzeit basieren Gesundheitssysteme – so auch in Österreich – überwiegend auf dem traditionellen Modell der Krankheitsversorgung. Die WHO-Definition von Gesundheit: „Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung“ zeigt jedoch, dass diese mehr ist als die bloße Abwesenheit von Gesundheit und es zu ihrem Erhalt einen ganzheitlichen Ansatz benötigt. Die UN hat diese weitgefasste Beschreibung von Gesundheit 2016 im Rahmen ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) aufgegriffen. Unter Punkt drei hat sie „Gesundheit und Wohlergehen. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“ als Schwerpunkt bis 2030 gesetzt. „Diese WHO-Definition und UN-Forderung zeigen, dass das, was uns gesund hält, viel mehr ist als die Medizin“, erklärt Dr. Miriam Burger, Medizinerin und Gründerin der Expertengruppe Sound Medicine and Health Sciences am World Health Innovation Summit CIC (WHIS).

Um das SDG 3 nachhaltig zu unterstützen, wurde 2021 die Global Social Prescribing Alliance (GSPA) von Gareth Presch gegründet und vom britischen Minister für Gesundheit und Soziales im Jahr 2021 von internationalen Partnern offiziell ins Leben gerufen. Die GSPA ist eine Gruppe von Akteuren, die sich weltweit für die Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels 3 einsetzen.

Die GSPA verfolgt zudem das Ziel, eine globale Arbeitsgruppe zu bilden, die sich der Weiterentwicklung von Social Prescribing durch Förderung, Zusammenarbeit und Innovation widmet. Der zukunftsweisende Ansatz des Social Prescribing beruht auf einer Gesundheitsvorsorge, die auf Prävention, Gesundheitsförderung und auf der Steigerung der Gesundheitskompetenz basiert. „Denn Prävention kann Kosten und Leid ersparen“, hebt Burger hervor.

Sozialmedizinische Rezepte

„Wesentlicher Impuls für Social Prescribing ist die Erkenntnis, dass soziale Bedürfnisse bzw. Belastungen von Patientinnen und Patienten einen wichtigen Einfluss auf deren Gesundheit haben, diese aber in der herkömmlichen Gesundheitsversorgung nur unzureichend adressiert werden“, betont Burger. Die Auswirkungen von nicht-medizinischen Faktoren auf den Gesundheitszustand werden nach wie vor zu wenig vermittelt. Ihrer Meinung nach sollte diesem Aspekt im Rahmen eines präventiven Modells der Gesundheitsversorgung in Zukunft viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Mithilfe des Konzepts von Social Prescribing können Fachkräfte im Gesundheitswesen Patientinnen und Patienten an Social Prescriber verweisen, die oft auch als Link Worker bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um speziell ausgebildete Personen, die als Bindeglied zwischen dem medizinischen und dem nicht-medizinischen Bereich fungieren. Nach der Vorstellung der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) soll keine neue Berufsgruppe als Link Worker entstehen, sondern diese Funktion von bestehenden Gesundheits- und Sozialberufen übernommen werden. Für Social Prescribing Maßnahmen stellen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen des Arztbesuches sogenannte „Social Prescriptions“, „Rezepte“ für sozialmedizinische Interventionen, aus. In einem persönlichen Gespräch erhebt dann der Link Worker mit der Patientin, dem Patienten die sozialen, emotionalen oder praktischen Bedürfnisse und informiert sie oder ihn über das nicht-medizinische Angebot, das zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden zur Verfügung steht. Daraus wird ein Personalised-Care-Plan erstellt. Link Worker übernehmen außerdem eine Managementfunktion– das Management in Community Health. Denn zusätzlich unterstützt der Link Worker die Patientinnen und Patienten bei der Kontaktaufnahme mit den nicht-klinischen Dienstleistungen und vermittelt an die passende Anlaufstelle – möglichst nahe dem Wohnumfeld der betroffenen Person. Dadurch bleiben die Menschen in ihrem Lebensumfeld und werden nicht, wie bei einem Klinikbesuch, aus diesem herausgerissen. Zudem ermöglicht die Auslagerung der sozialmedizinischen Beratung aus dem ärztlichen Betreuungsangebot eine umfangreichere Beratung. „Das Spektrum der dafür zur Verfügung gestellten Angebote ist sehr breit und reicht von vielfältigen, lokalen Gesundheitsförderungsmaßnahmen, Sport- und Bewegungsprogrammen oder Ernährungsberatung über Sozial-, Schuldner-, Arbeits- oder Wohnberatung bis zu Gemeinschaftsaktivitäten wie Seniorentanzen, Wandergruppen oder Nachbarschaftsnetzwerken. Diese sozialen Möglichkeiten können sowohl von freiwilligen Organisationen als auch vom Gemeindesektor angeboten werden“, berichtet die Medizinerin.

Entlastung des medizinischen Sektors

„Social Prescribing hat viele Vorteile. Es reduziert die Einsamkeit, es verleiht Menschen das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und verbessert die geistige sowie körperliche Gesundheit. Zusätzlich werden dadurch Talente gefördert und neue Hobbies entwickeln“, erklärt Burger. Des Weiteren kann Social Prescribing einen Rückgang der Hausarztbesuche, der Anzahl der Patientinnen und Patienten, die die Notaufnahme aufsuchen und somit eine erhebliche finanzielle Entlastung bewirken. Vor allem ältere Leute, die nur wenig soziale Kontakte haben, chronisch sowie psychisch erkrankte Personen oder sozial benachteiligte Menschen, die häufig erschwerten Zugang zu Angeboten haben, können davon profitieren. Durch Social Prescribing wird nicht zuletzt die medizinische Primärversorgungsebene entlastet, da sie weniger mit nicht-medizinischen Problemen konfrontiert wird.

PVEs als Angelpunkt

„Eine Voraussetzung, um Social Prescribing im österreichischen Gesundheitssystem sinnvoll umsetzen zu können, ist die flächendeckende Versorgung mit Primärversorgungseinheiten (PVEs)“, so Burger. Denn diese multidisziplinär aufgestellten Gesundheitseinrichtungen bieten die Möglichkeit auch nicht-medizinische Dienstleistungen wie Sozialarbeit oder Link Worker in ihr Team zu integrieren. Dadurch ist eine ganzheitliche Versorgung der Patientinnen und Patienten leichter möglich. Die konkrete Umsetzung von Social Prescribing befindet sich in Österreich noch am Anfang. Dennoch gibt es bereits Projekte wie „Gesundheitsförderung 21+“, die sich für die Umsetzung und Implementierung in Österreich einsetzen.

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