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Spitals-IT: Umbruch als Chance statt Belastung

Spitals-IT: Umbruch als Chance statt Belastung

Die IT-Infrastruktur in Spitälern kommt aktuell zunehmend in Bedrängnis, denn die schere zwischen modernen Anforderungen und Systemrealität geht immer weiter auseinander. In einem PRAEVENIRE Gipfelgespräch wurden die Herausforderungen, Lösungsansätze und Chancen diskutiert. | von Paul Schnell

Wenn sich ein Platzhirsch unter den IT-Softwareanbietern überraschend aus dem Gesundheitsmarkt zurückzieht, erzeugt das nicht nur in den IT-Abteilungen der Spitäler ein Erdbeben, denn praktisch alle Prozesse der Patientenversorgung sind IT-gestützt und die Gesundheitsversorgung muss reibungslos weitergehen. Was nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hinter den Kulissen passiert, hat weitreichende Implikationen und macht die ohnehin angespannte Lage im Gesundheitswesen noch unsicherer. Es gleicht einer Operation am offenen Herzen, wenn Krankenhausinformationssysteme (KIS) neu ausgeschrieben und der gesamte Betrieb umgestellt werden müssen.

Herausforderungen für die Spitals-IT
Ende 2027 endet der reguläre Support für die SAP-Krankenhaus-Software IS-H und wer die Mühlen in der Gesundheitswirtschaft kennt, der weiß, dass neue Produkte und Lösungen nur langsam ankommen und die gesetzeskonforme Ausschreibung der Systeme schon ein mehrjähriges Projekt ist. Das anschließende Rollout samt Migration der Daten erfordert zusätzlich noch einige Jahre – von Zeit, Geld und Personalressourcen ist hier noch nicht einmal die Rede. Die Rahmenbedingungen dafür sind zudem denkbar ungünstig, wie Mag. Franz Öller, MBA MPH, kaufmännischer Geschäftsführer bei der Gesundheit Burgenland, betont: „Die Systeme sind jetzt schon sehr fragmentiert und wir haben viele Brüche in der Datenweitergabe. Zudem ist der Hype um die künstliche Intelligenz in der Medizin nicht förderlich, denn es gibt kaum einheitliche Konzepte oder Strategien dazu. Es fehlt an der Interoperabilität.“ Künstliche Intelligenz (KI) ist als Schlagwort in aller Munde, jedoch im praktischen Einsatz häufig nur in der Radiologie oder Pathologie zu finden. Eine zusätzliche Belastung ist nach Einschätzung des Experten die Umsetzung der NIS-2-Richtlinie der Europäischen Union zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen Cyberangriffe. „Auch hier haben wir viele Interpretationen und keine einheitlichen Standards.“ Dass der Fachkräftemangel gerade in technischen Berufen die angespannte Lage kaum verbessert, liegt auf der Hand. „Wir hatten schon lange nicht so viele Baustellen in der Spitals-IT“, bringt es Öller auf den Punkt. Robert Bauchiger von der Direktion Medizininformatik und Informationstechnologie (MIT), die den IT-Betrieb aller Einrichtungen der OÖ Gesundheitsholding abwickelt, ergänzt mit einem Einblick in die Spitalspraxis: „Die Migration aus Altsystemen in neue ist unglaublich aufwendig, in einem ersten Schritt ist beim Anwender auch kaum Verbesserung bemerkbar. Wir brauchen Lösungen, um aus den monolithischen proprietär aufgebauten KIS hin zu kleineren vernetzten Applikationen zu kommen.“ Er weist auch auf die großen Herausforderungen des den Fachkräftemangels hin, der bei diesen Projekten häufig vergessen wird: „Wir müssen rekrutieren, ausbilden und die Mitarbeitenden halten.“

Vorbild Deutschland?
Auch wenn die kürzlich verabschiedete Gesundheitsreform mehr Geld für das Spitalswesen vorsieht, so fehlt es doch explizit an der Widmung für die Modernisierung der Infrastruktur. Einmal mehr schielt Österreich fast ein wenig neidisch auf die deutschen Nachbarn, die mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die digitale Transformation der deutschen Krankenhäuser beschleunigen wollen. Ziel der Regelung ist die Modernisierung und Digitalisierung der deutschen Krankenhäuser, um die Versorgungsqualität zu verbessern und die Krankenhäuser zukunftsfähig zu machen. Das Gesetz trat 2020 in Kraft und stellt finanzielle Mittel zur Verfügung, um gezielt in digitale Infrastruktur und moderne Technologien in Krankenhäusern zu investieren. Dazu gehören Projekte wie die Einführung elektronischer Patientenakten, digitale Medizintechnik und verbesserte Kommunikationsstrukturen innerhalb und zwischen Krankenhäusern. Ein zentrales Ziel des KHZG ist die Erhöhung der IT-Sicherheit in Krankenhäusern, um gegen Cyberangriffe gewappnet zu sein und die Datensicherheit zu gewährleisten. Mit dem Gesetz wird auch die Verbesserung der Patientenversorgung in den Fokus gestellt. Dies umfasst unter anderem den Ausbau digitaler Patientenportale, die es Patientinnen und Patienten ermöglichen sollen, auf ihre Daten zuzugreifen, Termine online zu vereinbaren oder Videokonsultationen zu nutzen. „Ein SpitalsDigital-Monitor würde auch helfen, die erforderliche Transparenz herzustellen und einen Überblick über den Stand der Digitalisierung in der Gesundheitslandschaft zu erhalten“, ist Dr. Franz Leisch, Chief Digital Office im Verein PRAEVENIRE und Moderator des Gipfelgesprächs, überzeugt.

Digitalisierung – aber richtig!
„Alles, was im Spital nicht mehr analog gemacht werden muss, sorgt für die dringend nötige Entlastung von Ärztinnen und Ärzten. In den meisten Spitälern erfüllt die IT aber nicht das, was sich die Mitarbeitenden erwarten, sondern stellt eine zusätzliche Arbeitsbelastung dar. Wir stehen gerne mit unserer Expertise bereit, um Digitalisierung zu pushen und nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der Ärztinnen und Ärzte weiterzuentwickeln, damit es zu einer echten Entlastung im Arbeitsalltag kommt“, sagt Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Besonders wichtig ist ihm die Vernetzung von extra- und intramuralem Bereich, denn: „Es darf im 21. Jahrhundert nicht mehr sein, dass CDs oder DVDs mit Daten per Post oder Taxi verschickt werden.“ Daher fordert die Österreichische Ärztekammer eine umfassende, funktionierende Digitalisierungsoffensive mit Investitionen in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur. „Wir brauchen eine E-Health-Milliarde zum flächendeckenden Ausbau von zentralen Komponenten, Breitbandnetzen und Anwendersoftware als Basis für den Einsatz von Telemedizin“, so Mayer.

Zeitgemäße Anforderungen erfüllen
Es sind nicht nur die technischen oder kaufmännischen Abteilungen in einem Spital, die davon profitieren, wenn die IT zeitgemäßen Anforderungen angepasst wird und die Leistungserstellung sinnvoll unterstützt. „Wir wollen die Leistungen der Pflege abbilden, Informationsbrüche verhindern und die Daten den Betroffenen mit auf den Weg geben. Eine Patienten Summary ist derzeit in Diskussion und ebenso die Klassifikation im extramuralen Setting. Beides muss in ein System, das jetzt neu geplant wird, bereits integriert sein“, fordert Mag. Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. Auch Prof. (FH) Mona Dür, PhD, MSc., Geschäftsführerin von Duervation und Beraterin zu Digitalisierungsthemen, ist überzeugt, dass die Modernisierung des Spitalswesens nicht ohne IT möglich ist. „Wollen wir digital vor ambulant vor stationär umsetzten, müssen wir genau hier anfangen und alle Stakeholder einbringen. Die Gesundheitsversorgung darf nicht entlang von Finanzströmen laufen, sondern muss die Patientenströme adressieren“, sagt Dür. Sie sieht in der Neuausschreibung der IT daher auch gute Chancen, die Modernisierung voranzutreiben: „Alte Systeme nur stückweise zu verbessern hilft nicht, die Prozesse neu zu denken. Wir brauchen eine klare Strategie mit einem Zeitplan und auch den finanziellen Mitteln“, so Dür. Für die Expertin ist die aktuelle Digitalisierungsdebatte im Gesundheitswesen noch zu unklar, um handlungsanleitend zu sein oder gar einen positiven Impact für die aktuellen Herausforderungen zu haben.

Im Mittelpunkt der Mensch
Für Patientinnen und Patienten ist die Spitals-IT im besten Fall nicht sichtbar, denn im Vordergrund stehen die erfolgreiche Behandlung und die Kommunikation. Ein Monitoringsystem zur Spitals-IT, ähnlich dem deutschen Vorbild, erachten auch Patientenvertretungen als sinnvoll, denn das fördert die Transparenz. „Was die Betroffenen aber dringend benötigen, ist der Zugang zu ihren Daten, und hier kommt die IT ins Spiel“, sagt Mag. (FH) Sabine Röhrenbacher, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Selbsthilfe Österreich. Auch künstliche Intelligenz kann den Behandlungsprozess unterstützen und verbessern, doch fordert Röhrenbacher, dass am Ende die Entscheidungshoheit und die Kontrollinstanz immer bei den Menschen liegen müssen.

„Patientinnen und Patienten müssen im Mittelpunkt stehen“, fordert auch Herwig Loidl, Sprecher, e-Health Arbeitskreis der Wirtschaftskammer Österreich der Fachgruppe Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie sowie Vorstand von IHE Austria, dem Verein zur Förderung der IT- und Medizintechnik. Wie in allen Industrien ist die IT ein gewachsenes System, doch im Gesundheitswesen überholt die aktuelle Dynamik diesen Entwicklungsprozess bei Weitem. Auch er fordert dringend die Interoperabilität, um den Datenaustausch zu gewährleisten und Abhängigkeiten zu reduzieren. Sein Wunsch wäre, dass Spitäler gemeinsam an Innovationen arbeiten und dann auch das Rollout gemeinsam übernehmen. „Der Datenschutz oder die Usability werden oft nur vorgeschoben, um Innovationen auszubremsen“, ist Loidl überzeugt.

Interoperabilität als größte Hürde Andreas Diensthuber, Co-Founder und Managing Director von DAPHOS, sieht den Grund für das Scheitern vieler Spitalsprojekte im deutschsprachigen Raum ebenfalls im IT-Bereich: „Es fehlen die Interoperabilität und die Bereitschaft der Hersteller, ihre Systeme zu modernisieren. Wir arbeiten mit steinalten Programmen und versuchen dann, dort moderne Spitalsabläufe abzubilden. Das klappt einfach nicht.“ Sein Vorschlag wäre, bei der Auftragsvergabe und bei Förderungen nur jene zum Zug kommen zu lassen, die sich auch zu offenen Schnittstellen verpflichten. „Damit verhindern wir, dass wieder ein Monopolist den Markt beherrscht, und gleichzeitig wäre eine Standardisierung möglich, die Gesundheitseinrichtungen längst fordern.“ Die IT-Landschaft ist extrem fragmentiert und überaltert. Anbieter versprechen viel, können es aber nicht halten und viele Spitäler durchlaufen daher bereits zum zweiten Mal einen Ausschreibungsprozess – in Zeiten angespannter Ressourcen ein undenkbarer Ansatz. „Wir verbauen uns jetzt schon den Innovationsschub, den KI bringen kann, weil die IT-Systeme nicht darauf zugeschnitten sind. Von einer Entlastung des Personals sind wir in der Praxis auch noch weit entfernt“, sagt Diensthuber und fordert raschgemeinsame Anstrengungen zur Entwicklung agiler, interoperabler Systeme, die Österreich auch im Export dieses Know-hows in Europa auf eine Spitzenposition bringen könnte. Dür setzt ebenfalls hier an und betont, dass die Anforderungen der Userinnen und User nicht aus den Augen gelassen werden dürfen und meint, damit auch rasch an ein Ziel zu kommen. „Wir müssen in die Realität der Anwendenden gehen und ein Innovationsökosystem im Spital groß denken. Aktuell fokussieren wir uns auf einzelne Anforderungen und Details, das bringt uns nicht weiter.“

Eine gemeinsame Sprache sprechen
„Spitäler nutzen das Potenzial des Technologiefortschritts nur zu einem kleinen Bruchteil, weil ihre digitale Maturität gering ist. Wer Letzteres nicht verbessert, wird nur marginal vorwärts kommen und viel Geld und noch viel mehr Zeit für wenig Nutzen einsetzen“, ergänzt Prof. DI Dr. Reinhard Riedl, E-Health Experte, und betont: „Die Spitals-IT folgt oft noch der Logik der Welt von gestern. Aus der internationalen Forschung und unserer eigenen Zusammenarbeit mit der Praxis wissen wir, dass es eine Hand voll Schlüsselfaktoren für digitale Maturität gibt. Diese sind zwar stark technischer Natur, aber sie können nur umgesetzt werden, wenn im nicht-technischen Bereich modern und zukunftsorientiert gedacht wird. Wer an der Welt von gestern klebt, der bekommt auch die IT von gestern.“ Diese Schlüsselfaktoren für hohe digitale Maturität sind die Orientierung aller Maßnahmen am Nutzen für Patientinnen und Patienten und der Mitarbeitenden. Als weiterführende Strategie fordert Riedl eine konstruktive Stärkung der Rechenschaftspflicht, die Professionalisierung aller Innovationsvorhaben über eine Innovationsplattform und die weitgehende Öffnung für Kooperation mit externen Partnern. „Hohe IT-Maturität lässt sich nur durch einen Perspektivenwandel umsetzen, der von oben und von unten kommt. Dazu müssen Führungsverantwortliche die Rolle und die Sprache der IT auf strategischer Ebene verstehen und die IT-Abteilung umgekehrt auch strategisch verständlich kommunizieren. Ohne gemeinsame Sprache bleiben wir digital rückständig.“ Öller sieht die Herausforderungen am Ende realistisch: „Wir können nicht forschen oder mutig ausprobieren und uns viele Umwege erlauben. Dazu fehlen Zeit und Geld und auch das Personal. Wir haben täglich die Spitäler am Laufen zu halten und müssen uns auf den aktuellen Nutzen konzentrieren. Hier sind wir leider gezwungen, uns auf etablierte Systeme zu verlassen und können uns nicht zukünftigen Visionen hingeben.“ Er ist überzeugt, dass die Änderungen der KIS zwangsläufig auch massive organisatorische Veränderungen mit sich bringen werden, die derzeit nur ansatzweise absehbar sind. Fest steht, dass die IT sich – nahezu unbemerkt – zum Veränderungstreiber und Begleiter im Gesundheitswesen entwickelt hat.

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