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Sport ist Kitt unserer Gesellschaft

© PETER PROVAZNIK

Sport ist Kitt unserer Gesellschaft

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Mag. Werner Koglerist Österreichs erster Grüner Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Er sieht seine Aufgabe als Sportminister darin, möglichst viele Menschen in Bewegung zu bringen und Österreichs Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern den Weg zum Erfolg zu ebnen. | von Mag. Petra Hafner

Sportminister Mag. Werner Kogler will Menschen den Einstieg in den Sport so leicht wie möglich machen. Wie das gelingen kann, stellt er im PERISKOP-Interview dar.

PERIKSOP: Im Regierungsprogramm wird Sport als wertvolle Investition für eine positive Entwicklung unserer Gesellschaft und als unverzichtbarer Beitrag zum Zusammenleben bezeichnet. Welche zentralen Maßnahmen wollen Sie setzen, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

KOGLER:Die zentrale Maßnahme, der alles andere unterzuordnen ist, heißt: Möglichst viele Menschen zu bewegen, zum Sport zu bringen, in die Vereine, in die Fitnessstudios, auf die Laufstrecken und Mountainbike-Trails. Sport ist eine Lebensschule, so lehr- und facettenreich wie kaum ein anderer Bereich des menschlichen Zusammenlebens. Er ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Social Media. Er lehrt, Respekt zu haben vor jedem Individuum, vor anderen Kulturen, Religionen, Werten und leistet Unschätzbares in der Inklusion und Integration von sozialen Randgruppen. Somit ist Sport so etwas wie der Kitt unserer Gesellschaft. Vom Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden gar nicht zu reden! Man glaubt es eigentlich kaum, aber in diesem Bereich haben wir enormen Aufholbedarf. Eine Erhebung von Eurostat belegt, dass Österreich, was die Lebenserwartung anbelangt, im europäischen Vergleich im Spitzenfeld liegt. Wenn man aber die gesund verbrachten Lebensjahre betrachtet, „grundeln“ wir im hintersten Viertel herum. Die Gretchenfrage muss also lauten: Wie bringt man möglichst viele Menschen zum Sport? Indem man ihnen den Einstieg so leicht wie möglich macht. Der Bogen unserer Vorhaben spannt sich von einem Sportstättenentwicklungsprogramm über Schwimmkurse für alle, den Ausbau der Sportwochen und Skikurse, die Förderung von Trendsportarten und ein Konzept zur Förderung von Bewegung am Arbeitsplatz bis hin zur Aufwertung des Ehrenamtes.

Ein Blick nach Norwegen oder Schweden macht deutlich, dass Sport — insbesondere die Sportausübung in einer intakten Umwelt — dort einen ganz anderen Stellenwert hat.

Sie sind Österreichs erster grüner Sport-minister. Welche Akzente sind Ihnen wichtig, um eine grüne Handschrift zu erkennen?

Mir ist jeder Akzent wichtig, der die Österreicherinnen und Österreicher in Bewegung bringt, sie motiviert, Wegstrecken zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf jedem anderen Gefährt, das mit Muskelkraft betrieben wird, zurückzulegen. Natürlich auch aus ökologischer Sicht. Klarerweise steht die Ressourcenschonung bei all unseren Überlegungen ganz oben auf der Prioritätenliste. Im Spitzensport, aber auch im Breitensport, wollen wir Sportveranstaltungen forcieren, die in puncto Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Mobilität den Ansprüchen von Green Event Austria genügen. Wer uns kennt, weiß, dass wir für Transparenz stehen. Diese Transparenz soll in allen Gremien sportlicher Institutionen ausgebaut werden. Wir werden auch alles dafür tun, um das inklusive und integrative Potenzial des Sports stärker zu nützen, um Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund stärker ins gesellschaftliche Leben einzubinden. Und wir wollen im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit neue Maßstäbe setzen. Diese grüne Handschrift wird man bei allen sportpolitischen Maßnahmen, bei denen es Sinn ergibt, erkennen können.

Wir wissen, dass Sport und Bewegung einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben. Wo sehen Sie als Sportminister die Verbindung und welche Prioritäten gibt es dabei aus Ihrer Sicht?

Ich sehe die Verbindung in jeder Studie, die das Thema untersucht. Otmar Weiß und andere haben 2013 für die Universität Wien errechnet, dass sportliche Aktivität die Ausgaben im Gesundheitsbereich jährlich um 712 Mio. Euro senkt. Da sind die Kosten für Sportunfälle und -verletzungen schon gegengerechnet. Andererseits kostet uns körperliche Inaktivität über Gesundheitskosten, Erwerbs-unfähigkeit und Produktivitätsentgang zwischen 1,6 und 2,4 Mrd. Euro jährlich. Ein Blick nach Norwegen oder Schweden macht deutlich, dass Sport — insbesondere die Sport-ausübung in einer intakten Umwelt — dort einen ganz anderen Stellenwert hat. Sport ist in weiten Teilen Skandinaviens ein lebenslanger Begleiter, von der Wiege bis zur Bahre, wenn man so will. Mit dem Effekt, dass diese Länder in Sachen gesunde Lebensjahre weltweit an der Spitze stehen.

Um gesund zu bleiben, ist nicht nur richtige Ernährung, sondern auch ausreichend Bewegung wesentlich. Die tägliche Bewegungseinheit für Kinder und Jugendliche an unseren Schulen ist eine langjährige Forderung. Wie wollen Sie diese umsetzen?

Unser Anspruch muss sein, für Kinder und Jugendliche die von der WHO herausgegebene Empfehlung von einer Stunde Bewegung pro Tag zu erreichen, im Idealfall zu übertreffen. Nachdem diese Empfehlung durch das veränderte Freizeitverhalten der letzten ein, zwei Jahrzehnte kaum mehr auf „natürlichem“ Weg zu realisieren ist, sind die Kindergärten und Schulen gefordert. Deshalb steht die Umsetzung der im Juli 2019 im Nationalrat einstimmig beschlossenen „täglichen Sport- und Bewegungseinheit“ auch im Programm dieser Bundesregierung. Wie wir sie umzusetzen gedenken? Mit vereinten Kräften, anders wird’s nicht gehen. Das Bildungsministerium, die Bundesländer und Gemeinden müssen sich dazu bekennen, das Projekt mit uns über die Ziellinie tragen zu wollen. Wobei wir uns wohl von der Vorstellung lösen müssen, dass zwingend fünf Turnstunden in einem Turnsaal stattzufinden haben. Für Kindergärten und Volksschulen wurde die „tägliche Bewegungs- und Sporteinheit“ heuer mit dem Projekt„Kinder gesund bewegen“ verschmolzen. Kindergärten und Volksschulen können aus zwei Modulen wählen. Die Variante „Fix“ entspricht einer zusätzlichen Sport- und Bewegungseinheit pro Woche. Zwei fünfminütige Bewegungsinterventionen zur Aktivierung, Entspannung oder Koordinationsschulung in der Klasse pro Tag ergeben ebenso 50 Minuten und somit eine weitere Bewegungseinheit. Unser Ziel ist es, dieses oder ein ähnliches Modell für die Sekundarstufe I und II auszurollen. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Es wird beträchtlicher — auch finanzieller — Anstrengungen bedürfen, um die tägliche Bewegungs- und Sporteinheit lückenlos umzusetzen.

Gibt es weitere Maßnahmen, die Ihnen für diese Altersgruppe wichtig sind?

Absolut. Wir brauchen die ganzjährige Öffnung von öffentlich finanzierten Sportflächen, insbesondere der Schulturnsäle, an allen unterrichtsfreien Tagen. Das gebietet nicht nur die Vernunft, weil ein Mehr an Kapazität mehr Chancen zur Sportausübung bedingt, das gebietet auch das ökonomisch-rationale Kalkül, vorhandene Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Was sich hier an sinnstiftender Ferienbetreuung ergeben kann, entlastet zusätzlich auch viele Eltern.

Die Förderung von Prävention in allen Lebensbereichen spielt eine wichtige Rolle. Welchen Beitrag kann die öffentliche Hand leisten?

Die öffentliche Hand, spezifischer das Gesundheitsressort, kann Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen mittels nationaler Strategien und Aktionspläne koordinieren und Plattformen schaffen, die den Austausch aller Betroffenen miteinander fördern. Etwa in Form der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz, der nationalen Strategie „Gesundheit im Betrieb“ etc. Sie kann selbst Vorbild sein und Maßnahmen im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements durchführen, aber auch Anreize setzen und Anerkennung in Form von Preisverleihungen aussprechen. Es braucht aber vor allem auch das nötige Gesundheitsbewusstsein, die Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, um Risikofaktoren zu verringern, die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes und Krebs mitverursachen. Darüber hinaus setzen die Gesundheitsziele Österreich im Bereich unterstützender Rahmenbedingungen an, damit die Menschen im Land mehr Lebensjahre bei guter Gesundheit verbringen können.

Jede Investition in Prävention spart ein Vielfaches an Kosten. Wie können Prävention und sportliche Betätigung bei Erwachsenen  auch am Arbeitsplatz  gefördert werden? 

Erfolgreiche Gesundheitsförderung und Prävention erreichen die Menschen über zwei Kanäle: Einerseits über die Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz. Andererseits müssen die Rahmenbedingungen in den jeweiligen Lebenswelten so gestaltet werden, dass die gesündere Wahl automatisch die leichtere wird. Bewegung am Arbeitsplatz kann schon am Weg von und zur Arbeit unterstützt werden, beispielsweise durch die Bereitstellung von gesicherten Fahrradabstellplätzen und entsprechenden Sanitäranlagen. Wichtig ist die Niederschwelligkeit und Alltagstauglichkeit der Maßnahmen — Treppe statt Lift, eine Station früher aussteigen und zu Fuß gehen. Dafür braucht es weder spezielle Ausrüstung noch Geräte. Zudem schont die aktive Mobilität die Umwelt — eine Win-Win-Situation. Selbstverständlich rechnen sich auch betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Mehr Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten nützen den Unternehmen und spiegeln sich in einer Verbesserung der unterschiedlichsten betrieblichen Kennzahlen wider. Return-on-Investment-Auswertungen belegen die positiven Effekte.

Die Aufgabe der Sportpolitik ist, möglichst viele Menschen in Bewegung zu bringen und unseren Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern den Weg zum Erfolg zu ebnen.
Werner Kogler

Österreich bezeichnet sich gerne als Sportnation. Was braucht es, dass der Breitensport  aber vor allem der Spitzensport  entsprechende Rahmenbedingungen vorfindet?

Die Aufgabe der Sportpolitik ist, möglichst viele Menschen in Bewegung zu bringen und unseren Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern den Weg zum Erfolg zu ebnen. Eine kluge Spitzensportförderung zielt aber nicht nur darauf ab, dass eine Athletin oder ein Athlet in der Lage ist, dreimal im Jahr auf Trainingslager fahren zu können, sozial abgesichert ist und eine Berufsausbildung absolvieren kann — fast noch wichtiger ist das Schaffen und Entwickeln von Strukturen, die ganzen Generationen von Hochleistungssportlerinnen und -sportlern zugutekommen. Das reicht von einem durchdachten Sportstättenkonzept bis zur Ausbildung von Trainerinnen und Trainern, von Investitionen in Sportmedizin- und -psychologie bis zur Optimierung von Leistungszentren.

Die Gleichstellung im Sport ist Ihnen ein Anliegen. Welche Schritte müssen dafür gesetzt werden?

Ein weiteres zentrales Thema für die Grünen, das im Regierungsprogramm seinen Niederschlag gefunden hat ist, dass wir die Förderung des Mädchen- und Frauensports im Bundes-Sportförderungsgesetz und die Entwicklung wirkungsvoller Förderprogramme wollen. Genauso setzen wir uns für gleiche Gehälter und Preisgelder bei gleicher Leistung und die Erhöhung des Frauenanteils auf 50 Prozent in den Gremien der Bundes-Sportförderung ein. Zudem werden wir umfangreiche Maßnahmen zur Prävention von Machtmissbrauch und sexueller Gewalt im Sport auf den Weg bringen, hier wollen wir eng mit dem Verein 100 Prozent Sport kooperieren.

Eine persönliche Frage noch zum Schluss: Wie viel Zeit bleibt Ihnen als Vizekanzler und Sportminister, um aktiv Sport zu betreiben? 

Naturgemäß zu wenig. Aber ich arbeite daran, fasse ernsthaft ins Auge, ein Ergometer im Ministerbüro zu platzieren. Außerdem befindet sich der Prater in unmittelbarer Nähe des Ministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Zwischendurch eine kleine Radtour oder Laufrunde vom Büro aus einzustreuen, hätte schon seinen Reiz. Aber alles mit Maß und Ziel, von meiner Zeit als Fußballer ist mir ein lädiertes Knie als Andenken geblieben.

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Mag. Werner Kogler studierte Volkswirtschaftslehre sowie Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz. Seine politische Laufbahn begann der gebürtige Steirer bereits mit 20 Jahren als Gründungsmitglied der Alternativen Liste Graz. Kogler wirkte bei verschiedenen Forschungsprojekten der theoretischen und angewandten Umweltökonomie mit, bevor er 1994 im Grünen Parlamentsklub Angestellter und Mitglied der Klubgeschäftsführung wurde und von 1999 bis 2017 Abgeordneter zum Nationalrat war. Anschließend übernahm er die Funktion des Bundessprechers der Grünen, seit Jänner 2020 ist Kogler Vizekanzler der Republik Österreich und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

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