Sportverletzungen können den Gesundheitseffekt von Bewegung ebenso zunichte machen wie unerkannte kardiologische Anomalien. Mögliche Präventionsstrategien zur dahingehenden Risikominimierung standen im Fokus der 7. PRAEVENIRE Gesundheitstage in Seitenstetten. | von Mag. Sylvia Neubauer
Der positive Einfluss von sportlicher Aktivität auf den menschlichen Organismus ist in zahlreichen epidemiologischen Studien hinreichend dokumentiert. In der Gesamtgesundheitsbetrachtung gehen 40 bis 50 Prozent dieser Benefits durch Sportverletzungen verloren – darauf machte Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, MSc, Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin an der Donau Universität Krems aufmerksam: Er akzentuierte die Notwendigkeit einer adäquaten Verletzungsprophylaxe. Nicht nur die Gelenke sind durch sportliche Aktivität beansprucht, auch das Herz-Kreislaufsystem ist unter erhöhter, körperlicher Belastung gefordert. Sportmedizinische Untersuchungen können das Risiko eines plötzlichen Herztods bei Sportlerinnen und Sportlern signifikant senken, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation in seiner Keynote. Vor allem aber ist Inaktivität mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert: Weltweit sterben jährlich 5,1 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Demgegenüber stehen 5,3 Millionen Mortalitätsfälle, die auf Bewegungsmangel zurückgehen. Von einer Pandemie der Inaktiven sprach Dr. Eva Adamer-König: Die Institutsleiterin für Gesundheits- und Tourismusmanagement am FH Joanneum Campus Bad Gleichenberg präsentierte Möglichkeiten zur Bewegungsförderung inaktiver Erwachsene.
Hohes Verletzungsrisiko bei Kontaktsportarten
Rund 200.000 Sportunfälle ereignen sich pro Jahr in Österreich – am öftesten im Alpinen
Skilauf, gefolgt vom Fußball. Jede Sportart beinhaltet dabei ihr eigenes Risikoprofil – mit unterschiedlichen Verletzungsschwerpunkten. Als ein typischer Verletzungsmechanismus
gilt der mediale Kollaps, eine Kombination aus Becken- und Beinachseninstabilität. Problematisch sind hier vor allem „High Impact“-Sportarten – also solche, die mit
dynamischer Belastung und schnellen Richtungswechseln einhergehen. Laut Nehrer betreffen die häufigsten Verletzungen die unteren Extremitäten und dort vor allem das Sprunggelenk und das Kniegelenk. Gefürchtet sind Rupturen der Kreuzbänder, insbesondere des vorderen Kreuzbandes, die in der Regel dann auftreten, wenn hohe Geschwindigkeiten auf starke Kraftbelastungen treffen. Dass Kreuzbandverletzungen kein Einzelschicksal darstellen, zeigt die hohe Verletzungsinzidenz – exemplarisch am Beispiel von Fußball aufgezeigt: „Fußball ist mit 200.000 Profi – und 240 Millionen Amateurspielerinnen und -spielern weltweit die populärste Sportart“, stellte der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention die Anzahl aktiver Spielerinnen und Spieler in Relation zu den Kreuzbandverletzungen, die sich pro Jahr ereignen würden – fünf Millionen seien es konkret. „Die auf solch eine Verletzung folgenden Wochen und Monate sind vielfach von langwieriger Rehabilitation und langen Ausfallzeiten geprägt“, so der Facharzt für Sportorthopädie.
Präventionsstrategien sind gefragt - auch im Freizeitsport
Profisportverbände wie die FIFA hätten auf diese Problematik bereits früh reagiert – mit
altersadaptierten Präventionsprogrammen:
„Gezieltes propriozeptives sowie muskelkräftigendes Training kann dazu beitragen, einem medialen Kollaps respektive anderen Instabilitäten vorzubeugen“, betonte Nehrer. Dass Programme wie diese wirksam sind, beruht auf Evidenz: Das Risiko einer Fußball-assoziierten Verletzung an den unteren Extremitäten kann durch adäquate Verletzungsprophylaxe um 50 Prozent reduziert werden.
„Die Verletzungsmuster im Profisport gleichen jenen im Freizeitsport“, wusste der Orthopäde. Entsprechend gelte es, Präventionsstrategien auf breiter Ebene, sprich in sämtlichen Sportdisziplinen wie Volleyball, Basketball etc. zu implementieren. Dazu müsse man nicht
nur ein Bewusstsein für das Problem schaffen, es sei auch eine systematische Verletzungserhebung erforderlich. „Man muss sich anschauen, wie Verletzungen überhaupt zustande kommen“, sah Nehrer die dahingehende Analyse als Grundlage für die Konzeption von Gegenstrategien an. „Präventionswissen sollte Menschen bereits in jungen Jahren vermittelt
werden, zum Beispiel in Form von entsprechenden schulischen Maßnahmen“, verwies er auf den hohen Stellenwert einer Frühintervention. Diese sei auch von Bedeutung, um frühzeitigen arthrotischen Veränderungen im Gelenksknorpel – oft eine Folge von langjähriger Über- und Fehlbelastung – entgegenzuwirken.
Sportmedizinisches Screening gegen plötzlichen Herztod
Verglichen mit inaktiven Personen haben sportlich aktive Menschen ein geringeres
Mortalitätsrisiko. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Regelmäßige Bewegung senkt den systolischen/diastolischen Blutdruck, verbessert das Lipidprofil und reduziert die Anzahl der kleinen atherogenen LDL-Partikel – das Risiko einer Arteriosklerose ist dadurch vermindert. „Die Wahrscheinlichkeit einer kardiovaskulären Erkrankung ist bei fitten Menschen um 40 Prozent niedriger als bei passiven Personen“, unterstrich Niebauer die förderlichen Aspekte von Bewegung in Zahlen. Auch in der Prävention von Diabetes spielt Sport eine große Rolle. Körperliche Aktivität aktiviert einen insulinunabhängigen Mechanismus, mit dem die Körperzellen Glukose besser aus dem Blut aufnehmen können – die Insulinsensitivität steigt.
Dennoch: „Sport ist auch ein Trigger für Herzinfarkt und plötzlichen Herztod“, nannte der Kardiologe einen – wenngleich selten vorkommenden – Risikofaktor. Zwischen 0,7 und 3,0 Todesfälle kommen auf 100.000 Sporttreibende pro Jahr. In nahezu allen Fällen liegt dem plötzlichen Herztod eine unerkannte Herzerkrankung zugrunde, zum Beispiel eine Myokarditis oder eine koronare Herzkrankheit. „36 von 37 Menschen unter 35 Jahren, die an plötzlichem Herztod verstarben, wurden vorher nicht untersucht“, sprach der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von der eigentlichen Tragödie. Verpflichtende sportmedizinische Untersuchungen könnten das Mortalitätsrisiko bei Sportlern deutlich senken, berief er sich auf eine Untersuchung aus Italien. „Bis zu 66 Prozent jener Pathologien, die dem Herztod zugrunde liegen, hätten im EKG erkannt werden können“, so Niebauer. In Österreich
gäbe es jedoch keine standardisierten Bestimmungen. „Die Sportverbände legen selbst fest, ob sportmedizinische Untersuchungen vorgesehen sind und bestimmen deren Inhalte“, sagte der Sportmediziner. Sinnvoll wäre es allerdings, einheitlich sportmedizinische Screenings anzubieten – etwa vor Sportveranstaltungen wie Marathons.
Bewegungsförderung von inaktiven Erwachsenen
Die WHO empfiehlt 150 bis 300 Minuten moderaten bzw. 75 bis 150 Minuten intensiven
Sport, verteilt auf drei bis sieben Tage zu betreiben. „76,4 Prozent der Erwachsenen erfüllen diese Empfehlung nicht“, bemängelte Dr. Adamer-König die fehlende Bewegungsaffinität von Menschen im Allgemeinen, unabhängig von deren Geschlecht. Diesem Missstand wollte man
am Institut für Gesundheits- und Tourismusmanagement entgegenwirken: „Einerseits galt es zu eruieren, welche Interventionen notwendig sind, um Bewegungsanreize zu schaff en. Andererseits musste ein Weg gefunden werden, um inaktive Menschen zu rekrutieren“, beschrieb die Institutsleiterin die Ausgangssituation. Damit eine Person sportlich aktiv ist, braucht es Bewegungskompetenz – „Physical Literacy“, sprich die Motivation, das Vertrauen, das Wissen und das Verstehen, um einen körperlich aktiven Lebensstil lebenslang auszuführen und zu bewerten. Ausgehend von diesem jungen Konzept hat ein Forschungsteam am FH Joanneum Campus Bad Gleichenberg ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, das vom Gesundheitsfond Steiermark finanziert wurde. Ziel dabei war es, dass Menschen durch Förderung der Physical Literacy individuelle Kompetenzen zur Initiierung und Aufrechterhaltung körperlicher Aktivität entwickeln. Vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher zumindest einmal im Jahr ein/n eine Allgemeinmedizinerin oder einen Allgemeinmediziner aufsuchen, wurden „körperlich inaktive Erwachsene in Primärversorgungseinrichtungen identifiziert und zur Teilnahme an dem Programm motiviert“, klassifizierte Adamer-König Hausärztinnen und Hausärzte als gute Bewegungsinitiatoren.
Die Intervention selbst bestand aus insgesamt 15 Einheiten zu je 60 Minuten mit Fokus auf
Krafttraining. „Ergebnisevaluierung mittels nicht-randomisierten kontrollierten Versuchen zeigten signifikante Verbesserungen der Physical Literacy bei der Mehrheit der Teilnehmenden“, zeigte sich die Studienlehrgangsleiterin erfreut. Seit 2021 wird das Projekt in der Steiermark in vier Primärinterventionszentren umgesetzt.
Temporärer Rauchstopp reduziert postoperative Risiken
Toxische Substanzen aus dem Tabakrauch beeinflussen nicht nur normale physiologische Vorgänge in der Lunge und im Herz-Kreislaufsystem, sondern sie beeinträchtigen auch die Wundheilung und wirken sich negativ auf den Erfolg von Operationen aus. „Durch Rauchen ist die Komplikationsrate bei orthopädischen und unfallchirurgischen Operationen um bis zum Fünffachen erhöht“, gab Univ. Prof. Dr. Nikolaus Böhler, emeritierter Vorstand der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie am Kepler Universitätsklinikum zu bedenken. Bei den recht häufigen Sehnenrissoperationen im Schulterbereich bestünde eine Rerupturrate von 28 Prozent gegenüber fünf Prozent bei Nichtraucherinnen und Nichtraucher, im Bereich der Hüft, Knie- und Schulterendoprothetik sei die Wahrscheinlichkeit tiefer Infektionen, die praktisch immer einen Prothesenaustausch notwendig machen würden, um das 2,3-fache erhöht.
„Cyanwasserstoff stört den zellulären Oxidationsprozess“, erklärte Böhler die schädigende
Wirkungsweise des Rauchens: „Kohlenmonoxide erschweren den Sauerstofftransport der
Erythrozyten und die Mikrozirkulation in den Endgefäßen.“ Eine Rauchpause von vier bis
sechs Wochen präoperativ bei Planoperationen und sechs Wochen nach einer Operation
könne den CO-Spiegel rasch minimieren und damit die Komplikationsrate bezüglich Infektionen und Gewebeheilung um ca. 50 Prozent verbessern. „Als erfreulicher Nebeneffekt ist zu erwähnen, dass von den Patientinnen und Patienten, die sich zu einem derartigen Rauchstopp entschlossen haben, 20 bis 30 Prozent dauerhaft das Rauchen beenden“, so Böhler.
Eine Frage der Haltung – präventive Aspekte in der Orthopädie
„Kinder- und Jugendorthopädie bedeutet an sich schon Prävention“, sagte Univ.-Prof. Dr. Catharina Chiari, MSc, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie
und orthopädische Chirurgie. Das „orthopädische Bäumchen“ als Symbol der Kinderorthopädie also ein „junges Bäumchen, das noch biegsam ist“, sei hier höchst zutreffend. Es gelte, Fehlstellungen sowie Fehlhaltungen des Bewegungsapparats bereits in jungen Jahren zu erkennen und entsprechend zu therapieren. „Langfristig lassen sich auf diese Weise Arthrosen und spätere Wirbelsäulendegenerationen verhindern“, so die leitende Oberärztin an der Universitätsklinik für Orthopädie Wien.
Ein kindlicher Organismus unterscheidet sich wesentlich von dem eines Erwachsenen. Im
Laufe des Wachstums können im Bereich des Bewegungsapparats Beschwerden auftreten.
In den meisten Fällen handelt es sich dabei um vorübergehende Symptome im Rahmen
eines physiologischen Reifungsprozesses. „In den ersten Lebensjahren eines Kindes sind
O-Beine normal“, nannte Chiari ein Beispiel dafür: „Mit elf Jahren sollte die Beinachse
allerdings gerade sein.“ Um späteren Knorpelschäden vorzubeugen, müssten Achsabweichungen operativ korrigiert werden. Manche Operationsmethoden sind von den restlichen Wachstumsreserven der kleinen Patientinnen und Patienten abhängig: „Eine Arthrorise bei
therapieresistentem, idiopathischem Knicksenkfuß muss zwischen dem elften und dreizehnten Lebensjahr erfolgen“, erklärte Chiari das Einhalten bestimmter Zeitfenster als erfolgsbestimmend. Dieser Eingriff dient der Korrektur des hyperpronierten Fußes durch Stabilisierung des Subtalargelenks.
Die Hüftsonografie nach Graf stellt heute den Goldstandard zur sicheren Frühdiagnose von Hüftreifungsstörungen dar. Der durch dieses Screening erreichte Fortschritt manifestiert sich in der weltweit niedrigsten Rate an offenen Repositionen in Österreich und in Deutschland. Neben dieser, im Rahmen des Mutter-Kind-Pass-Programms vorgesehenen Ultraschalluntersuchung, sind weitere Kontrollen in Zeiten früher Skelettreife ratsam. Ob sich aus einer harmlosen Normvariante, Formveränderung oder Haltungsschwäche eine orthopädische Erkrankung entwickeln könne, ließe sich letztendlich nur durch eine systemische Untersuchung beurteilen: „Sinnvoll sind solche jeweils ab Gehbeginn, ab Schulbeginn und in der Adoleszenz – bei Mädchen mit 11 Jahren, bei Buben mit 13 Jahren“, machte Chiara Angaben zu dahingehend erforderlichen Kontrollintervallen.
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