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Starke Stimme für Patientenrechte

Michaela Wlattnig
© FIEDLERPHOTO

Starke Stimme für Patientenrechte

Michaela Wlattnig
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Berichte über Missstände in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen finden in den letzten Jahren relativ häufig Eingang in die Medienberichterstattung. Allerdings ist dies nur ein Bruchteil der Probleme, die es tagtäglich in Einrichtungen des Gesundheitswesens gibt. Damit Betroffene nicht ohnmächtig diesen Organisationen gegenüberstehen und auf eigene Kosten ihre Rechte einklagen müssen, wurden in allen Bundesländern Patienten und Pflegeombudsstellen eingerichtet. PERISKOP sprach mit der Sprecherin der Patienten- und Pflegeanwältinnen und -anwälte Österreichs, Dr. Michaela Wlattnig über die aktuellen Herausforderungen und ihre Ziele, die sie sich in dieser Funktion gesteckt hat.

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Rainald Edel, MBA

Periskop-Redakteur

Rund 22 Jahre war der Niederösterreicher Dr. Gerald Bachinger Sprecher und damit bekanntestes Gesicht der Patienten- und Pflegeanwältinnen und -anwälte Österreichs. Er stand im Vorjahr einer Wiederwahl nicht mehr zur Verfügung. Zur neuen Sprecherin wurde die Steirerin Dr. Michaela Wlattnig gekürt.

PERISKOP: Sie sind seit 2019 PatientInnen- und Pflegeombudsfrau des Landes Steiermarkund seit Oktober Sprecherin der ARGE Pflegeanwälte. Wo sehen Sie die größten Problemfelder im österreichischen Gesundheits- und Pflegebereich?

WLATTNIG: Die große Herausforderung aktuell und in den kommenden Jahren wird es sein, die Gesundheitsversorgung – und hier meine ich medizinisch und pflegerisch – auf dem gewohnt hohen und guten Niveau aufrechtzuerhalten. Ich spreche hier die bekannte Personalproblematik an. Weniger Personal für mehr betagte Menschen, die erfahrungsgemäß mehr ärztliche und pflegerische Leistungen benötigen. Letztendlich wird es in den kommenden Jahren auf eine zielgerichtete Patientensteuerung und auch Personalsteuerung hinauslaufen müssen.

Bei Ihrer Nominierung zur Vorsitzenden sagte Ihr Vorgänger Dr Gerald Bachinger, der diese Funktion 22 Jahre innehatte, dass er sich wünscht, dass nun eine jüngere neue Generation nachrücke. Welche Ziele haben Sie sich gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern gesetzt?

Trotz aller Unterschiede der Zuständigkeiten in den Bundesländern ist es uns wichtig, dass gemeinsame Themen der Gesundheitsversorgung und strukturellen Verbesserung für Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftige von uns thematisiert werden. Ich möchte hier beispielhaft folgende Bereiche nennen, welche aus Sicht der Patienten- und Pflegeanwaltschaften Aufmerksamkeit verdienen: das ist die Versorgung von Long/Post-Covid-Erkrankten/Betroffenen, das Thema Impfen durch Apothekerinnen und Apotheker, die raschere Weiterentwicklung von ELGA wie auch das Digitalisierungsthema insgesamt, aber auch die bundesweite Möglichkeit der Errichtung von Sterbeverfügungen bei den Patientenanwaltschaften. Besonders hervorheben möchte ich hier aber den Bereich der Versorgung von Pflegebedürften, dies sowohl im häuslichen als auch im stationären (Langzeitpflege)Bereich. Hier sind die Herausforderungen enorm und hier muss man sich dem Thema der Qualität der Pflege widmen als auch der Entlastung der pflegenden und betreuenden Angehörigen.

Die Pflege- und Patientenanwaltschaften sind föderale Ombudsstellen der jeweiligen Länder und nicht in allen Bundesländern für die gleichen Bereiche zuständig. In manchen Bundesländern reicht die Zuständigkeit von den Spitälern über die Pflegeheime bis zu den niedergelassenen Ärztinnen, Ärzten und in anderen sind nur Teilbereiche daraus betroffen. Orten Sie hier einen politischen Willen die Kompetenzen zu harmonisieren?

Hier muss man die Bundes- und Länderebene unterscheiden. In einzelnen Bundesländern gibt es Tendenzen und auch konkrete Gespräche, die Zuständigkeit der Patientenanwaltschaften zu erweitern. Als Beispiel darf ich Salzburg nennen, wo meine Kollegin künftig auch für den Bereich der Pflege zuständig werden soll. Natürlich wäre es absolut wünschenswert, wenn Bürgerinnen und Bürger in jedem Bundesland eine unabhängige, weisungsfreie und kompetente Anlaufstelle für ihre Anliegen im Zusammenhang mit medizinischen Leistungen in Krankenanstalten, bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten usw aber auch im Zusammenhang mit Pflegeheimen und mobiler Pflege erhalten könnten. Bedauernswert ist es, dass eine Kompetenzerweiterung meistens in Folge eines aktuellen Anlassfalles erfolgt und nicht aufgrund der Überzeugung, dass Bürger*innen das Recht haben, sich an eine unabhängige Stelle in jedem Bundesland mit denselben Zuständigkeiten zu wenden.

Wäre es sinnvoll, die informelle Struktur der ARGE in eine institutionelle Bundes-Patienten- und Pflegeanwaltschaft überzuführen? Mit welchen Rechten und Pflichten müsste diese dann ausgestattet werden?

Diese Notwendigkeit sehe ich derzeit nicht, da die Versorgungsstrukturen in den Bundesländern sehr unterschiedlich sind und die Patientenanwaltschaften niederschwellig erreichbar bleiben sollen. Man darf auch nicht vergessen, dass alle Kolleginnen und Kollegen auch im Rahmen von Sprechstunden in Krankenanstalten vor Ort ansprechbar sind und auch Sprechtage in Pflegeeinrichtungen durchführen.

Es ist wünschenswert, dass es in jedem Bundesland eine Patienten- und Pflegevertretung mit denselben Zuständigkeiten, beispielsweise auch für den niedergelassenen Bereich, gibt.

In vielen Krankenhäusern gibt es hauseigene Ombudsstellen. Inwieweit arbeiten Sie mit diesen zusammen?

In den Krankenanstalten sind das Einrichtungen im Rahmen des Beschwerdemanagements und mit diesen gibt es regelmäßigen Austausch, um auch gemeinsame Themen zu evaluieren und dann entsprechende Strukturverbesserungen anzuregen. Einzelfälle, in denen Behandlungsfehler behauptet werden, werden von den Rechtsabteilungen bearbeitet bzw. von den Patientenanwaltschaften.

In den letzten Jahren gelangten immer wieder Fälle großer Missstände im Gesundheits- und Pflegebereich in die Medien. Sind Patientinnen und Patienten in Österreich in Ihren Rechten ausreichend geschützt oder gibt es Bereiche, wo man gesetzlich und strukturell nachschärfen müsste?

Der Rechtsschutz für Patientinnen und Patienten ist nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der (kostenfreien) Inanspruchnahme der Unterstützung der Patientenanwaltschaften, der Schlichtungsstellen und der Entschädigungsfonds gut ausgeprägt. Wichtig ist, dass die Patienten- und Pflegeanwaltschaften entsprechend personell ausgestattet sind, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Durchaus ausbaufähig ist der Rechtsschutz von Pflegebedürftigen in häuslicher Umgebung, hier sollte sich der Gesetzgeber dringend die Qualitätssicherung der 24-Stunden-Betreuung – nämlich sowohl der betreuten Person als auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – anschauen als auch den Rechtsschutz von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner. Bei Letzteren gibt es viele unterschiedliche landesgesetzliche Regelungen und hier würden sich die Pflegeanwältinnen eine Verankerung von Rechten im Rahmen von Art. 15a-Vereinbarungen wünschen, z. B. das Recht auf regelmäßige Evaluierung der Pflegebedürftigkeit und der gesetzten pflegerischen Maßnahmen.

Internationale Vergleiche, wie Health at a Glace der Who attestieren der österreichischen Bevölkerung eher bescheidene Werte bezüglich Gesundheitskompetenz. Damit einher geht auch, dass Patientinnen und Patienten nur wenig über ihre Rechte Bescheid wissen. Inwieweit wäre es daher für die Patienten- und Pflegeanwaltschaften notwendig aktiver und präsenter aufzutreten, damit Menschen, die von Missständen betroffen sind, sich leichter an Sie wenden?

Die Tatsache, dass unsere Institutionen wenig bekannt sind, hat mit der strukturellen Verankerung der Patientenanwaltschaften innerhalb der Verwaltungsstruktur der Länder zu tun. Wir sind budgetär was Auftritte und „Werbung“ im eigenen Sinn betrifft, limitiert.

Ein Teil der Missstände wird mit der Überlastung des Personals erklärt. Würde tatsächlich nur die Erhöhung der Personenanzahl substanzielle Abhilfe schaffen oder müssten auch strukturelle Maßnahmen gesetzt werden, um Missstände, wie sie in die Medien gelangt sind, nachhaltig zu unterbinden?

Die Erhöhung der Zahl des Gesundheitspersonals wird alleine nicht der Schlüssel für eine weitere gelingende Versorgung der Bevölkerung sein. Realistischerweise geht es ja nicht um eine Erhöhung, sondern um ein Halten der Anzahl. Wie eingangs erwähnt, muss man sowohl Patientinnen, Patienten als auch Personal steuern. Man wird aber auch nicht umhinkommen, sich die Angebotsstruktur der Krankenanstalten anzuschauen. Wo hält man in Zukunft 20/7 was vor? Es muss auch endlich ein Umdenken dahingehend stattfinden, dass Gesundheitsversorgung nicht ausschließlich Sache von Ärztinnen und Ärzten ist. Gesundheitsversorgung beginnt auf Gemeindeebene, bei niederschwellige Angeboten durch Community Nurses und Primärversorgungseinheiten, die dem Namen durch entsprechende multiprofessionelle Ausstattung gerecht werden und auch Unterstützung in der Organisation dieser Einheiten erhalten, ich spreche hier den Verwaltungsaufwand an.

Es muss auch endlich ein Um- denken dahingehend statt- finden, dass Gesundheitsversorgung nicht ausschließlich Sache von Ärztinnen und Ärzten ist. Gesundheitsversorgung beginnt mit niederschwelligen Angeboten auf Gemeindeebene.

Während der Pandemie hat sich gezeigt, dass eine Patientenlenkung zum Beispiel über die Gesundheitshotline 1450 sehr gut von der Bevölkerung angenommen wurde. Inwieweit sollten diese Systeme ausgebaut werden, um einer Überlastungen von Spitalsambulanzen vorzubeugen?

Diese Bestrebungen des Ausbaus von 1450 gibt es bereits und ist zu begrüßen. Wobei es, wie zuvor erwähnt, nur ein Baustein in der Versorgungsstruktur sein wird aber sicherlich ein wichtiger Schritt auch hinsichtlich der besseren Steuerung der Menschen durch das Gesundheitssystem, das helfen soll zielgerichtet jene Leistungen zu erhalten, die im individuellen Fall nötig sind.

Im Rahmen der derzeit laufenden Finanzausgleichsverhandlungen soll auch der Bereich Gesundheit reformiert werden. Ebenso hat der Gesundheitsminister heuer schon erste Schritte Richtung Pflegereform gesetzt. Inwieweit sind in diese Reformprozesse Patientenorganisationen, wie eben die Patenten und Pflegeanwaltschaft zumindest informell eingebunden?

Patienten- und Pflegeanwaltschaften sind in diese Prozesse am Rande dergestalt eingebunden, dass wir in einzelnen Arbeitsgruppen in Vorbereitung von Reformvorhaben mitarbeiten.

Müsste in Österreich nicht Patientinnen und Patienten generell mehr in Entscheidungen und Abläufe im Gesundheits- und Pflegebereich eingebunden werden? Gibt es internationale Beispiele, die zeigen, wie das gut funktioniert?

Grundsätzlich plädiere ich dafür, dass betroffene Patientinnen, Patienten und Pflegebedürftige selbst in Reformprozessen verstärkt eingebunden werden, weil dies die Sicht auf die Dinge maßgeblich verändern kann. Bei Behandlungsprozessen sollte es im Sinne eines „shared decision making“ selbstverständlich sein, dass Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, dies führt zu erhöhter Akzeptanz der Folgen und Konsequenzen medizinischer und pflegerischer Interventionen.   

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