Eine Vielzahl von Entwicklungen wird die Kardiologie der Zukunft prägen: unter anderem kontinuierliche Qualitätskontrolle sowie technische Innovationen für Diagnostik, Therapie und Rehabilitation. Das stellten Expertinnen und Experten bei den PRAEVENIRE Gesundheitsgesprächen im Stift Seitenstetten fest. Im Mittelpunkt aber müssen optimale Ergebnisse und bestmögliche Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten stehen.
Wolfgang Wagner
Gesundheitsjournalist
Seinem Vortrag über die „Outcome-Forschung in der Herzchirurgie“ stellte Univ.-Prof. Dr. Günther Laufer, Leiter der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie an der MedUni Wien, ein Zitat
des französischen Lustspieldichters Philippe Destouche (1680 bis 1754) voran: „La critique
est aisée, mais l’art est difficile“ (Die Kritik ist leicht, die Kunst ist schwer). Das Problem mit
der Medizin: Sie ist sowohl wissenschaftlich strukturiert, arbeitet aber in einem Gebiet, das
durch die Individualität von Patientinnen, Patienten und Therapeutinnen, Therapeuten auch
Charakteristika chaotischer Systeme aufweise.
Laufer führte dazu den belgischen Herzchirurgen Paul Sergeant an, der im „Lancet“ (1997)
geschrieben hat: „Die medizinische Praxis ist zwar strukturiert, aber umfasst auch individuelles Urteil und individuelle Expertise. Ihre Überprüfung ist daher die wissenschaftliche Analyse einer Balance zwischen Chaos und Struktur.“ Der Grundsatz einer „Value Based Health Care“ wertorientierten Gesundheitsversorgung nach den Thesen des US-Wirtschaftswissenschafters Michael Porter von der Harvard Business School („Redefining Health Care“) sollte die Basis sein. Der Wiener Herzchirurg: „Wert wird als erreichte Qualität der Versorgung (Behandlungsresultat und Patientenerfahrung; Anm.) durch die aufgewendeten Kosten (direkte und indirekte Kosten; Anm.) definiert.“ Laufer: „Ich gehe nicht ins Spital wegen des angeblichen Super-Gesundheitswesens in Österreich, oder weil die Prozesse super sind. Ich gehe ins Spital, weil ich gesund werden will. Und zweitens muss ich mir das leisten können. Nicht der Weg ist das Ziel, das Ziel ist das Ziel.“ Die Konsequenz daraus, so der Experte: „Wir müssen also messen, was wir tun. Wir müssen aber nicht nur den Outcome messen. Dieser Outcome muss risikoadjustiert gemessen und verglichen werden.“ Die österreichischen Herzchirurginnen und -chirurgen haben hier vor mehr als 15 Jahren einen entscheidenden Schritt zur Qualitätskontrolle gesetzt. Gemeinsam mit dem Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) wurde ein Register aufgesetzt. „Hier wird die Ergebnisqualität aller neun österreichischen Herzchirurgien verglichen. Alle Abteilungen füttern dieses Register mit ihren Daten. Die Daten werden auditiert.“ Als Parameter für das Ermöglichen eines Vergleichs zwischen den einzelnen Zentren dient der sogenannte EuroSCORE II, ein validiertes Risikomodell für Mortalität in der Herzchirurgie (30-Tage-Mortalität). Laufer: „Der Tod kann nicht betrogen werden.“
Wir müssen messen, was wir tun - aber nicht nur den Outcome. Der Outcome muss risikoadjustiert gemessen und verglichen werden.
Günther Laufer
Je nach Eingriff, je nach Risikogruppe lassen sich damit die Daten vergleichen. Die 30-Tage-Mortalität für Patientinnen und Patienten in der Herzchirurgie in Österreich liegt demnach laut einer aktuellen Auswertung (2019) zwischen drei und sechs Prozent. Langfristig nimmt sie ab. Insgesamt aber muss in Zukunft der Wert medizinischer Interventionen langfristig gemessen, bewertet und verglichen werden, um Patientinnen und Patienten optimal versorgen zu können.
Bei der Herzinsuffizienz therapieren wir derzeit nur Sekundärphänomene durch neurohumorale Blockade, jedoch nicht die Herzinsuffizienz direkt.
Diana Bonderman
Innovationen
In den herzchirurgisch verwendeten Techniken sind es viele Innovationen auf dem Gebiet der Medizinprodukte, welche die Entwicklung ständig vorantreiben, stellte Univ.-Prof. Dr. Martin Andreas, Klinische Abteilung für Herzchirurgie, MedUni Wien, in seinem Vortrag zur „Device Therapie“ in Chirurgie und Intervention dar. Ein Beispiel: künstliche Herzklappen (Aortenklappen), die ‚trocken‘ gelagert werden können und durch Glycerinisierung länger haltbar sind. Ein anderes Beispiel, so der Herzchirurg: „Eine nahtlose Klappe („Intuity“; Anm.), ein Hybrid zwischen einer chirurgischen Klappe und einer Katheterklappe, um eine schnellere Operation zu ermöglichen und weniger Trauma zu verursachen.“ Besonders bei Patientinnen und Patienten mit kleinen Herzen schont diese Klappe das Organ auch längerfristig.
Die Öffnung des Brustkorbes durch die volle Durchtrennung des Brustbeines war jahrzehntelang State of the Art in der Herzchirurgie. Heute setzt man auf immer weniger invasive Techniken, welche nur noch eine teilweise Durchtrennung des Brustbeines bedingen, oder man schafft einen Zugang zwischen den Rippen (anterolaterale Thorakotomie) mit bis zu acht Zentimetern Größe. Das erlaubt bereits das Implantieren von künstlichen Herzklappen.
Ein anderes Verfahren, das bei jungen Patientinnen und Patienten verwendet wird: die Ross-Operation zum Ersatz einer erkrankten Aortenklappe durch die körpereigene gesunde Pulmonalklappe. Letztere wird dann durch eine Spenderklappe ersetzt. Die Operierten können ein normales Leben (ohne Blutverdünnung wie bei künstlichen Klappen) führen. Ein spektakuläres Verfahren ist die Transplantation dezellularisierter Herzklappen. „Wir entnehmen im Rahmen einer Herztransplantation eine gesunde Aortenklappe, deren Zellen (bis auf das immunologischinerte Stützgerüst; Anm.) beseitigt werden. Dann wird sie einer anderen Patientin oder einem anderen Patienten eingesetzt. Es kommt zu einer Besiedelung mit
körpereigenen Zellen“, sagte Andreas. Erst vor Kurzem lebte ein 57-jähriger US-Patient rund zwei Monate mit einem implantierten Schweineherzen. Solche Organe stammen von genetisch mehrfach modifizierten Tieren, um die Abstoßung zu verhindern. Nicht mit dem Verfahren an sich sei man schließlich gescheitert, sondern daran, dass in dem tierischen Spenderorgan ein Schweine-Cytomegalievirus reaktiviert wurde, stellte der Herzchirurg dar. Modernste Bildgebung, Hybrid-Eingriffe unter Kombination von kardiologischer Intervention und chirurgischem Vorgehen, aber auch neue technische Innovationen bringen die Herzchirurgie weiter. Doch es gibt auch Probleme. Die aktuellen gesetzlichen Regelungen zu Medizinprodukten in der EU haben zur Abwanderung klinischer Studien in die USA und dem Verschwinden potenziell wichtiger Produkte geführt. Hier seien rechtliche Änderungen dringend erforderlich, sagte Andreas.
Rehabilitation als Schnittstelle
„Es geht darum, Menschen durch Rehabilitation wieder ins Leben zu helfen. Rehabilitation ist ein spannendes Thema. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Wir wollen eine Brücke sein.
Der Outcome in der Rehabilitation – es geht darum, Aktivität und Teilhabe am Leben zu
verbessern, und vor allem die Lebensqualität“, erklärte Prim. Dr. Jeanette Strametz-Juranek,
Leiterin des Rehazentrums Bad Tatzmannsdorf. Die Rehabilitation biete sich im Rahmen
des Versorgungszyklus von Herz-Kreislauf-PatientInnen als multifunktionales Konzept, an
für Patientinnen und Patienten aus dem niedergelassenen Bereich oder auch aus Spitälern
– Innere Medizin, Herz-Thoraxchirurgie. Die Ziele: für aktiv Versicherte der Erhalt der Erwerbsfähigkeit und der Aktivität und Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen und familiären
Leben, für nicht mehr im Erwerbsleben Stehende der Erhalt von Aktivität und Teilhabe, Vermeidung und Verminderung von Pflegebedürftigkeit und Steigerung der Lebensqualität.
Die Öffnung des Brustkorbes durch die volle Durchtrennung des Brustbeines war jahrzehntelang State of the Art in der Herzchirurgie. Heute setzt man auf immer weniger invasive Techniken.
Martin Andreas
Speziell wichtig für aktiv Versicherte mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen: ein funktionierendes Rehabilitations-Nahtstellenmanagement mit Einrichtungen wie AMS, Krankenversicherung und den übrigen beteiligten Stellen. „35 bis 38 Prozent der Patientinnen und Patienten machen sich Gedanken, ob sie wieder aktiv in das Erwerbsleben zurückkommen können“, sagte die Kardiologin. Fällt ein Mann mit einer durchschnittlichen Alterspension von rund 1.800 Euro bei Berufsunfähigkeit auf etwa 1.200 Euro zurück, wirkt sich der Gender Gap bei Frauen mit rund 1.000 Euro Durchschnittspension auf nur noch knapp 800 Euro monatlich bei Berufsunfähigkeit aus. Rehabilitation sei deshalb ein oft entscheidender Faktor, um das zu verhindern.
In Österreich sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei 41,8 Prozent der Frauen die Todesursache, bei den Männern zu 35,2 Prozent. Die Corona-Pandemie dürfte die Situation verschlechtert haben. Jeanette Strametz-Juranek zitierte dazu deutsche Zahlen: „Die Herzkatheter-Aktivitäten gingen um 35 Prozent zurück. Die Herz-Kreislauf-Mortalität stieg um acht Prozent, die kardiale Mortalität um zwölf Prozent.“
Wichtig sei für eine optimale Rehabilitation die rechtzeitige bzw. möglichst frühzeitige Zuweisung von Patientinnen und Patienten. Patientinnen und Patienten mit vermehrtem medizinischen oder pflegerischen Aufwand könnten direkt auf Bettenstationen aufgenommen werden. Das Heilverfahren sei zwar auf drei Wochen angelegt, könne aber verlängert werden. Immer wichtiger werde auch die Rehabilitation bei chronischer Herzinsuffizienz mit einem umfassenden Programm samt Schulungen und der Sicherstellung der entsprechenden Nachbetreuung. Und schließlich habe man in Bad Tatzmannsdorf ein eigenes Programm für Patientinnen mit Broken-Heart-Syndrom etabliert.
Herzinsuffizienz 2030
Die chronische Herzinsuffizienz stellt jedenfalls ein wachsendes gesundheitliches Problem dar.
„Sie führt zur Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Verminderung der Lebensqualität, lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen, Todesfällen und ist der wichtigste Grund für
Hospitalisierungen bei über 65-Jährigen“, betonte Assoc.-Prof. Dr. Diana Bonderman, Vorstand 5. Medizinische Abteilung, Klinik Favoriten). Was die wahrscheinliche Entwicklung bis zum Jahr 2030 angeht, zitierte sie den aus den USA stammenden Science-Fiction-Autor William Gibson: „Die Zukunft ist schon hier, sie ist nur ungleich verteilt.“
Reduktion von Mortalität und Hospitalisierungen, Verbesserung der Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität stehen im Mittelpunkt der medikamentösen Therapie der chronischen
Herzinsuffizienz. Sie basiert derzeit – seit Jahren – auf vier Substanzgruppen: ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, Betablocker, Mineralokortikoidantagonisten und (vor einigen Jahren aus der Diabetologie hinzugekommen) SGLT2-Inhibitoren. „Den Wirkmechanismus der SGLT-2-Inhibitoren versteht man noch nicht ganz“, sagte die Kardiologin. Was allen diesen Therapieprinzipien aber gemeinsam ist: „Wir therapieren Sekundärphänomene durch neurohumorale Blockade, nicht die Herzinsuffizienz direkt. Der Stress, der durch die Myokardschädigung entsteht, soll blockiert werden.“ Dementsprechend würde man sich bei der zukünftigen Entwicklung wohl auf die Therapie direkt ursächlicher Schädigungen konzentrieren. Beispiele dafür gebe es schon, auch wenn durchschlagende Erfolge bisher ausgeblieben seien.
Diana Bonderman: „Man hat versucht, Zelltherapien zu entwickeln, zum Beispiel mit Stammzellen. Es gab aber keinen Durchbruch aufgrund der Studienlage.“ Dafür könnten sich in Zukunft Interventionen auf RNA- und DNA-Ebene als vielversprechende Therapieziele entwickeln. „RNA-Silencer sind in der Lipidtherapie (Cholesterintherapie; Anm.) bereits zugelassen und bei seltenen Formen der Herzinsuffizienz bereits in klinischer Verwendung“, sagte die Kardiologin.
35 bis 38 Prozent der Patientinnen und Patienten machen sich Gedanken, ob sie wieder aktiv in das Erwerbsleben zurückkommen können. Es geht darum, Aktivität und Teilhabe am Leben zu verbessern, und vor allem die Lebensqualität.
Jeanette Strametz-Juranek
Darüber hinaus: „Wir haben die erste Studie, die auf CRISPR-Cas9-Gene-Editing basiert.
Das war eine Sensation vergangenes Jahr im New England Journal of Medicine zur Behandlung der kardialen Amyloidose.“ Bei sechs Patientinnen bzw. Patienten hätte man auf diesem Weg die Bildung des krank machenden Proteins unterdrücken können. Für Herzinsuffizienz-Patientinnen und -Patienten könnte eventuell auch eine in früher klinischer Entwicklung stehende Antisense-Therapie (microrna-132) Bedeutung erlangen. Fortschritte, so die Kardiologin, seien aber auch zur besseren und früheren Diagnostik der Herzinsuffizienz – am besten noch vor klinischen Symptomen – zu erwarten. Hier würden zunehmend Verfahren der Artificial Intelligence und Big-Data-Techniken eingesetzt werden. Daher die Prognose für 2030: „Frühzeitige, präzise Diagnose mithilfe künstlicher Intelligenz, genbasierte Therapien im breiteren Einsatz.“
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