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Warum Markus Wieser die Kindergesundheit besonders am Herzen liegt

© AK-NÖ/KLAUS VYHNALEK

Warum Markus Wieser die Kindergesundheit besonders am Herzen liegt

© AK-NÖ/KLAUS VYHNALEK

Der Präsident der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ) Markus Wieser engagiert sich stark für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Im Gespräch mit PERISKOP ging er auf die Versorgungssicherheit von Kindern und Jugendlichen ein und erläuterte seine Forderungen an die Regierung sowie Maßnahmen zur Steigerung der Gesundheitskompetenz von Schülerinnen und Schülern.

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Carola Bachbauer, BA, MSc

Periskop-Redakteurin

Kindergesundheit geht in der öffentlichen Diskussion oftmals unter. Durch eine familiäre Erfahrung wurde Wieser zu einem gewichtigen Fürsprecher für die Gesundheit der Kinder
und Jugendlichen.

PERISKOP: Die Optimierung der Sicherstellung der solidarischen Gesundheitsversorgung ist ein omnipräsentes Thema in der Gesundheitspolitik. Welche Handlungen setzt die AK NÖ in diesem Zusammenhang?
Wieser: Wir haben 2021 das Memorandum der „3V für Österreichs Zukunft“ der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei lag der Schwerpunkt auf konkreten Lösungsvorschlägen zu den drei Themen: Veränderungen der Arbeitswelt, Verteilungsgerechtigkeit und Versorgungssicherheit. Um Letzteres zu gewährleisten, engagieren wir uns besonders in den Bereichen Kinder- und Jugendlichenrehabilitation, Schutz und die Absicherung berufstätiger Eltern chronisch kranker Kinder, die eine stationäre Rehabilitation benötigen, sowie Erhalt der Kindergesundheit. Wir wollen sicherstellen, dass die betroffenen Kinder von ihren Eltern während der Rehabilitation ohne arbeits- und sozialrechtliche Konsequenzen begleitet werden können. Die Versorgung der
Kinder und Jugendlichen darf auf keinen Fall von finanziellen, arbeitsrechtlichen oder bürokratischen Belangen abhängen.

Die Versorgung der Kinder und Jugendlichen darf auf keinen Fall von finanziellen, arbeitsrechtlichen oder bürokratischen Belangen abhängen.

Welche Faktoren können die Kindergesundheit negativ beeinflussen?
Kindergesundheit ist abhängig von vielen Umständen, insbesondere von Armut(sgefährdung), geringen Bildungschancen, Bewegungsmangel und Fehlernährung. Auch die fortschreitende Unterversorgung durch Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde mit Kassenverträgen sowie speziell geschulte Therapeutinnen und Therapeuten lässt die Alarmglocken schrillen. Die Gesundheit unserer Kinder darf weder vom Einkommen der Eltern abhängen noch durch einen Fachkräftemangel gefährdet sein. Wenn – wie so oft – betont wird, dass Kinder und Jugend die Zukunft sind, dann muss deren Gesundheit auch ausreichend abgesichert sein. Denn es kann weder der Politik noch den Sozialpartnern gleichgültig sein, „wie es mit der Jugend weitergeht.“

© AK-NÖ

Welche Maßnahmen fordern Sie von der Regierung sowie den Sozialpartnern, um die Kindergesundheit aufrechtzuerhalten?
Die soeben angelaufenen Finanzausgleichsverhandlungen müssen sich umfassend mit den
Sorgen und Nöten der Kinder und Jugendlichen in unserem Land auseinandersetzen.
Kinder und Jugendliche haben in der Coronapandemie besonders gelitten. Lockdowns,
Schulschließungen und Distance-Learning führten in vielen Fällen zu vergebenen Bildungschancen, verlorengegangenen sozialen Kontakten und Einsamkeit. Studien belegen, dass die psychische Belastung der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie stark
angestiegen ist. Dies äußert sich vielseitig und reicht von Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen bis hin zu suizidalen Gedanken. In der öffentlichen Diskussion wird dieses Thema jedoch bislang ignoriert. Bund und Sozialversicherung sind deshalb gefordert, Nachbesserungen in der Versorgung unserer jüngsten Gesellschaftsmitglieder vorzunehmen.

Deshalb fordere ich, dass die nächste Bundesregierung ein eigenes Staatssekretariat für Kinder- und Jugendgesundheit im Gesundheitsministerium etabliert. Dieses soll mit einer Querschnittskompetenz ressortübergreifend für die Interessen von Kindern und Jugendlichen eintreten. Die zweite Forderung, die ich an die Politik habe, ist eine Kinder- und Jugendgesundheitsmilliarde. Mithilfe dieser sollen spezifische und gesundheitsbezogene Problemlagen bestmöglich gemildert bzw. beseitigt werden. Jeder Cent, der hier investiert wird, hilft der Prävention bei Kindern und Jugendlichen und spart dem Gesundheitssystem später ein Vielfaches ein. Die Forderung einer „Kindermilliarde“ ist im Hinblick auf eine sich vergrößernde Kinderarmutsgefährdung in Österreich mehr als gerechtfertigt. 

Wofür soll die Kindermilliarde noch eingesetzt werden?
Viele Kinder und Jugendliche (fast 18 Prozent der bis zu 17-Jährigen) leiden an chronischen
Erkrankungen wie etwa Rheuma, Diabetes, neurologischen Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, psychischen Erkrankungen oder auch Krebs. Diese Erkrankungen weisen einen chronischen, über das Jugendalter hinausreichenden Verlauf auf. Durch die
zunehmend bessere Versorgung erleben mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen
mit chronischen Erkrankungen das Erwachsenenalter. Daher braucht es – parallel zur psychosozialen und persönlichen Entwicklung – auch entsprechende Angebote zur multiprofessionellen Begleitung, damit das Erwachsenwerden mit einer Erkrankung erfolgreich verlaufen kann. Allerdings darf die medizinische Begleitung – wie es derzeit gesetzlich geregelt
ist – nicht auf ein Lebensalter beschränkt oder eingeschränkt sein. Die Betroffenen benötigen
oft ihr Leben lang Begleitung, um nicht nur in der Gesellschaft ihren Platz zu finden, sondern
am Leben teilhaben zu können. Wir haben die Verantwortung für alle Generationen von jung
bis alt und müssen sicherstellen, dass jede und jeder den individuellen Bedürfnissen entsprechend die nötige Behandlung und Unterstützung erhält.

Kinder und Jugendliche müssen dabei unterstützt werden, eigenverantwortliche und gute Entscheidungen für ihre Gesundheit zu treffen.

Sie setzen sich für kindergerechte Rehabilitation ein. Welche besonderen Herausforderungen müssen bei Kinder- und Jugendlichenrehabilitationszentren beachtet
werden?
Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Sie benötigen spezielle Versorgung und medizinische Betreuung und verdienen ein (Gesundheits-)System, das ihre speziellen Bedürfnisse kennt und in der Versorgungspraxis bestmöglich berücksichtigt. Nach langen Vorarbeiten wurde nach Erstellung eines Rehabilitationsplans für Kinder und Jugendliche, der Betten- und Indikationszuordnungen zu den jeweiligen Gesundheitsregionen und der Klärung der Finanzierung der Tagessätze die Errichtung von Kinder- und  Jugendlichenrehabilitationszentren in Österreich erreicht. Bislang konnten fünf Kinder- und Jugendlichenrehazentren umgesetzt werden. Das sechste Rehabilitationszentrum in Wiesing in Tirol ist gerade in der Fertigstellung und wird im Frühling 2023 eröffnet. Angeboten werden
Rehabilitationsprogramme zu psychosozialen, kardiologischen und pulmologischen Indikationen, zu Krankheiten des Stoffwechselsystems, des Verdauungsapparates sowie eine
hämatoonkologische Rehabilitation. Damit wurde der erste Schritt für eine flächendeckende Versorgung in Österreich getan und wir können Kindern, die bislang ungenügend oder gar nicht versorgt waren, in einer schwierigen Lebenssituation helfen. Wo es Handlungsbedarf gibt, sind die Mitaufnahme und gegebenenfalls Therapien von Begleitpersonen bzw. anderer Familienangehörigen. So etwas ist bis dato nur im hämatoonkologischen Bereich vorgesehen. Eine Ausweitung der familienorientierten Rehabilitation (FOR) nach dem hämatoonkologischen Modell wäre für alle Indikationen dringend erforderlich. Zusätzlich sind nach wie vor die arbeitsrechtlichen Fragen für Eltern mit kranken Kindern, um einen Rechtsanspruch auf Freistellung für den Reha-Aufenthalt vom Arbeitgeber zu bekommen, nicht geklärt. Eine erfolgreiche Rehabilitation der Kinder kann nur mit Unterstützung der Eltern gelingen. Dafür reicht der Pflegeurlaub nicht aus. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass es viele Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde gibt, die von der Möglichkeit der Kinder- und Jugendrehabilitation noch nichts wissen. Hier ist es besonders wichtig Awareness zu
schaffen, da die erste Voraussetzung für eine Kinderrehabilitation in Österreich eine Zuweisung ist. Des Weiteren müssen, wie ich bereits angesprochen habe, die transitionsmedizinischen Fragen umfassend geregelt werden. Nur weil man das 18. Lebensjahr erreicht hat, darf
man nicht aus der Versorgung fallen. Hier braucht es lebenslange Betreuungskonzepte. 

Wie steht es um die Gesundheitskompe­tenz der österreichischen Schülerinnen
und Schüler?
Gesundheitskompetenz ist mit Alphabetisierung verbunden und beinhaltet das Wissen, die Motivation und die Kompetenzen, auf Informationen zuzugreifen, sie zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass Menschen selbstbestimmte Entscheidungen in Bezug auf Gesundheitsversorgung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung treffen, die die Lebensqualität und die Gesundheit erhalten beziehungsweise fördern.

Das Internet stellt mittlerweile auch für Kinder und Jugendliche eine bedeutende Anlaufstelle in der Beschaffung von Gesundheitsinformationen dar. Jedoch fällt es jungen Menschen besonders schwer diese Informationen zu verstehen, zu bewerten und von Fake News zu unterscheiden. Aus zahlreichen Studien wissen wir, dass das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen die Basis für die Gesundheit im Erwachsenenleben ist. Deshalb ist es wichtig früh beim Gesundheitswissen und beim Aufbau von Gesundheitskompetenz anzusetzen. Kinder und Jugendliche müssen dabei unterstützt werden, eigenverantwortliche und gute Entscheidungen für ihre Gesundheit zu treffen.

Welche Maßnahmen müssen gesetzt werden, um die Health Literacy bei Kindern und Jugendlichen zu fördern?
Da die Förderung der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen typischerweise
außerhalb des Gesundheitssektors erfolgt, liegt der Fokus künftiger Reformen besonders
auf Bildungseinrichtungen für alle Altersstufen. Um Gesundheitskompetenz fächerübergreifend
und altersgemäß über die gesamte Laufbahn von Schülerinnen und Schüler vermitteln zu
können, sollte bereits im Zuge der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen darauf eingegangen werden. Ebenso braucht es bei den relevanten Gesundheitsberufen eine Awareness über die Wichtigkeit von Health Literacy und Kompetenzen in der Vermittlung von Gesundheitsinformationen. Denn erst ausgestattet mit umfassendem Gesundheitswissen, kann
das Wissen und die Wertigkeit einer gesunden Lebensführung vermittelt werden.

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