Der Förderverein Kinder- und Jugendlichenrehabilitation in Österreich und das praevenire Gesundheitsforum haben Ende Juni zu den vierten Gipfelgesprächen am Fuße der Rax geladen. Neu seit diesem Jahr ist die Erweiterung auf ein Zweitagesprogramm. es gibt viel zu tun in der pädiatrischen versorgung. Denn: Kinder sind unsere Zukunft!
Wenn im Juni-Kalenderblatt die Gipfelgespräche zur Leadership-Kampagne Kinder- und Jugendgesundheit eingetragen sind, gibt es Sonnenscheingarantie am Fuße der Rax in Hirschwang. So könnte die Prognose des niederösterreichischen Wetterfroschs auf Beobachtungsbasis der letzten vier Jahre lauten. Am 25. und 26. Juni war es draußen heiß, drinnen gab es zeitweise hitzige Debatten und richtig aufgeheizt war die Stimmung dann am Abend im Garten des Parkhotels, als die österreichische Nationalmannschaft mit 3:2 gegen die Niederlande Gruppensieger bei der Fußball-EM 2024 wurde. An die Spitze stellte sich auch Hirschwang, in der Kategorie Veranstaltungsort für Gesundheitsagenden der Jüngsten in der Bevölkerung. Sportliches Credo der teilnehmenden Gesundheitsexpertinnen und -experten: Das Gesundheitswesen braucht viel mehr Miteinander, Durchhaltevermögen, Ausdauer und vor allem eine Lobby für Kinder und Jugendliche. Diesbezüglich wurden im Vorjahr die zwei wichtigen Forderungen nach einem „Staatssekretariat Kinder und Jugendliche“ und der „Kindergesundheitsmilliarde“ aufgestellt. Bis zur Umsetzung heißt es sportlich dranzubleiben und in der Zwischenzeit: Bringen wir gemeinsam mehr Bewegung ins Spiel!
Gesundheitskompetenz ist ein Muss Apropos Bewegung: Der Ruf nach der „Turnstunde“ oder der „täglichen Bewegungseinheit“ in Kindergärten und Schulen war unisono deutlich zu hören. Sei es aus medizinischer Sicht, aus Perspektive der Medizinisch Technischen Dienste, Osteopathie oder Mental Health Issues. Univ.-Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel weiß, wie schwer es ist, nachhaltig Verhaltensänderungen zu erwirken. Regelmäßige (!) Bewegung zählt neben Ernährung, Alkoholabstinenz, „no smoking“, Stress-Kontrolle und eine sichere Berufsaussicht zu den WHO-Maßgaben, die eine Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit erst ermöglichen. Eine starke Gesundheitskompetenz sei die Basis, um für seinen Körper selbstverantwortlich gesundheitsfördernde Entscheidungen treffen zu können. Und dieser Grundstein muss in Form von Health Literacy bereits in Kindergärten und Schulen gelegt werden. Die Teilnehmenden im Plenum und die Diskutanten am Podium gingen im Laufe des Diskurses noch einen Schritt weiter: Gesundheitswissensvermittlung und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung beginnen bereits in der Schwangerschaft.
Nagel stellte zu Beginn seiner Keynote „Gesundheitskompetenz stärken“ die Frage: „Ist es nicht ein ‚Learning by doing?‘, sind die Kinder von ihren Eltern, Vorbildern, der Umgebung geprägt?“. Die Verbindung zwischen Zukunft und einen selbst sei allerdings nicht vorgeprägt. Es gibt Erkrankungen, die in Verbindung mit Gesundheitskompetenz stehen. Gesundheitskompetenzvermittlung stehe wiederum in Zusammenhang mit dem Bildungsgrad und der (sozioökonomischen) Gesellschaftsgruppe, in der Kinder und Jugendliche aufwachsen. Er veranschaulicht dies mit einem Beispiel aus London. Eine Karte in den U-Bahnstationen zeigt, wie viele Jahre eine Bevölkerungsgruppe in der Nähe der Station zu erwarten hat. Sie zeigt deutlich das Auseinandertriften zwischen Teilhabe und Lebenserwartung. Geht man von durchschnittlich 83 Lebensjahre aus, sind es bei Kindern, die in einer sozial prekären Situation aufwachsen 73 Lebensjahre. Zehn Jahre Differenz. Unter dieser Maßgabe sieht der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth Gesundheitskompetenz tiefergehendere Gründe. Oft wird Gesundheit als vom Schicksal gegeben angesehen. Dabei liegt ein langes, gesundes Leben – sofern entsprechende Gesundheitskompetenz vorhanden ist – auch in den eigenen Händen. Dafür braucht es die gesellschaftliche Anerkennung und Awareness, dass Gesundheit wie Friede, Freiheit und Gerechtigkeit als konditionales Gut zu pflegen sei. Die Gesundheitsförderung früh zu fördern, muss u.a. chronisch Kranke, Krebskranke, organtransplantierte Kinder und Jugendliche mit einbinden. Als Transplantationschirurg und Ärztlicher Direktor des Kinderrehazentrums Ederhof in Osttirol (www.ederhof.eu) weiß Nagel, wie wichtig es ist, Kindern nach ihrer Operation mitzugeben, was sie selbst in ihrem Wirkungskreis tun können, um mit ihrer Erkrankung so umzugehen, damit sie eine aktive Teilhabe in der Gesellschaft ausüben können. Die Gäste im Plenum betonten in ihren Beiträgen die Wichtigkeit der Schulärztinnen und Schulärzte für die kontinuierliche Gesundheitsförderung und die Rolle der Digitalisierung für Präventivmaßnahmen.
Eine Investition, die sich lohnt
Kinder und Jugendliche brauchen jede mögliche finanzielle, rechtliche und gesellschaftliche Unterstützung, um ein gesundheitsförderliches und (sobald möglich) selbstbestimmtes gesundes Leben führen zu können. Wie die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen gestaltet werden können, diskutierten die Podiumsgäste aus ihrer jeweiligen Perspektive am Beginn des zweiten Tages der Gipfelgespräche am Fuße der Rax. Markus Wieser, Obmann des Fördervereins Kinder- und Jugendlichenrehabilitation in Österreich, berichtete über die erfreulichen Erfolge der letzten Jahre, wie z.B. der Rechtsanspruch für Eltern auf Reha-Begleitung und die finanzielle Absicherung. Als Obmann lag es ihm besonders am Herzen, das vor kurzem erschienene Jubiläumsbuch des Fördervereins Kinderreha zu erwähnen. Es blickt auf die Entstehungsgeschichte, zeigt die Erfolge und auch Rückschritte, die es im Verlauf des 15-jährigen Bestehens zu feiern bzw. zu bewältigen gab. Er betonte aber auch, wie wichtig die Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe sei und vor allem, weiter kontinuierlich am Thema dranzubleiben. Ulrike Königsberger-Ludwig, Landesrätin für Gesundheit der Niederösterreichischen Landesregierung unterstrich die Notwendigkeit einer frühen Prävention und in diesem Sinne auch die Unterstützung werdender Eltern. Sie wiederholte ihre immer wieder gestellte Forderung, Bewegungseinheiten und gesunde Ernährung in Schulen zu etablieren. Mag. Mag. (FH) Konrad Kogler, Vorstand der Niederösterreichischen Landesgesundheitsagentur, sieht eine große Herausforderung in der Gesundheitsversorgung, insbesondere im ambulanten Bereich, der es sich zu stellen gelte. Diesbezüglich sei die multiprofessionelle Zusammenarbeit und ein verfügbares, verschränktes Angebot in allen Bereichen der Gesundheitsdienstleistungen wesentlich. Mag. Bernhard Wurzer, Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), hob die Bedeutung neuer Versorgungsmodelle wie der Kindergesundheitszentren hervor, betonte dass die Angebote einfach und niederschwellig erreichbar sein müssten und forderte zur breiten Nutzung digitaler Lösungen zur Verbesserung der Patientensteuerung auf.
In seiner Videobotschaft betonte Gesundheitsminister Johannes Rauch die Bedeutung der Kinder- und Jugendgesundheit für die Zukunft der Gesellschaft und infolgedessen bedankte er sich für diese Initiative und die Arbeit an diesen wichtigen Themen. Er kündigte seitens des Bundesministeriums die Aktualisierung der Kinder- und Jugendgesundheitsstrategie an und wünschte den Mitwirkenden interessante und produktive Gipfelgespräche zu den vier Themenschwerpunkten dieses Tages.
Thema 1: Kindergesundheitszentren
Das erste Thema „Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit – ein neuer Weg der Versorgung in Österreich“ wurde von Prim. MedR. Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl, MBA, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde abgedeckt. Er ging der Frage nach, ob die privatärztliche Versorgung eine Alternative sein kann. Mit den jüngsten Gesetzesänderungen seien gewohnte Konzepte brüchig geworden, Spitalsambulanzen überfüllt, die Wartezeiten zu lang. Der Pädiater war selbst zu Beginn als Wahlarzt tätig und als solcher mit Erfahrungen konfrontiert kranke Kinder ohne Zusatzversicherung abweisen zu müssen. Da zu sein für jene, die eine ärztliche Leistung notwendig haben, unabhängig von dem finanziellen Background der Eltern, war die Motivation, das erste pädiatrische Kinderzentrum „Kinder-PVE Donauinsel“ zu gründen. Er berichtete von den Vorteilen der interdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenarbeit und die positiven Erfahrungen der fachliche Erweiterung für die Kinder- und Jugendgesundheit. Für die Gründung gibt er den Anwesenden Tipps und Erfahrungen mit. Vor allem legt er das Hinzuziehens eines PVE-Managers nahe, der bei der Gründung und der Teamarbeit unterstützt.
Thema 2: Transitionsmedizin
Zum zweiten Thema „Plötzlich erwachsen! Transitionsmedizin als Begleitung in die Erwachsenenmedizin“ stellte OÄ MD PhD DDr. Edit Bardi, Oberärztin für Kinderhämatoonkologie und Immunologie im St. Anna Kinderspital, die Frage in den Raum „Warum brauchen wir die Transitionsmedizin?“. Die Antwort folgte prompt mit der Feststellung, dass eine Nachbetreuung beispielsweise krebskranker Kinder oder chronisch Erkrankter unerlässlich sei, auch wenn sie das formelle Erwachsenenalter erreicht haben. Zurzeit sei der Schwachpunkt eine fehlende Intervention der Erwachsenenmedizin, ein lückenloser Übergang sei nicht gegeben. Wann ist der optimale Zeitpunkt von der einen zur anderen Versorgungsstruktur zu wechseln? Dafür gibt es das Programm „Ready steady go“. Beginnend mit der Erstinformation für Elf- bis Zwölfjährige, begleitet sie das Programm bis ins Erwachsenenalter mit Informationen zur Erkrankung, Wirkung und Nebenwirkung ihrer Therapie, Gesundheitskompetenzvermittlung. In den europäischen Guidelines werden Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten, Survivals und Familienbeteiligten bei der Evaluierung mitberücksichtigt. Wichtig bei allen Aktivitäten sei es, die jungen Erwachsenen früh vorzubereiten und ihre Bereitschaft zu stärken, vorhandene Tools anzunehmen, damit niemand verlorengehe. In Österreich gibt es die Koordinationsstelle SUPA Register. Als Best-Practice gilt die Transitionsambulanz IONA (vgl. Keynote von Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Holter im Vorjahr), die Transition erfolgreich umsetzt und es wurden lokal Zentren für die Nachsorge eröffnet. Das EU-Projekt „PanCareSurPass“ stellt die Therapiebelastung dar und erfasst die lebenslange Nachsorge.
Thema 3: Adipositas
„Wir müssen handeln, darum sind wir überhaupt hier“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Daniel Weghuber, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Uniklinikum Salzburg. In seiner Keynote „Übergewicht, Diabetes, Adipositas“ belegte er den dringenden Handlungsbedarf, um eine schnellere Versorgungswirksamkeit zu erreichen, mit Zahlenmaterial. Für Übergewichtige ist das Risiko an Typ-2-Diabetes zu erkranken zwischen 30 und 60 Jahren um ein Vierfaches erhöht. Das stünde auch repräsentativ für viele andere Komorbiditäten und stelle daher neben einem gesundheitssystemischen Thema auch eine ökonomische, eine gesellschaftliche Problematik dar. Dabei sei bereits eine fünfprozentige BMI-Reduktion klinisch relevant, zusätzlich zu lebensstilmodifizierenden Therapien. Der bereits erarbeitete Versorgungsplan sieht vor, dass das Gesundheitswesen auf mehreren Ebenen wirksam werde und auch die Kinder-Reha einbeziehe. Bei der Entwicklung des Programms war auch klar, dass es konkrete Überlegungen brauche, wie Kinderund Jugendliche nach der Reha zu betreuen sind. Das nationale Konzept sieht zwei Säulen vor, neu ist die ambulante Lebensstilintervention. Die ÖGK nimmt die Ausrollung in die Hand, derzeit ist die erste Säule in Umsetzung. Wesentlich sei nun die zweite Säule: die bundesweite Etablierung von Kinderadipositaszentren, in denen nach klaren Struktur- und Prozesskriterien betroffene Kinder und Jugendliche mit Adipositas und bereits bestehenden Folgeerkrankungen interdisziplinär versorgt werden. Weghuber erzählt von einem ähnlichen Projekt, das ein Jahr zuvor in Belgien gestartet ist und daher für Österreich ein Modell sein kann. Für die junge App-affine Gruppe plädiert Weghuber: „Digitale Begleitung und Nachsorge sind verfügbar. Wir müssen nur zugreifen!“ Auch die Forschung beschäftige sich intensiv mit dem Thema.
Thema 4: Rehabilitation
Dr. Eva-Maria Mostler, berichtete als Vertreterin der ÖGK Medizinischen Dienst, über „Aktuelles aus der Kinder- und Jugendlichenrehabilitation“. Sie freute sich über die Möglichkeit des persönlichen Austauschs bei der Arbeitsgruppe. Für Mostler ist es am zielführendsten durch regen Austausch mit allen Beteiligten frühestmöglich an die alltäglichen und strukturellen Problemstellungen denken und Lösungen erarbeiten zu können. Es seien Hürden bei der Antragsstellung und Zuweisung – oft reine Optimierung der Bürokratie und Formalitäten – zu bewältigen, aber auch Fragen und Problemstellungen, die sich im Zuge der Rehabilitationsaufenthaltes entstehen bis zu Evaluierung und Qualitätssicherung. Miteinander offen reden, sich austauschen, das ist Voraussetzung, um voneinander zu lernen, Verständnis füreinander zu schaffen. Aus ihrer Zusammenarbeit mit Vertragspartnern weiß sie, dass nach wie vor viele die Schwerpunkt-Indikationen der jeweiligen Reha-Einrichtungen nicht kennen. Deshalb war ihr der Austausch an diesem Tag, wo die verschiedensten Partnerinnen und Partner für die Kinder- und Jugendgesundheit persönlich präsent waren, am wichtigsten. Auch in der Arbeitsgruppe ging es vorrangig darum, den Prozess von der Antragsstellung bis zur Nachsorge zu verbessern. Conclusio: Direkter Kontakt ist wesentlich, um keine Zeit zu verlieren, personelle Ressourcen zu minimieren. Eine Plattform, auf die alle Zuweisenden zugreifen können, könne schon ein wichtiger Schritt zur Vereinfachung sein.
Save the Date: 24. und 25. Juni 2025
Der Förderverein Kinder- und Jugendlichenrehabilitation in Österreich und das PRAEVENIRE Gesundheitsforum setzen ihre gemeinsame Arbeit fort. Mit viel Schwung geht es nächstes Jahr am 24. und 25. Juni 2025 in die nächste Runde. Es gibt noch viel Optimierungspotenzial und im Sinne der von Wieser geforderten Kontinuität lautet das Motto: Wir bleiben dran!
Keynotespeaker
•Peter Voitl
•Edit Bardi
•Daniel Weghuber
•Eva-Maria Mostler