Der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE widmet sich mit der Initiative Spital 2030 der Weiterentwicklung des Spitalwesens. Aufgrund dessen finden regelmäßig Gespräche mit ausgewählten Expertinnen und Experten statt, um neue Perspektiven für ein modernes Verständnis von Krankenhäusern aufzuzeigen. Die drängende Problematik der Überlastung von Spitalsstationen und Spitalsambulanzen sowie der Personalsituation in den österreichischen Krankenhäusern wurde im Rahmen eines weiteren PRAEVENIRE Dialogs intensiv diskutiert.
Carola Bachbauer, BA, MSc
Periskop-Redakteurin
Seit Monaten dominiert die angespannte Lage beim Personal in Krankenhäusern den öffentlichen Diskurs. Die Kapazitäten der Spitalsstationen und Spitalsambulanzen sind zunehmend erschöpft. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen, über strukturelle Ursachen bis zum steigenden Bedarf durch die immer älter werdende Bevölkerung. Zusätzlich verschärfen die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die bereits bestehenden Belastungen für die Spitalsstrukturen und das dort beschäftigte Personal. Die abnehmende Attraktivität des Arbeitsplatzes Spital sowie die Rahmenbedingungen für Kassenpraxen fördern die Eröffnung von Wahlarztordinationen. Ebenso bewirken die Belastungen durch die hohen Patientinnen- und Patientenzahlen im Kassenbereich, dass immer mehr Medizinerinnen und Mediziner lieber als Wahlärztinnen und Wahlärzte tätig sind.
Da sich viele Menschen den Besuch einer Wahlarztordination jedoch nicht leisten können und ein Termin in der Kassenpraxis mit langen Wartezeiten verbunden ist, sehen viele die einzige Chance auf eine rasche Behandlung in dem Spitalsambulanzen. Mit einer Entspannung der Situation in Spitälern aufgrund einer Personalerhöhung, vor allem in der Pflege, ist frühestens in mehreren Jahren zu rechnen. Angesichts dieser Herausforderungen sind Überlegungen notwendig, wie das derzeitige Personal in den Krankenhäusern zielgerichteter arbeiten und entlastet werden kann. Dieser Problematik haben sich renommierte Expertinnen und Experten im Rahmen eines PRAEVENIRE Dialogs angenommen und Lösungsansätze erarbeitet.
Gründe für die verheerende Situation
Laut Statistik Austria ist in den letzten zehn Jahren der Personalstand in den Spitälern nicht gesunken, sondern um insgesamt 13 Prozent gestiegen. Allein in der Pflege beträgt der Personalzuwachs zehn Prozent. Zugleich ist die Zahl der Betten zurückgegangen und die Behandlungszahlen der Ambulanz stagnieren. Dennoch herrsche in den Spitalsstationen bzw. in den Spitalsambulanzen massive Personalnot. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des PRAEVENIRE Dialogs waren sich nicht einig, ob die Ursache darin liegt, dass es grundsätzlich zu wenig Personal in den österreichischen Spitälern gibt oder das Problem nur aus einer mangelhaften Einteilung des Personals entstanden ist. Daher ist es den Diskutantinnen und Diskutanten zufolge wichtig, die Problematik des Themas ausführlich zu betrachten und nicht nur mehr Gesundheitspersonal zu fordern.
Zu Beginn der Diskussionsrunde veranschaulichten Expertinnen und Experten die derzeitige Situation rund um das Gesundheitspersonal und die allgemeine Versorgung in den österreichischen Spitälern. Die Gründe bzw. großen Veränderungen, die zu dieser verheerenden Situation im Gesundheitsbereich führten, sind laut den Expertinnen und Experten folgende:
- Die Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen sind nicht mehr mit den Ansprüchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbar.
- Die Schwierigkeiten liegen schon in der Basisversorgung. Denn Patientinnen und Patienten werden im primären Setting bereits schlecht abgefangen. Dies führt zu einer Überlastung der Ambulanzen.
- Durch fehlende Primärversorgung in den Langzeitpflegeeinrichtungen werden Patientinnen und Patienten automatisch in die Spitalambulanzen eingeliefert. Wodurch es dort zu einer Arbeitsverdichtung kommt.
- Personalberechnungen sind nicht adäquat und aktuell. Der Ablauf der Personaleinsatzplanung ist nicht transparent.
- Digitale Tools bringen keine ausreichende Entlastung des Gesundheitspersonals, diese sollten in den wesentlichen bürokratischen Arbeitsschritten erleichtern und nicht zusätzliche Arbeit für das Personal bedeuten.
- Das Betriebsklima seitens der Führungskräfte und veraltete hierarchische Systeme innerhalb des Spitalwesens entsprechen nicht mehr den Ansichten heutiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Entlastung des Gesundheitspersonals
Anschließend an die Erörterung der Grundproblematik erarbeiteten die Teilnehmenden Handlungsempfehlungen und Lösungsansätze, wie man die aktuelle Personalsituation in den österreichischen Krankenhäusern entlasten könnte. Die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen sind von zentraler Bedeutung für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem. Hierbei sei zunächst wichtig, dass man für das Pflegepersonal Rechtssicherheit schaffe. Außerdem muss ein stärkerer Fokus auf jene gelegt werden, die bereits bzw. noch im Gesundheitsbereich tätig sind. Neue Strukturen, überarbeitete Arbeitszeitmodelle und eine moderne arbeitsrechtliche Anpassung zur Entlastung des Personals können wesentliche Maßnahmen sein, um die bereits im Unternehmen tätigen Pflegerinnen und Pfleger langfristig an ihren Arbeitgeber zu binden. Darüber hinaus sollte das oft negativ behaftete Berufsbild in der Pflege durch positive Kampagnen verbessert werden. Existenzsichernde Ausbildungen, vermehrte berufsbegleitende Angebote und Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Lebensumstände der (jungen) Menschen sind hier sinnvolle Methoden, um die Tätigkeit als Pflegepersonal attraktiver zu gestalten. Zudem muss das generelle Image der Pflege gestärkt werden.
In Bezug auf den gehobenen Pflegedienst äußerte man Kritik, dass dieser oftmals nicht seinen Kompetenzen entsprechend eingesetzt werde. Häufig werden spezifisch geschulte Fachkräfte für generalistische Aufgaben herangezogen und dadurch hochwertige Ressourcen blockiert, statt diese Aufgaben subsidiär durch eine dafür ausreichend qualifizierte Fachgruppe aus dem Pflegebereich erledigen zu lassen. Dies erschwere häufig die Arbeitsabläufe und führe zu einer extremen Arbeitsverdichtung. Des Weiteren wurde die Personaldecke in den letzten Jahren relativ knappgehalten. Dies führte dazu, dass während der COVID-19-Pandemie, verschärft durch die Personalabgänge, keine Dienstplansicherheit für das Pflegepersonal gewährleistet werden konnte. Diese Situation hält weiterhin an und verschlechtert die Arbeitsbedingungen, da die Arbeitsverdichtung immer weiter voranschreitet. Hier war der einstimmige Tenor der Teilnehmenden: Die Belastung des Personals muss reduziert werden, indem die Arbeitsverdichtung verringert und der enorme Leistungsdruck reduziert werden.
Potenzial für kurzfristige Entlastung des Krankenhauspersonals liegt auch in den Bereichen Fehl- und Überversorgung, da hier Aufgaben übernommen werden, die für die korrekte Krankenbehandlung nicht notwendig sind. Zusätzlich müssen administrative und Dokumentationsaufgaben stärker an nichtmedizinisches Personal oder an digitale Tools übertragen werden, damit medizinisches Personal und Pflegekräfte wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben. Jedoch sei hier zu erwähnen, dass digitale Tools bislang nicht als Entlastung, sondern als zusätzlicher Aufwand empfunden werden. Daher ist es wichtig, dass sich die Digitalisierung an den Bedürfnissen des Gesundheitspersonals orientiert und dieses merkbar entlastet.
Des Weiteren sprachen die Diskutantinnen und Diskutanten den Wunsch aus, dass das Krankenhauspersonal die Möglichkeit bekommen möge, bei Umstrukturierungen sowie in Entscheidungsprozesse miteinbezogen zu werden. Anstatt dass über deren Kopf hinweg Entscheidungen getroffen werden. Des Weiteren sei es wünschenswert, dass die Kommunikation zwischen Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Führungskräften verbessert wird und diese auf Augenhöhe passiert.
Strukturen der Entwicklung der Medizin anpassen
Ein wesentlicher Punkt, der bei der Diskussion angesprochen wurde, war, dass die moderne Medizin neue Strukturen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten benötige. Österreich könne die Medizin des 21. Jahrhunderts nicht in Strukturen des 20. Jahrhunderts betreiben. Der enorme technologische Fortschritt der Medizin müsse in der Organisation des Krankenhausbetriebes und in der Spitalsfinanzierung abgebildet werden. Dazu benötigt es Strukturen, die den aktuellen Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und der im intramuralen Bereich Tätigen angepasst sind. Als Lösungsvorschläge wurden hier die „Ambulantisierung“ von bisher stationär in den Spitälern erbrachten Leistungen, das Setzen auf mehr tagesklinisch durchgeführte Eingriffe und mehr tagesstationäre Einrichtungen, in denen Patientinnen und Patienten mehrere Stunden, jedoch nicht über Nacht, betreut werden, angeführt.
Primärversorgung stärken
Die Primärversorgung sollte die erste Anlaufstelle für alle Menschen mit gesundheitsbezogenen Anliegen und damit der Schlüssel zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung sein. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren eine Verlagerung der Patientenströme in den spitalsambulanten Bereich. Als Gründe dafür wurden beispielsweise die langen Wartezeiten auf Termine und der Trend zu Wahlärztin bzw. Wahlarzt genannt. Letzteres ist dadurch verursacht, dass im niedergelassenen Bereich das Einkommen als Kassenärztin bzw. -arzt nicht mit der Versorgungsrelevanz für das Gesundheitssystem korreliert, da man als Wahlärztin oder Wahlarzt an der gleichen Leistung mehr verdient.
Um die Spitäler entlasten zu können, müssen die Zusammenarbeit von Allgemeinmedizinerinnen, Allgemeinmedizinern sowie Fachärztinnen und Fachärzten als auch die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen und stationären Bereichen weiterentwickelt werden. Ein weiteres Verbesserungspotenzial orteten die Teilnehmenden in der Einbeziehung der diversen Gesundheitsberufe in die Primärversorgung. Denn diese könnten entsprechend ihren Kompetenzen eingesetzt viele Aufgaben im niedergelassenen Bereich übernehmen und so eine Überlastung sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch von Spitalsambulanzen verhindern. Jedoch müssten hierzu auch die rechtlichen Rahmenbedingungen dahingehend abgeändert werden, dass diese ihr fachliches Wissen effizient einsetzen können und nicht an bürokratischen Kompetenzhürden scheitern. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass der niedergelassene Bereich, insbesondere die Hausärztin, der Hausarzt, wieder das Fundament des österreichischen Gesundheitssystems werden muss. Wie dies zeitgemäß und mit großer Zustimmung der Bevölkerung funktionieren kann, zeigt das Beispiel Dänemark.
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